Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-151-6
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
1.
Ben Brighton starrte mißmutig in die flackernde Kerze, die vor ihm und Philip Hasard Killigrew auf dem runden Holztisch stand. Mit einem Ruck schob er sein Weinglas von sich weg. Seine harten Seemannsfäuste verkrampften sich in ohnmächtigem Zorn, als er Hasard ansah.
„Verdammter Mist, daß Burton, dieses Schwein, ausgerechnet jetzt in Sevilla auftauchen und uns entdecken mußte!“ sagte er wütend. „Ich halte jede Wette: Kein anderer als er hat Estoban Rizzio umgebracht. Feige von hinten erstochen. Diesem verfluchten Bastard schlage ich den Schädel ein, wenn er mir noch einmal in die Finger läuft!“
Er ließ seine Fäuste schwer auf die Tischplatte fallen.
„Wir werden noch eine Menge Schwierigkeiten durch die Ermordung Estoban Rizzios haben, Hasard, darauf kannst du Gift nehmen!“ fügte er ein paar Sekunden später hinzu.
Hasard sah seinen Bootsmann an. Dann nahm er einen langen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Dabei zog ein verwegenes Lächeln über seine braungebrannten Züge. Seine eisblauen Augen blitzten den Gefährten an.
„Ich werde mich lieber an Wein halten, Ben. Gift soll der Gesundheit höchst abträglich sein. Was aber diesen Burton angeht – eines Tages ist er fällig. Die Rechnung für den Mord an Rizzio wird ihm präsentiert – auch wenn es noch eine Weile dauern sollte.“
Abermals nahm er einen Schluck. Im stillen gab er seinem Bootsmann recht. Es würde Schwierigkeiten geben, wenn sie nicht auf der Hut waren. Den Mord an Rizzio hatte die spanische Polizei bereits entdeckt, und sie beide, er und Ben Brighton, waren immerhin die letzten gewesen, die nach Rizzio gefragt hatten und bei ihm gewesen waren. Daß sie Rizzio bereits sterbend vorgefunden hatten, mit einem Messer im Rücken, das war zweifellos eine andere Sache.
Mit einem Blick musterte Hasard seine Umgebung. Ganz bewußt hatte er sich mit Ben unter die Steintreppe in eine dunkle Nische der Kneipe zurückgezogen. Sie saßen unmittelbar hinter einem dicken Pfeiler aus Stein, vor allem aber in der Nähe der Treppe, über die sie blitzschnell in ihr Zimmer entweichen konnten, sofern dies aus irgendeinem Grunde erforderlich werden sollte.
„El Pescado“ – der Fisch – war eine Kellerkneipe in den engen Gassen des Hafenviertels. Sie lag in der Callejon Circo – unmittelbar dem Torre del Oro gegenüber, dem Goldenen Turm, der wegen seiner kostbaren Verkleidung mit Platten aus purem Gold so hieß. Gegenüber vom Torre del Oro, auf der anderen Seite des Guadalquivir, stand ein zweiter Turm, zu dem schwere Ketten hinüberführten. Mit diesen Ketten konnten die Spanier den Fluß für den gesamten Schiffsverkehr innerhalb kürzester Frist sperren, sobald sie die Ketten mittels der schweren, spillartigen Winden straff zogen.
Hasard hatte den „Fisch“ als Domizil gewählt, weil die Kneipe in einem Viertel Sevillas lag, in dem Seeleute, Fischer, Hafenhaie und allerhand lichtscheues Gesindel verkehrten. Dort fielen er und Ben am wenigsten auf – und, was noch weitaus wichtiger war, dort wurde getrunken, gewürfelt, gemogelt, geflucht und getuschelt in allen Tonarten, man konnte im „Fisch“ an Informationen aller Art gelangen, sofern man zahlungskräftig genug war.
Informationen aber waren genau das, was er und Ben Brighton dringend brauchten. Estoban Rizzio, ihr Verbindungsmann in Spanien, war tot. Er hatte ihnen nur noch sagen können, daß sich Ferris Tucker, Batuti, Dan O’Flynn, der Kutscher, Smoky, Blacky, Stenmark, Gary Andrews, Al Conroy, Pete Ballie und Matt Davies an Bord einer Galeere befanden, die „Tortuga“ hieß. Wo sich jedoch jene Galeere befand, das mußten sie nun selber herausfinden, und zwar so schnell wie möglich.
Abermals ließ Hasard seine Blicke durch die Kellerkneipe wandern – wüstes Gebrüll, das von noch wüsteren spanischen Flüchen begleitet wurde, hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Einer der schweren Tische kippte polternd um, Gläser und Flaschen zerklirrten auf dem steinernen Boden. Entermesser blitzten auf – und unwillkürlich griffen auch Hasard und Ben Brighton zu ihren Messern. Aus Erfahrung wußten sie, wie rasch solche Streitigkeiten zu blutigen Massakern jeder gegen jeden ausarteten.
Ben und Hasard sprangen auf. Sie hatten nicht die geringste Absicht, sich in derartige Geschichten verwickeln zu lassen, das wäre das allerletzte gewesen, was sie hätten brauchen können.
Doch dann geschah etwas, was die ganze Situation blitzartig änderte und die beiden Männer, die schon im Begriff gewesen waren, über die Steintreppe in ihr Zimmer zu verschwinden, veranlaßte, schleunigst wieder auf ihre Hokker zu sinken und sich so weit wie möglich zusammenzukauern.
Auf der Treppe, die von der Gasse herunter in die Kneipe führte, erschallten Kommandos. Schritte polterten die Treppe hinunter, gleich darauf drangen spanische Soldaten in die Kneipe ein. Mit ein paar Streichen fegten sie die Kampfhähne unsanft auseinander. Und dann trauten Hasard und Ben ihren Augen nicht: Ein spanischer Offizier, in Begleitung von Isaac Henry Burton, betrat die Kneipe. Suchend blickten sie sich um. Aber das schwache, flackernde Licht der Kerzen verbreitete nicht genügend Helligkeit, als daß sie die Kneipe hätten überblicken können.
„Verdammt, Hasard, das gilt uns!“ flüsterte Ben Brighton dem Seewolf zu. „Dieser Hundesohn, dieser dreimal verfluchte Burton hat herausgefunden, daß wir uns hier eingemietet haben. Und jetzt will er uns den Spaniern als die Mörder von Estoban Rizzio ausliefern. Wenn der Kerl das schafft …“
Ben Brighton sprach gar nicht erst weiter. Es war klar, was ihnen dann blühen würde. Statt dessen knirschte er vor Wut mit den Zähnen.
Auch Hasard spürte, wie sich sein Magen unwillkürlich zusammenkrampfte. Ben hatte recht, die Aktion galt ihnen. Er sah, wie zwei Soldaten den Wirt packten und ihn zu dem spanischen Offizier und dem neben ihm stehenden Burton schleppten.
In der Kneipe herrschte Totenstille. Hasard und Ben konnten jedes Wort verstehen.
„Wo sind die beiden Mörder, die sich bei dir eingemietet haben?“ hörten sie den Spanier fragen.
Der Wirt krümmte sich vor Schreck zusammen. Sein schwerer, fetter Körper schien in sich zusammenzuschrumpfen.
„Aber Senor Capitan – Mörder? Mörder sollen sich bei mir eingemietet haben? Senor Capitan, ich bin zu Tode erschrokken, ich weiß gar nicht, was ich …“
Burton schlug zu. Blitzschnell und brutal. Der Schlag war mit solcher Kraft geführt worden, daß er den Wirt zu Boden fegte.
„Rede, du verdammte Ratte, oder ich lasse dir dein räudiges Fell in Streifen abziehen!“ brüllte Burton. Gleichzeitig gab der Capitan zwei Soldaten einen Wink. Sie packten den Wirt, zerrten ihn vom Boden hoch und schleppten ihn zu Burton und dem spanischen Offizier.
Hasard spürte, wie seine Nackenhaare sich aufzustellen begannen. Die nächsten Sekunden mußten über Tod und Leben entscheiden. Hasards Rechte glitt zum Entermesser, das er im Gürtel trug.
Ben Brightons Rechte ebenfalls. Und dann sprach er aus, wozu auch Hasard felsenfest entschlossen war:
„Ehe die Dons mich kriegen, bringe ich diese elende Kakerlake von Burton um. Er wird den Triumph unserer Verhaftung nicht erleben!“
Der Wirt hatte sich unterdessen stöhnend aufgerichtet. Und doch schien es Hasard, als habe er absichtlich Zeit herausgeschunden.
„Rede endlich, oder ich stopf dir deine Zähne in den Hals!“ Burton hob die Faust abermals zum Schlag.
„Das sieht diesem erbärmlichen Feigling ähnlich“, flüsterte Ben Brighton. „Wenn die Kugeln pfeifen und die Kanonen donnern, dann scheißt sich dieser Wicht in die Hosen, daß es noch bis in den Topp des Großmastes stinkt. Aber Wehrlose schlagen und quälen – oh, dieser Schinder!“
Ben Brightons Rechte zuckte zum Messer, aber Hasard packte blitzschnell zu und hielt sie fest.