Myriam gibt dem großen Mann, der an der Tür steht, ihre Einladung. Er sieht aus wie ein rasierter Gorilla im Smoking. Er nimmt die Einladung entgegen und sieht sie sich an. Er streckt seine riesige Hand aus und gibt einen Daumen nach unten. Myriam zieht eine Augenbraue hoch und will ihn fragen, was zum Teufel das bedeuten soll, aber er öffnet seinen riesigen Mund. «Hölle», verkündet er.
«Hölle?», fragt Annie und packt Myriams Arm fester. Der Gorilla im Anzug streckt nur den Arm aus und hindert sie daran, die Haupttür zu betreten. Stattdessen führt er sie zu einer roten Tür gleich um die Ecke. Die Worte «ABANDON ALL HOPE» (Alle Hoffnung aufgeben) war über die Tür gesprüht. Myriam führt ihre besorgte Assistentin zur Tür und als sie ankommen, schwingt sie langsam auf. Ein weiterer Mann im schwarzen Anzug mit roter Krawatte, diesmal etwas kleiner, erwartet sie. Er träg eine Halbmaske über dem Gesicht. Ein langnasiges Dämonengesicht mit hohen Wangenknochen, schwarzen Augen und kurzen Hörnern, die aus der Stirn ragen.
«Geht runter», sagt er, als sie eintreten.
Erst dann wird ihnen klar, dass es sich um einen Aufzug handelt. Sie gleiten langsam hinab, die Wände erinnern an einen Gitterkäfig, der über den Boden des Nachtclubs schwebt. Innen, Samt-rosarot und poliertes schwarzes Leder, soweit sie sehen können. Der Raum ist dunkel, und die einzigen Lichter in der Dunkelheit leuchten rot. Es sind mindestens hundert Menschen auf dem Boden gedrängt. Die Hölle brodelt, wie es scheint. Als sie aus dem Aufzug steigen, sehen sie, dass der Boden abgestuft ist. Natürlich! Die sieben Schichten der Hölle! Aber anstatt abzusteigen, hebt sich jede Reihe in die Mitte des Raumes, bevor sie schließlich eine Bühne bildet. Im Moment tanzen zwei kurvige Frauen, die nur in Tangas gekleidet sind, verführerisch schütteln sie ihre Haare und streicheln sich gegenseitig. Sie sind allein auf der Bühne, aber es gibt auch ein paar Requisiten. Ein großer schwarzer Thron aus Stahl und Plüsch, lila Samt, steht neben einem hölzernen Pranger, einer schwarzen Lederbank mit daran befestigten Kettenfesseln und einem Andreaskreuz mit Lederfesseln. BDSM Bondage Ausrüstung! Es sieht so aus, als ob sie heute Abend eine Show zu sehen bekommen.
Myriam schlängelt sich durch die Menge und macht sich den Weg frei, um zum Barbereich zu gelangen. Annie folgt dicht hinter ihr und sie hält sie wie ein verlorenes Kind an der Hand. In gewissem Sinne ist es wohl auch.
«Tut mir leid, Annie», ruft Myriam ihr über den dröhnenden Bass der Musik hinweg zu. Sie sieht Myriam nicht an. In der Nähe steht eine mit Leder und Metall bekleidete Domina mit einem unglaublich hohen Stilettoabsatz auf dem Rücken einer anderen Frau. Annie beobachtet sie aufmerksam mit offenem Mund. Die devote Frau kniet auf allen Vieren auf dem Boden. Sie ist nackt und nur mit einer Latexmaske bekleidet. Die Kapuze ist über ihr Gesicht gezogen. Es gibt keine Augenlöcher, nur ihre purpurroten Lippen sind durch ein Mundloch mit Reißverschluss sichtbar. Die Domina schlägt mit lustvollen Abständen ihren knallroten Arsch mit einer Peitsche und die Schreie der devoten Frau sind sogar über die Musik hinweg zu hören.
Bondage-Sklaven und Sklavinnen bedienen ihre Herrin oder ihre Herren. Po und Oberschenkel werden ausgepeitscht, Phalli dringen in jede Öffnung ein. Dies ist keine Party! Das ist eine Orgie.
Bevor sie die Bar erreichen, werden sie von einem erwachsenen Mann aufgehalten, der als Baby verkleidet ist. Er weint, während er an einem Schnuller kaut.
«Hast du meine Mama gesehen?»
«Nein, such weiter!», knurrt Myriam.
Der Mann stolpert davon und zieht einen übergroßen Teddybär hinter sich her. Myriam schüttelt ihren Kopf. Sachen gibt es! Als sie sich wieder Annie zuwendet, sieht sie, dass sie ein paar Meter entfernt steht. Den Nacken nach hinten geneigt, sieht sie eine muskulöse Frau direkt an. Die Frau ist eine Domina. Stachelkragen, Armbänder und BH. Sie trägt einen schwarzen Lippenstift in ihrem weiß geschminkten Gesicht und einen schwarzen Lederhut über ihrem langen, rabenschwarzen Haar.
Sie ist groß, und überragt die kleine Annie wie eine wunderschöne Amazonas-Kriegerprinzessin in ihren Stiefeln mit hohen Absätzen. Sie sagt etwas zu Annie und reibt Annies Kinn mit Daumen und Zeigefinger. Genau als Myriam das Paar erreicht, schiebt die Domina ihren Daumen in Annies Mund. Es sieht nicht so aus, als würde sie Widerstand leisten.
«Hallo!», ruft Myriam aus. Sie sehen beide auf. «Hände weg von meiner Freundin.»
Myriam nimmt Annie am Handgelenk und will sie wegführen. «Wenn ein Engel in die Hölle fällt», erklärt die Domina. «Du wärst verrückt, sie nicht zu fangen.»
Myriam ignoriert die Frau, kann auch nicht viel mit ihrer Aussage anfangen, und sie schaffen es, unbeschadet an die Bar zu gelangen.
«Was hat sie zu dir gesagt?»
Annie lächelt, zuckt mit den Schultern und sieht in die Menge. «Sie sagte, ich sei wunderschön und sie könne in mein Herz sehen.»
«Hat sie dir verraten, was sie gesehen hat, Annie?»
Sie ignoriert die Frage. «Sie sagte, ich solle sie ‚Mistress‘ nennen.» Sie kichert albern. «Mistress.»
Myriam bereut, sie mitgebracht zu haben. Dieser Ort ist zu intensiv für sie.
«Versuch einfach deinen Kopf bei dir zu behalten und bleib in meiner Nähe!» Myriam winkt den Barkeeper herbei und bestellt einen Scotch für sich und ein Wasser für Annie.
Während sie warten, schaut sie sich um. Myriam taucht in einen Ort voller heißer Rhythmen und erotischer Stimmung ein. Der Clubbereich, eine Tanzfläche mit DJ, am Rand einzusehende Separees, offene Liegeflächen, drei Bars. Zu aller erst fallen ihr die Menschen auf, die auffällig gekleidet sind. Von Lack und Leder, bis hin zu Masken, die sie so noch nie gesehen hat, nackte Brüste und offene Hosenschlitze, zelebrierter Techno, Hedonismus und Fetisch, sehr hippe, schöne Menschen. Auffällig ist die große Anzahl junger Frauen. Selbstbewusst beanspruchen schon Anfang zwanzigjährige ihren Platz bei dieser Sex-Party. Adaptionen aus der SM-Szene sind dabei ganz offensichtlich: Hundehalsbänder und Lederharnesse sieht Myriam. Rund 20 junge Frauen folgen auf die Tanzfläche, und schon kurz nach der Ankunft wälzen sich im Wechsel immer mindestens fünf von ihnen nackt auf dem nahestehenden Bett der Gastgeberin. Einige stürzen sich förmlich aufeinander, irgendwann scheint es fast egal, wer wen küsst, leckt, fingert. Andere schauen nur etwas überrascht zu, doch alle scheinen sich wohlzufühlen. Man ist ja, irgendwie, unter sich.
In den vielen kleinen Separees am Rand wird gechillt, gefummelt, gevögelt. Tanzen, vögeln, sich frei machen.
Auf den Treppen neben der Bar sitzen zwei junge Mädels und lassen sich parallel von zwei Typen lecken. Mit all den winzigen Räumen, bestückt mit Sofas, Emporen und sogar einem Beichtstuhl, ist die Location ideal, um halb versteckt, halb öffentlich Finger zwischen Beinen und Zungen in drei verschiedenen Mündern verschwinden zu lassen. Im Beichtstuhl wird lautstark gevögelt und der Vorhang wippt im Takt. Vor Myriam hat sich ein Mädel tanzend auf ein Podest verzogen, da kommen plötzlich drei leicht bekleidete Mädels und machen einfach mit. Lautstark stimmen sie sich ab, wer als nächste mit der Tanzenden vögeln darf. Myriam hat schnell verstanden, dass man sich hier so zeigt, wie man will. Es wird, egal, was man tut, dir dabei zugesehen. Alle, die dort hinkommen, sind nur da, um zuzusehen oder zusehen zu lassen. Um Sex, den andere Menschen miteinander haben, direkt zu beobachten, oder davon angestachelt zu werden, dass andere zuschauen. Und um vielleicht auch irgendwie Teil von der Sache zu werden.
Myriam fühlt plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Sie ballt die Faust, aber als sie sich umdreht, steht Noemi da. So schön wie heute Mittag, nur dass sie jetzt einen rot-schwarzen Latexanzug trägt. Ein Teufelsschwanz schwingt hinter ihr. Auf den ersten Blick könnte man es als einen Teil des Anzugs ansehen, aber beim zweiten Blick erkennt man, dass er an einem Analplug befestigt ist, der durch eine mit Reißverschluss versehene Klappe im Anzug in sie hineingeschoben wurde und einen einfachen Zugang ermöglicht.
Sie lächelt. «Du hast es geschafft», sagt sie.
«Ja, das habe ich!» Myriam verspürt einen