Als wolle der Pilot zunächst die beeindruckende Lage der Stadt vorführen, schwebt das von der Irischen See kommende Flugzeug über der Halbinsel Howth und macht noch einen Schwenk. Auf einer weiten Ebene, geteilt vom River Liffey, schmiegt sich die Stadt im Dreiviertelkreis an die Bucht. Aus der Vogelperspektive ist sie ein aus unzähligen Versatzstücken gewebter Flickenteppich, geht in die Fläche, aber nicht in die Höhe: Nicht Hochhäuser, sondern Kirchtürme und Schlote bestimmen zwischen gleichförmigen Reihenhäusern die Skyline.
Taucht der Besucher später in die Metropole ein, erscheint Dublin launisch und wechselhaft wie das Wetter. Ein abgetragenes Kleidungsstück, an dem nur noch wenige Stellen glänzen, das viel mitgemacht hat und viel erzählen könnte, für das man sich manchmal schämt und an das man doch sein Herz so sehr verloren hat, dass man sich von ihm nicht trennen will. Liebes, dreckiges Dublin. Banker, Makler und IT-Arbeiter strömen aus polierten georgianischen Backsteinhäusern oder den polierten Glaspalästen der Docklands und eilen achtlos an jenen vorbei, die als lebende Hinweistafeln für Boutiquen und Kartenlegerinnen werben.
Die Stadt ist ein Sammelbecken der Vielfalt und unterschiedlichen Interessen: Für die einen ist sie Wiege der irischen Nation, war Dublin doch vor gut hundert Jahren Schauplatz des Osteraufstands, der das Land in die Unabhängigkeit führte. Andere sehen in Dublin die heimliche Welthauptstadt der englischsprachigen Literatur. Man muss seinen Ulysses nicht gelesen haben, um, nach der Mode von anno dazumal kostümiert, an einem 16. Juni mit tausenden Gleichgesinnten auf den Spuren des Romanhelden Leopold Bloom durch Dublin zu flanieren.
Für manche Jugendclique ist die Stadt ein Reiseziel, um fern der Heimat unerkannt die Sau rauszulassen. Andere lockt die vielfältige Musikszene: Sei’s eine Session mit dem Fiddler im Pub, ein Rockkonzert im Club oder der Auftritt von Weltstars auf großer Bühne. Dublin ist ein schier unerschöpflicher Nährboden für neue Bands und Musikstile.
Dann ist da noch diese prächtige Kulisse georgianischer Architektur. Die Reihenhäuser mit ihren Backsteinfassaden und farbenfrohen Eingangstüren sind geradezu ein Markenzeichen der Stadt. Auch die Moderne kann sich sehen lassen. In den Jahren des keltischen Tigers entstand in den zuvor maroden Docklands ein neues Stadtviertel mit zeitgenössischen Bürotürmen und Apartmenthäusern aus viel Stahl und Glas; das neue Viertel ist auch Schaufenster vom Aufstieg und Niedergang der Spekulation, denn manche Wohnung steht leer, weil sich zu wenige die Mieten leisten können.
Zuallererst aber ist Dublin eine Stadt der unvermuteten Begegnungen, des Gesprächs und Witzes, geprägt von der Schlagfertigkeit und dem Charme seiner Menschen - Leben pur.
Was anschauen?
Trinity College und Book of Kells: Schlendern Sie über den Campus von Irlands angesehenster Universität, bevor Sie sich in die Schlange vor dem Book of Kells einreihen. Die begleitende Ausstellung erzählt die Geschichte des herrlich illuminierten Meisterwerks aus dem Frühmittelalter.
Saint Stephen’s Green und Merrion Square: Georgianische Baukunst rund um immergrüne Parkanlagen.
Guinness Storehouse: Das Firmenmuseum der Guinness-Brauerei ist die am meisten besuchte Sehenswürdigkeit der Stadt. Erzählt wird die Fabrikgeschichte, anschaulich erläutert wird der Brauprozess. Den Rundgang krönt ein Pint in der Gravity Bar mit tollem Stadtpanorama.
Kilmainham Gaol: Grusel in der Kathedrale des viktorianischen Strafvollzugs, dem einst gefürchtetsten Gefängnis der Insel.
National Gallery: Eine beeindruckende Sammlung von Meisterwerken irischer und europäischer Malerei aller Epochen. Highlights sind etwa Bilder von Vermeer, Caravaggio, Picasso, van Gogh und Monet.
Epic Ireland: Die außergewöhnliche Ausstellung rund um das Thema Auswanderung wurde zu Europas führenden Touristenattraktionen 2019 gekürt.
Was unternehmen?
Bloomsday: Am 16. Juni pilgern Fans aus aller Welt auf den Spuren einer Joyce’schen Romanfigur.
Hop-on Hop-off Bus Tour: Entdecken Sie Dublin in Ihrem eigenen Tempo bei einer Stadtrundfahrt mit dem Hop-on-Hop-off-Bus.
Stadtgeschichte
Eine Siedlung Eblana an Stelle der heutigen Stadt ist schon auf der um 140 n. Chr. entworfenen Weltkarte des alexandrinischen Geographen Ptolemäus verzeichnet. Später gab es eine keltische Siedlung namens Dubh Linn („dunkler Teich“), die Dublin seinen Namen gab. Der „dunkle Teich“ war die Mündung des Poddle. Heute völlig in unterirdische Rohre gezwängt, folgte er einst der St Patrick Street, schlug einen Bogen um Dublin Castle und ergoss sich an der Grattan Bridge in die Liffey. Eine ebenso große Berechtigung auf die Urheberschaft an der Stadt haben die Wikinger, die sich im 9. Jh. in diesem Flussknie niederließen, wo auch die alte Königsstraße zwischen Tara und Wicklow die Liffey überquerte. Die im 10. Jh. errichtete Stadtmauer schützte die Nordmänner nur wenige Jahre: 988 eroberten die Iren unter Mael Sechnaill die Wikingerstadt.
Die Ha’penny Bridge über den River Liffey
Ein neues Kapitel der Stadtgeschichte schlugen die Normannen auf. Heinrich II. machte Dublin zum Sitz des königlichen Gerichts und damit zum Hauptort der englischen Präsenz in Irland. Wer immer auf der Insel Rang und Namen hatte, fand sich zu den Seasons, den Gerichtstagen, in Dublin ein, um seine Interessen zu vertreten. Anfangs mit einer schlichten Palisade, bald mit einer Reihe von Burgen wurde das Pale, das Umland Dublins, vor den Einfällen der irischen Häuptlinge geschützt. Mehr über das mittelalterliche Dublin erfahren Sie in der Ausstellung Dublinia (→ Sehenswürdigkeiten).
Nach 1730 entwickelte sich Dublin zur größten Stadt des Königreiches nach London. Händels Messias beispielsweise wurde am 13. April 1742 nicht in London, sondern in Dublin uraufgeführt, wo der Meister den Winter zu verbringen pflegte. Die protestantische Gentry investierte ihr aus den Landgütern gewonnenes Vermögen in neue und prächtige Häuser in den georgianischen Vierteln außerhalb der zu eng gewordenen Stadtmauern. Die „Commission for Making Wide & Convenient Streets“, mit der 1757 die systematische Stadtplanung begann, zeigt schon mit ihrem Namen, worum es ging. Um die gleichzeitig sprießenden Slums kümmerte sich die Kommission allerdings nicht. Auch in Dublins goldenem Zeitalter zwischen 1782 und 1801, als die irischen Protestanten sogar ihr eigenes Parlament hatten (heute ist das Gebäude treffenderweise Sitz der „Bank of Ireland“), war das Los der katholischen Bevölkerung nicht rosig.
Der Act of Union beendete die Autonomieträume und ließ das überbordende Wachstum der Stadt abrupt abbrechen. Vom Boom des 19. Jh., als viele englische Industriestädte aufblühten, war hier wenig zu spüren. Bei der Niederschlagung