Big Ideas. Das Ökologie-Buch. John Farndon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: John Farndon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783831082698
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die Population darüber hinaus, wird sie gewöhnlich durch natürliche Faktoren wieder reduziert. Daher sollten Populationen in der Wildnis ziemlich konstant bleiben und nur um die Tragfähigkeit herum fluktuieren, wobei zufällig auftretende Naturkatastrophen außen vor bleiben.

      Doch dieser Gleichgewichtszustand war nicht das, was man stets beobachtete – wie in D’Anconas Bericht, nach dem es plötzlich viel mehr Raubfische gab. Eine Theorie zur Erklärung dieses Phänomens geht davon aus, dass die Anzahl der Räuber von der Größe ihrer Nahrungsquelle abhängt, also von der Population der Beute. Wenn viel Nahrung verfügbar ist, müsste demnach die Räuberpopulation groß sein. Steigt die Zahl der Räuber, sollte sich die Zahl der Beutetiere verringern; dies würde dann wiederum die Zahl der Räuber reduzieren. Die Größe beider Populationen würde zu- und abnehmen, aber das Verhältnis von Räubern zu Beute sollte stabil bleiben

      »Die Beuteart kann daher von der Räuberart nicht ausgerottet werden unter den Voraussetzungen, auf die sich unsere Gleichungen beziehen.«

      Alfred J. Lotka Elements of Physical Biology, 1925

      »Mathematik ohne Naturgeschichte ist leblos, aber Naturgeschichte ohne Mathematik ist verworren.«

      John Maynard Smith Britischer Mathematiker und Evolutionsforscher Did Darwin get it right? Essays on Sex, Games, and Evolution, 1988

      Diese Gleichgewichtstheorie passte jedoch ebenfalls nicht zu den Beobachtungen. Durch mathematische Modellierung konnte Volterra zeigen, dass die Größen der Räuber- und Beutepopulationen tatsächlich schwanken. Dabei ändert sich die Rate, mit der eine Population wächst oder schrumpft, ständig und stimmt praktisch nie mit der Änderungsrate der anderen Population überein. Um die Gleichungen zu vereinfachen und Variablen zu beseitigen, traf Volterra einige Annahmen. Erstens gibt es für beide Arten bei der Vermehrung keine Obergrenze, die Wachstumsrate jeder Population ist proportional zu ihrer Größe. Zweitens findet die Beutepopulation – man nimmt Pflanzenfresser an – stets genug Nahrung. Drittens ist die Beutepopulation die einzige Nahrungsquelle der Räuber, die Räuber sind nie satt und hören deshalb nie mit der Jagd auf. Volterra ging zudem davon aus, dass externe Umweltbedingungen wie das Wetter oder Naturkatastrophen keine Rolle spielen. Auch die Auswirkungen genetischer Veränderungen sind im Modell nicht berücksichtigt.

      Stellt man die Ergebnisse der Modellierung grafisch dar (unten), folgen Ab- und Zunahme der Räuber jeweils den Veränderungen der Beutepopulation. Die Räuber werden immer noch mehr, wenn die Beute schon weniger wird. Dies erklärt die Beobachtungen von D’Ancona, dass der Anteil an Raubfischen zunahm, nachdem sich die Beutefische durch weniger Fischerei drastisch vermehrt hatten.

      Die relativen Veränderungen der Populationen hängen von dem Verhältnis der Reproduktionsraten der beiden Arten sowie von der Prädationsrate (der Rate, mit der Räuber Beute fangen) ab. So sind etwa die Schwankungen bei Ameisen und Ameisenbären kaum bemerkbar, weil sie sich so unterschiedlich schnell vermehren. Bei Arten mit ähnlichen Fortpflanzungsraten, etwa Luchs und Kaninchen, sind die Schwankungen ausgeprägter.

       Rüstungswettlauf

      Die Räuber-Beute-Gleichungen zeigen, dass Arten gemeinsam einem niemals endenden Ringen unterliegen, das zwischen der fast völligen Auslöschung und dem Überfluss pendelt. Bei diesem biologischen »Rüstungswettlauf« unterliegt die Beute dem Evolutionsdruck, den Räubern zu entkommen, um mehr Nachkommen zu haben. Gleichzeitig unterliegen die Räuber dem Druck, mehr zu jagen, um mehr Nachkommen ernähren zu können. Doch keine der beiden Arten ist überlegen, beide reagieren auf die Anpassungen der anderen. Die Räuber-Beute-Beziehung zwischen Paarhufern (wie Antilopen oder Rehwild) und Raubtieren (wie Großkatzen oder Wölfe) zeigen diesen evolutionären Rüstungswettlauf. Paarhufer haben stark verlängerte Beine, da sie auf den Spitzen der verdickten, verschmolzenen Zehen laufen. Durch diese Anpassung können sie laufend und springend entkommen. Als Antwort haben Großkatzen wie Löwen und Tiger die Schnelligkeit und Stärke entwickelt, um große, schnellfüßige Beute bei Überraschungsangriffen zu schlagen. Wölfe haben die Ausdauer entwickelt, lange Strecken ohne Pausen zurückzulegen. So können sie in Gruppen ihre Beute verfolgen, bis sie erschöpft zusammenbricht und getötet wird.

       Populationszyklen bei Räuber-Beute-Systemen

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      Die Populationen von Räuber und Beute nehmen in regelmäßigen Zyklen ab und zu. Zwar variieren deren Ausprägungen, sie folgen aber stets einem ähnlichen Muster.

      Die Räuber-Beute-Gleichungen geben Einsichten in die Populationsdynamik von zwei Arten, doch ihre Annahmen treffen im wahren Leben selten zu. Einige Räuber haben sich auf eine einzige Beuteart spezialisiert, doch andere Faktoren im Ökosystem beeinflussen ihre Population ebenfalls.

       Andere Anwendungen

      Die Lotka-Volterra-Gleichungen dienten auch der Erforschung der Dynamik von Nahrungsketten und Nahrungsnetzen, bei denen eine Art der Räuber einer anderen Art, gleichzeitig aber die Beute einer dritten Art ist. Auch das Verhältnis zwischen Parasiten und Wirtsorganismen ähnelt in mancher Hinsicht Räuber-Beute-Beziehungen. Parasiten spezialisieren sich oft auf eine Wirtsart, was einer Annahme der Lotka-Volterra-Gleichungen entspricht. Doch in der Praxis bringen evolutionäre Vorgänge das Modell ins Wanken. Ein Parasit tötet den Wirt gewöhnlich nicht (die, die es tun, nennt man Parasitoide oder Raubparasiten), kann aber seine »evolutionäre Fitness« beschädigen. Die Rote-Königin-Hypothese der Evolution, die in den 1970er-Jahren von Leigh Van Valen aufgebracht wurde, beschreibt, wie einige Individuen der Wirtspopulation dank günstiger Gene trotz der Belastung durch Parasiten ihre Fitness behalten. Die Parasiten entwickeln sich ständig weiter, um diese scheinbar immunen Individuen auszunutzen, sodass die günstigen Gene in der Wirtspopulation sich ebenfalls verändern. So läuft die Evolution, der Wettbewerb zwischen Parasit und Wirt, ständig ab, obwohl von außen scheinbar alles gleich bleibt. image

      »Volterra interessierte sich für eine mathematische Theorie für das ›Überleben des Bestangepassten‹.«

      Alexander Weinstein Russischer Mathematiker Vito Volterra: Opere mathematiche, in: Bull. Am. Math. Soc., 1964

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      Eine parasitische Wespe legt Eier in Blattläuse (die kleinen, gelben Insekten). Wespenarten mit diesem Verhalten gelten als Parasitoide, weil ihre Larven später die Blattläuse fressen.

       Vito Volterra

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      Der 1860 in Ancona (Italien) als Sohn eines jüdischen Stoffhändlers geborene Vito Volterra wuchs in Armut auf. Dennoch erlangte er 1883 im Alter von nur 23 Jahren eine Professur für Mechanik an der Universität Pisa und begann eine Karriere als Mathematiker. Weitere Professuren in Turin und Rom folgten. Im Jahr 1900 heiratete Volterra; er hatte sechs Kinder, doch nur vier lebten bis ins Erwachsenenalter. 1905 wurde er zum Senator des Königreichs Italien ernannt und im Ersten Weltkrieg arbeitete er an der Entwicklung militärischer Luftschiffe. Volterra weigerte sich, dem faschistischen Diktator Benito Mussolini die Treue zu schwören, und wurde von der Universität Rom entlassen. Er musste im Ausland arbeiten und kehrte nur für kurze Zeit vor seinem Tod 1940 nach Italien zurück.

       Hauptwerke

      1926 Fluctuations in the Abundance of a Species Considered Mathematically, in: Nature

      1935 Les associations biologiques au point de vue mathématique