„Jesses, Maria und Josef. Na. Soweit i woaß, is der Herr Pfarrer scho dahoam. I hob mir a verlängert’s Wochenend frei genumma, um mei Schwester in Hildesheim zu b’such’n. Herrgott na. I bet zum heiligen Antonius, dass ihr iam wiederfinden dat. Is iam woas zug’stoßen? I hob doch ois zurecht g’moacht g’hoabt. Es is a g’nug zum Essen do g’wen. Er hoat sei Wohnung überhaupts net verlassen müssen. Woas is denn g’schehn?“
„Das wissen wir nicht so genau. Wir wissen überhaupt nicht, ob es den Pfarrer Fraas betrifft. Haben Sie vielleicht ein Foto von ihm?“
„Es is oans im G’meindehaus von St. Elisabeth im Arndtweg. Doa sann Bilder von oall die ehemaligen Pfarrer. Oaber um Himmels wuill’n. Bitt’ schön, so soagen ’s mir doch, woas g’schehn is.“
„Heute Morgen ist der Körper eines älteren Mannes in Rinteln am Weserufer angeschwemmt worden. Es gibt keine Vermisstenfälle in der Gegend. Bei unserer Befragung rund um den möglichen Tatort hat einer der Nachbarn angegeben, dass er Pfarrer Fraas spätabends gesehen hat, wie er in großer Eile Richtung Ufer gegangen ist.“
„Na, des ko net sei. Des is net möglich, unser oider Pfarrer. So spat is der no nia aus’m Haus goanga.“ Ihre Stimme klang jetzt ein wenig ruhiger. „Des is a Irrtum. B’schtimmt is er verwechselt worn.“
„Aber warum öffnet er dann jetzt nicht? Wir haben gegen Mittag bei ihm geklingelt. Niemand hat aufgemacht.“
„Ah geh, wissen’s, er ist scho ein bisserl taub auf die Ohrn, der guade Josef. Effentwell hoat er a a Musi g’hert. Mozart und Bach hoat er am liebsten mögn ...”
„Frau Brüderl, wir werden jetzt nach Hameln fahren und nach dem Foto fragen. Wenn sich etwas Neues ergibt, werden wir Ihnen Bescheid geben. Vielen Dank erst mal.“
„Gern g’schehn, Herr Kommissar. Gott hoab Sie selig. I bet zum Herrgott, dass em Herrn Pfarrer nix Schlimm’s g’scheng is.“
Inzwischen war es halb vier geworden. Noch einmal Richtung Hameln, aber das war nicht zu ändern. Sie hätten auf diesen vagen Verdacht hin keinen Durchsuchungsbeschluss für das Haus von Josef Fraas bekommen.
Die katholische Pfarrgemeinde St. Elisabeth lag nicht allzu weit von der Fontanestraße entfernt.
Sie mussten die Löhner Eisenbahnlinie überqueren und ein Stück die Roseggerstraße Richtung Nordost fahren. Das Kirchenbüro war noch besetzt. Lisa Schäfer, die Pfarrsekretärin, führte die Beamten zu Pfarrer Josefs Foto, das in einer Reihe mit seinen Vorgängern hing.
Ohne Zweifel, das war der Mann aus dem Wasser. Sie hatten recht gehabt mit ihrer Vermutung. Das war eben der siebte Sinn, der Riecher, mit dem gute Kriminalbeamte ausgestattet waren.
„Unser guter Pfarrer Josef ist jetzt seit ein paar Jahren im Ruhestand. Er war Leiter der Verwaltungsstelle der katholischen Jugend, und darüber hinaus war er bei der Gemeinde sehr beliebt. Immer korrekt. Immer freundlich und hilfsbereit. Eben das, was man sich unter einem guten Hirten vorstellt. Was möchten Sie denn von Pfarrer Fraas? Sie erreichen ihn nur noch privat in der Fontanestraße, Richtung Weser. Soll ich ihn für Sie anrufen?“
„Das wird nicht möglich sein, Frau Schäfer. Pfarrer Fraas ist heute Morgen in Rinteln am Flussufer tot aufgefunden worden. Wären Sie bereit, ihn zu identifizieren?“
Lisa Schäfer wich zurück. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Der Pfarrer tot? In Rinteln? Was hat er denn da nur gewollt? Und wieso ist er tot? Identifizieren? Nein, nein, das kann ich nicht. Ich hole Ihnen Pfarrer Martin.“
Sie rannte davon, als ob der Leibhaftige hinter ihr her war.
Wolf Hetzer blieb verdutzt zurück. Kruse zuckte mit den Achseln. „Ich kann sie verstehen.“
Auch Pfarrer Martin war schon gesetzteren Alters und die Ruhe selbst.
„Frau Schäfer sagt, Sie haben unseren Pfarrer Josef tot aufgefunden? Am Flussufer in Rinteln hat er gelegen? Das ist ja unfassbar.“
„Das müssen wir leider bestätigen. Dürfen wir uns vorstellen? Ich bin Kriminalhauptkommissar Wolf Hetzer und das ist mein Kollege Peter Kruse.“
„Vielleicht können wir uns in mein Büro setzen, meine Herren? Das wäre angenehmer und der Situation angemessener, denke ich.“
„Ja, vielen Dank. Kannten Sie Josef Fraas schon lange?“
„Oh ja, wir haben uns im Priesterseminar kennengelernt. Da war er fast fertig und ich noch ein Frischling.“
„Was war er für ein Mensch?“
„Er war ruhig, besonnen, sehr ehrlich – auch wenn es unbequem war. Meist war er auch kompromissbereit. Nur zum Schluss hat ihm seine Starrköpfigkeit da manchmal einen Strich durch die Rechnung gemacht.“
„Als Katholik würden Sie da sagen, dass er ein eher konservativer Geistlicher war, oder war er modernen Ideen gegenüber aufgeschlossen?“
„Oh, das lässt sich nicht so leicht sagen. In gewissen Ansichten war er im Mittelalter stehen geblieben. Dann wieder überraschte er uns mit Aussagen, die keiner von ihm erwartet hätte.“
„Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?“
„Fraas hatte zum Beispiel Verständnis für geschlechtliche Liebe vor der Ehe, auch wenn sie nicht zur Zeugung von Nachkommen diente, aber er hätte nie einer Legalisierung der Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare zugestimmt.“
„Die liberalen Ideen, hat ihm die jemand übel genommen? Wissen Sie, ob es Menschen gab, die ihn verabscheuten?“
„Sie fragen so, als ob Pfarrer Josef keines natürlichen Todes gestorben sei.“
„Das ist er auch nicht. Mehr können wir Ihnen aber zum momentanen Zeitpunkt nicht sagen.“
„Soweit ich weiß, hatte er keine Neider und Feinde. Aber wer weiß, es gibt so viele schlechte Menschen.“
„Wären Sie bereit, Herrn Fraas in der Rechtsmedizin in Stadthagen zu identifizieren? Wir würden das seiner Hausangestellten gerne ersparen.“
„Selbstverständlich. Bitte rufen Sie mich einfach an.“
„Uns wäre es am liebsten, wenn wir das gleich machen könnten. Wir nehmen Sie mit, wenn es Ihnen recht ist.“
„Ja, gut, einverstanden. Wenn es so dringend ist. Einen Moment, ich muss nur kurz regeln, wer meine Jugendgruppe übernimmt. Dann stehe ich Ihnen zur Verfügung.“
Pfarrer Martin Braun ging gemessenen Schrittes davon. Hetzer nahm sein Handy aus der Hosentasche und rief Mechthild an.
Hoffentlich war sie noch da.
„Ja?“
„Mica, bist du das? Hier ist Wolf.“
„Grrr, ich kann jetzt schlecht. Ich stecke mitten in einer Leiche. Kannst du später anrufen?“
„Nein. Ich mache es kurz. Wie lange bist du noch da?“
„Ein paar Nieren und Eierstöcke lang.“
„Ok, wir sind gleich da!“, sagte Hetzer und legte auf, bevor sie Nein sagen konnte.
Gemeinsam mit Pfarrer Braun fuhren Hetzer und Kruse über die B 83 in Richtung Steinbergen. In Buchholz nahmen sie die 442, die Abkürzung durch den Bückeberg. Knapp eine halbe Stunde später erreichten sie das Kreiskrankenhaus Stadthagen.
Mica war noch da.
Sie wusch ihre Hände von all dem rein, was niemand zu genau wissen wollte.
„Na, Wolf, hast du eine Fährte aufgenommen? Du klangst so ruhelos.“
„Darf ich vorstellen, das ist Dr. Mechthild von der Weiden. Ich weiß nicht, was