SchattenHaut & SchattenWolf. Nané Lénard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nané Lénard
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783827198884
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Zeugin die Eulenburg verließ. Sie winkte noch einmal, riss sich den weißen Schutzanzug ab und stopfte ihn samt Koffer ins Auto. Mica stand mit dem Heck ihres Volvos direkt vor dem historischen Gebäude. Sie verlor keine Zeit, sprang in den Wagen und fuhr zügig davon. Dabei wollte Hetzer sie noch auf den Topfinhalt angesprochen haben, seinen Vorsätzen zum Trotz. Er würde sie später anrufen.

      Die junge Frau, mit der sie sich unterhalten hatte und die gleichzeitig ihre Tatortzeugin war, stand etwas verloren auf der Treppe und sah Mica nach.

      Als Wolf behutsam „Sie sind Frau Serafin? Sie haben die Leiche entdeckt?“ fragte, schien er sie aus ihren Träumen zu reißen.

      „Äh ja, das war einfach umwerfend!“

      Hetzer und Kruse sahen sich an. Beide fanden die Ausdrucksweise ein bisschen merkwürdig.

      „In der Tat umwerfend, wenn man zart besaitet ist. Geht es Ihnen nicht gut?“

      Wer hatte dafür mehr Verständnis als Hetzer und Kruse?

      „Mir geht es phantastisch. Ich habe noch nie ein so morbides Biotop gesehen und das auch noch vollkommen unberührt. Dass ich einmal ein Mordopfer finden würde – völlig krass!“

      Peter und Wolf waren perplex. Das hatten sie noch nie erlebt. Eine so unverhohlene Begeisterung bei einer derart widerlichen Situation.

      „Sie müssen mich für zweifelhaft halten“, lachte Nadja. „Es ist nur so, dass ich mich eben endgültig dafür entschieden habe, Rechtsmedizinerin zu werden. Zell- und Gewebeproben reichen mir nicht. Fälle wie diesen hier aufzuklären, das ist meine Zukunft.“

      „Verstehe“, sagte Hetzer und verstand nix.

      „Sehen Sie, ich bin Ärztin und habe schon Weiterbildungen in dieser Richtung absolviert. Ich scheute mich aber, ganze 60 Monate dafür zu opfern. Jetzt weiß ich, dass ich dazu beitragen möchte, solchen Schweinen das Handwerk zu legen, die Menschen brutal umbringen. Apropos Schwein. War das Opfer auch eins?“

      „Wie kommen Sie darauf? Äh, ich verstehe Ihre Frage nicht.“

      „Na, weil er geschlachtet worden ist wie ein Schwein. Aufgehängt und angestochen, danach alle Haare abgeflammt – überall. Fehlt nur der Bottich, in dem jemand sein Blut gerührt hätte.“

      Kruse schluckte.

      „Frau Serafin“, sagte Hetzer. „Nun wollen wir mal ganz von vorn anfangen. Ihre Begeisterung und Ihr Engagement für die Belange der Rechtsmedizin in Ehren. Aber wir müssen erst einmal wissen, wie sich das Auffinden der Leiche zugetragen hat.“

      „Gelegentlich schreibe ich immer noch für die Schaumburger Zeitung. Das habe ich bereits während meines Studiums getan. Jetzt mache ich eher Reportagen, am liebsten historische. Die aktuelle soll von der Zeit der Hexen in Rinteln handeln. In der Woche arbeite ich momentan an der MHH in Hannover. Da ist es schwierig für mich mit den Recherchen. Ich war mit der Museumsleitung so verblieben, dass ich am Wochenende, wenn geöffnet ist, nach alten Dokumenten suchen darf. Die Ergebnisse stelle ich hinterher dem Museum zur Verfügung. Geschichte ist mein zweites Steckenpferd, wissen Sie!“

      „Sie sind also die Treppe zum Boden hinaufgestiegen. Wann war das genau?“

      „Das muss so gegen 14:15 Uhr gewesen sein. Ich war hier, kurz nachdem die Eulenburg aufgemacht hat, und habe dann gewartet, bis man mir den Schlüssel aushändigt.“

      „Ist Ihnen bereits auf der Treppe etwas aufgefallen?“

      „Der Geruch war schon kurz vor der Tür in der Luft. Ich dachte aber eher an ein totes Tier, einen Marder oder so etwas. Diese alten Dächer sind nie ganz dicht und oft ein Zuhause für unerwartete Gäste. Als ich die Tür dann aber aufgemacht habe, traf mich der Gestank wie ein Hammer.“

      „Das spricht für die Qualität der Tür!“, warf Peter ein.

      „Diese massiven Holztüren sind mindestens 20 cm dick. Sehen Sie sich mal das Schloss an. Ein Meisterwerk historischer Schmiede- und Schlosserkunst!“

      „Als Sie die Tür geöffnet hatten, haben Sie da sofort gesehen, was passiert war?“

      „Nur diffus. Es gibt dort oben ein paar Fenster, aber sie beleuchten nicht alles.“

      „Dann haben Sie also Licht gemacht? Hatten Sie keine Angst?“

      „Angst, wieso? Wenn eine Leiche schon stinkt, kann man doch wohl davon ausgehen, dass sich niemand anders in ihrer Nähe aufhält, oder würden Sie das tun? Ja, ich habe Licht angemacht. Ich wollte doch sehen, was da genau hing. Wären Sie nicht neugierig gewesen?“

      Hetzer überging die Frage.

      „Haben Sie noch etwas anderes berührt? Ich meine, außer dem Lichtschalter? Überlegen Sie genau. Das ist wichtig für die Ermittlungen.“

      „Sie müssen mich für dämlich halten. Natürlich habe ich nichts angefasst. Das sieht man doch in jedem Tatort. Den Lichtschalter habe ich übrigens mit dem Schal betätigt. Ich ahnte ja schon, dass da kein Tier hängt. Es hätte natürlich auch Selbstmord sein können, aber sicher ist sicher.“

      Kruse war genervt durch die selbstgefällige Art der jungen Frau. Er fragte:

      „Wieso hat es dann noch eine halbe Stunde gedauert, bis Sie uns angerufen haben?“

      Nadja Serafin antwortete nicht gleich. Die Frage war ihr unangenehm.

      „Sie werden das nicht verstehen. Ich habe beobachtet. Den Körper, die Versengungen, die Narben, den Stich, die Maden.“

      Bei diesen Worten musste Hetzer wieder an seinen Topf denken und war sich jetzt ganz sicher, dass er etwas mit dem Fall zu tun hatte. Fleisch mit Maden wie hier. Er hätte schwören können, dass die Ratte auch vielleicht von einer Katze erlegt worden war, aber dass sie bestimmt jemand anders auf seiner Fußmatte drapiert hatte.

      „Wenn Sie keine Ärztin wären, würde ich Sie für gestört halten. In Ihrem Fall kann ich das Interesse sogar ansatzweise verstehen. Dumm ist nur, dass Sie eventuelle Fußspuren durch Ihre ,Beobachtungen’ zerstört haben.“

      „Das wird sich in Grenzen halten. Ich habe den Mann durch das Zoomobjektiv meiner Kamera betrachtet. Ich bin also gar nicht so dicht rangegangen.“

      Mist, dachte Nadja, ich hab mich verplappert. Jetzt kassieren sie die Kamera samt Bildern ein.

      „Wo ist denn das gute Stück jetzt? Haben Sie auch Bilder gemacht?“

      „In meiner Hosentasche und ja, ich habe ein paar Mal abgedrückt.“

      „Dann darf ich Sie bitten, uns die Kamera zu überlassen. Sie bekommen sie dann später wieder – ohne die Tatortfotos.“

      Nadja fluchte innerlich, zog aber die Digicam aus der Tasche und händigte sie Hetzer aus.

      „Haben Sie noch irgendwelche Beobachtungen gemacht? Etwas, das Ihnen komisch vorkam?“

      „Ich hatte nur so einen Gedanken. Wenn ich es richtig gesehen habe, dann fehlte dem Herrn ein entscheidendes Detail.“

      „Dazu können wir Ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen keine Auskunft geben.“

      „Ok, aber mal angenommen, es wäre so. Bei Schweinen – um mal bei dem Bild zu bleiben – entfernt man den jungen Ebern nur die Hoden. Allgemein wird doch bei Kastrationen im Tierreich das männliche Glied belassen, wo es ist. Hier war aber keins. Warum?“

      „Sagen Sie mir, warum.“

      „Er sollte kein Mann mehr sein – nicht nur hormonell, sondern auch optisch.“

      „Ah, meinen Sie“, Hetzer streckte sich. „Vielen Dank, Frau Serafin. Wir müssen hier noch weitere Befragungen vornehmen. Ich gebe Ihnen hier meine Karte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, möchte ich Sie bitten, mich anzurufen.“

      Als Kruse und Hetzer ihre Befragungen in der Eulenburg beendet hatten, war die Spurensicherung immer noch nicht fertig.

      Wolf