Morgen wird ein guter Tag. Sir Thomas Moore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sir Thomas Moore
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783854457060
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zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Großen Krieg ein wichtiger Sport. Es existierten zahlreiche lokale Vereine, und die Keighley News führte jahrelang eine eigene Kolumne über das Hobby, in der sie regelmäßig über Vater und meinen Onkel berichtete. Die größte Ausstellung in unserer Region – sie dauerte eine ganzen Tag – fand in Bingley statt, wo die beiden regelmäßig mit dem Pokal nach Hause zogen, ganz zur Freude von Großvater Thomas, der auch ein begeisterter Geflügel-Freund war. Die zwei reisten im ganzen Land herum, um ihre Vögel auszustellen. In der Ausgabe des Poultry-Magazins 1904 beschrieb man ihre acht Hektar große Geflügelfarm an der Lawkholme Lane als eine „berühmte Ausstellungsfarm“. In dem vierseitigen Artikel stand:

      Die Messrs Moore Brothers waren in unserem Hobby bis vor drei Jahren kaum bekannt, doch heute ist ihr Name berühmt und höchst respektiert, wo auch immer sich die Freunde der Geflügelzucht auf unseren Inseln treffen, in Amerika, in den Kolonien oder auf dem Kontinent. Will und Wilfred Moore sind die Söhne von Mr. Thomas Moore, einem bekannten und respektierten Bürger von Keighley. Die Brüder geben schnell und bereitwillig zu, dass die Ratschläge und die Ermutigung ihres Vaters maßgeblich zu ihrem eigenen Erfolg beigetragen haben, denn Mr. Moore senior war sein ganzes Leben lang ein Liebhaber der Geflügelzucht und lässt […] als Vizepräsident des Partridge-Wyandotte-­Clubs ein großes Interesse an dem Hof erkennen.

      Ungefähr 1909 gaben die Brüder die Geflügelzucht auf und besuchten keine Ausstellungen mehr. Beide hatten geheiratet, und der Krieg zog schon am Horizont auf, weshalb der Druck, der auf dem Unternehmen lastete, möglicherweise den Sinneswandel verursachte. Mein Vater hing aber noch an der alten Geflügelfarm und reservierte sich eine Ecke, um dort einen Obstgarten mit Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäumen zu bewirtschaften. Dort hegte und pflegte er auch seine mit Preisen ausgezeichneten Dahlien. Jedoch pflanzte er niemals Gemüse an, auch nicht im Zweiten Weltkrieg, als der altehrwürdige Victoria Park im Rahmen der landesweiten „Dig for Victory“-Kampagne für den Anbau von Tomaten umgepflügt wurde. Manchmal ging ich mit ihm zu seinem geliebten Fleckchen Erde, doch ich war niemals ein geduldiger Gärtner, und die Pflanzen wuchsen mir nie schnell genug.

      Das Geheimnis seiner Dahlien lag in der guten Düngung. Als ich noch ein Knabe war, besaßen Thomas Moore & Sons ein Paar wunderbare Shire Horses namens Prince und Duke. Vater nahm mich an den Wochenenden immer zur Fütterung zu den Ställen mit, während er einen ganzen Sack Pferdeäpfel einsammelte. Auf Anweisung meines Opas wurden die Ställe peinlichst sauber gehalten, und es gab viel frisches Heu und Stroh, womit die Pferde das beste Futter hatten. Prince war dunkelbraun und Duke ein Mix aus Schwarz und Braun. Sie müssen riesengroß gewesen sein, denn ihre Köpfe ragten weit über der halb geöffneten Stalltür auf. Oft stupsten sie mir die Kappe vom Kopf, ganz begierig darauf, eine Handvoll Haferkörner zu bekommen. Ich war sehr traurig, als sich die Firma modernisierte und den ersten Ford Model T anschaffte und danach einen Leyland-Kipplader, um die Arbeiter und das Material zu befördern.

      Die gut erzogenen Pferde, die man zum Grasen in glückliche Pension geschickt hatte, schienen mir weniger Schwierigkeiten zu bereiten, denn man zog nur kurz an den Zügeln und schon ging es los. Bei den Automobilen mussten die Arbeiter zum Start des Motors kraftvoll eine Kurbel bedienen – es war noch in der Zeit vor der Hydraulik – und auch die Ladefläche des Kippers selbst hoch- und runterkurbeln. Diese Veränderung signalisierte das Ende einer weiteren Ära.

      Jede Industriestadt hatte einmal im Jahr eine ganze Woche lang Urlaub, auch bekannt als „die Totenwache“, damit die verschiedenen Mühlen und Fabriken die restliche Zeit ohne Unterbrechung produzieren konnten. Bei uns war es die letzte Woche im Juli, die Keighley Feast Week und gleichzeitig die sieben Tage des Jahres, die Freda und ich am dringlichsten herbeisehnten, da wir dann in den Urlaub fuhren.

      Vater und Mutter luden in den Wagen, was gebraucht wurde, und schon ging es für ganze fünf Tage freudig aufgeregt nach Whitby. Dort wohnten wir in einer kleinen Pension mit Ausblick auf den Rangierhof für Dampfmaschinen, und ich hatte das Gefühl, in meinem eigenen mechanischen Paradies zu leben, das nur wenige andere zu schätzen wussten. In Whitby fing ich auch meinen ersten Fisch vom Ende des Piers aus. Dabei benutzte ich eine Leine, die an einem selbst geschnitzten hölzernen Gestell hing. Der Fisch – eine unbekannte Art – war ungefähr 20 Zentimeter lang. Ich nahm ihn in unsere Pension mit und bat die Vermieterin, ihn zum Frühstück zu braten, wonach ich bekannt gab, den wohl köstlichsten Fisch aller Zeiten gegessen zu haben.

      Manchmal fuhren wir zur Abwechslung nach Bridlington oder Morecambe. Bei einem erinnerungswürdigen Ausflug nach Southport Sands steckte mir Mum fünf Schillinge für einen Flug zu. Ich saß hinter dem Piloten eines Doppeldeckers aus dem Großen Krieg und sauste über die Küste. Das war sehr aufregend, und ich konnte mein Glück gar nicht fassen. Ich beobachtete zuerst, wie der Flieger mit zahlenden Gästen hin- und herflog, und wusste, dass da nichts zu befürchten war. Als man mich jedoch hinter dem Piloten festschnallte, umklammerte ich ihn fest mit beiden Armen. Der Motor startete mit einem unglaublichen Lärm, und dann hoben wir schon von der Sandpiste ab und direkt auf den Himmel zu. Als die Maschine über die Bucht flog, sah plötzlich alles wie eine Miniaturstadt aus mit kleinen, winkenden Bewohnern. Für mich war das ein ganz besonderer Augenblick, denn ich saß zum ersten Mal in einem Flugzeug. Ich würde mich gerne daran erinnern, was für ein Model es war – möglicherweise eine Sopwith –, aber der Typ ist im Laufe der Zeit in meinen Gehirnwindungen verschwunden. Das einzige Traurige an dem Tag war das frühzeitige Ende des Flugs. Ein Teil von mir wünschte sich insgeheim, dass Mutter die zusätzlichen zwei Schillinge und sechs Pence bezahlt hätte, um noch länger zu fliegen und höher in den Himmel aufzusteigen. Als wir zu einem Halt rollten, kippte die Maschine auf eine Flügelseite. Blitzschnell kam ein Mann angerannt, der sie wieder anhob, damit wir sicher aussteigen konnten. Ich rannte mit vor Aufregung geröteten Wangen zurück zu meinen Eltern, vom Wind zerzaust, mit großen Augen und unendlich dankbar.

      Zu Weihnachten besuchten wir immer das Theatre Royal in Leeds oder das Alhambra in Bradford, um uns die Festtagspantomime anzusehen, die auch Vater genoss, obwohl er die Rufe „Oh, nein, er ist es nicht!“ nicht hören konnte, die wir alle freudig von uns gaben. Am Pfingstwochenende, das auf dem siebten Sonntag nach Ostern fiel, fuhren wir zum Blackpool Tower Circus, das beeindruckendste Spektakel in meinem jungen Leben mit all den wilden Tieren, den Akrobaten und Clowns. Am liebsten mochte ich die weißen Pferde mit den großen prächtigen Federn, die man am Zaumzeug befestigt hatte. Sie wurden von hübschen Mädchen in knappen Kostümen geritten, die mutig auf- und absprangen, während die Pferde durch die Manege galoppierten. Sogar in so einem jungen Alter beeindruckten mich die Mädchen, und der verführerische Duft ihres Parfüms, der sich mit dem Geruch von Fettschminke und Pferdeschweiß vermengte. Diese Erinnerung ist stark haften geblieben.

      Einige der Mädchen traten später noch auf einem Hochseil auf oder baumelten gefährlich an einem Trapez. Wir hielten alle die Luft an, als eine von ihnen beinahe stürzte (etwas, das sie fast jedes Jahr machte). Im Zirkus traten außerdem ein Schlangenmensch und eine Truppe kleiner Menschen auf, die als Zwerge vorgestellt wurden und urkomische Vorstellungen gaben. Einer der dramatischsten Auftritte war eine Tiernummer mit Elefanten, Löwen und Tigern, die Tricks vorführten. Das ist heute zu Recht verboten, da es weder natürlich noch fair ist, einen Elefanten auf einem Bein stehen zu lassen oder einen Tiger dazu zu bringen, durch einen brennenden Reifen zu springen, während der Dompteur die Peitsche knallen lässt. In jenen Zeiten einer unschuldigen Naivität fanden wir das alle atemberaubend und waren – als leidenschaftliche Tierliebhaber – zufrieden, dass sie gepflegt und gut gefüttert wirkten.

      Bei der Vorstellung wurde auch ein Swimmingpool benutzt, der wie von Magie unterhalb der Manege erschien. Dort führten uns dieselben Pferdemädchen (in noch knapperen Badeanzügen) synchrone Übungen vor. Eine von ihnen verschwand immer durch einen geheimen Ausstieg, weshalb jeder befürchtete, sie sei ertrunken. Dann gab es noch die Seelöwen, die Bälle auf ihren schnurrbärtigen Nasen balancierten und die Menge mit ihren Flossen nass spritzen, während sich ein starker Fischgeruch ausbreitete. Für einen jungen Burschen aus Keighley war das magisch, bezaubernd und vollkommen vereinnahmend.

      Ich glaube, wir alle mochten den Zirkus – einfach da zu sitzen und Vanilleeis aus kleinen Bechern mit Holzlöffeln zu essen –, doch den meisten Spaß hatte vermutlich mein Vater, der besonders die Clowns liebte. Opa Thomas hatte ihn schon