Morgen wird ein guter Tag. Sir Thomas Moore. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sir Thomas Moore
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783854457060
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jedoch in der Suche nach dem lokalen schwarzen Edelstein namens Lignit, eher bekannt als Jet. Wir nahmen die gefundenen Steine mit nach Hause und polierten sie. Ja, das waren die unschuldigen und glücklichen Tage.

      All die Gedanken an Strände, Schwimmen und Jet waren schnell vergessen, als ich im Alter von fünf Jahren auf die Drake-and-Tonson-Grundschule ging, wofür mein Vater Schulgeld entrichten musste. Sie lag in der Temple Street in Keighley, und ich musste die zweieinhalb Klometer mit dem Fahrrad zurücklegen, um hinter meinem kleinen hölzernen Tisch Platz zu nehmen. Als kleiner Junge, der lesen und schreiben lernte – dabei benutzte man schon angespitzte HB-Bleistifte und Papier und keine Schiefertafeln mehr –, benahm ich mich immer gut und wurde nie zu der schottischen Direktorin Mrs. Kirk zitiert. In meiner Klasse mit 20 Mitschülern machte ich stets das, was mir aufgetragen wurde, hauptsächlich wegen meiner liebenswerten Lehrerin Miss Ruth Moffitt, die in ihren Zwanzigern war und Ringellocken hatte. Es existieren einige Fotos von mir bei den Schul-Historienspielen, wo ich eine Trommel schlug oder Trompete spielte. Obwohl ich darauf ein bisschen traurig wirke, erinnere ich mich an eine glückliche Zeit.

      Freda besuchte dieselbe Schule, war aber in der Klasse über mir, zusammen mit einem Jungen namens Denis Healey, der mit seiner Familie in die Gegend gezogen war. Er wurde später Schatzmeister und dann ein Lord. Healey schien ganz nett zu sein. Sein Vater war der Rektor der technischen Hochschule im Ort, und seine Mutter war eine der nettesten Damen, die man sich vorstellen konnte. Für uns war sie einfach ein Schatz. Sie lud Mutter und uns oft zum Nachmittagstee in ihr Haus ein. Das war zu der Zeit höchst ungewöhnlich.

      Die Schule war prima, aber das Mittagsessen kam überhaupt nicht an Mums Kochkünste heran, und so radelte ich mittags meist nach Hause. Mutter war eine sehr gute Köchin und backte exzellent. Sie lehrte mich alles, was ich über die Küche weiß. Ihr Victoria-Biskuitkuchen mundete unvergleichlich, und der saftige Ingwer-Lebkuchen war das wohlschmeckendste Gebäck, das ich je gekostet habe. Später, nach Ausbruch des Krieges, wurden die Nahrungsmittel rationiert, doch wir mussten nie hungern. Obwohl Mum für ihre Zeit fortschrittlich dachte und daran glaubte, dass jeder Frau ihr gerechter Anteil an allem zustand, erwartete man immer noch von ihr, dass sie täglich drei Mahlzeiten auf den Tisch brachte. Sie hatte zwar spät geheiratet, aber dafür den perfekten Mann gefunden. Zwischen den beiden fiel kein einziges böses Wort. Ich hatte niemals das Gefühl, dass sie sich über ihre Rolle ärgerte oder ihren Beruf als Klassenlehrerin vermisste. Und sie sorgte gut für uns.

      Zum Frühstück gab es Haferbrei und Brot, danach zur Mittagszeit – exakt um 12 Uhr – eine Mahlzeit mit Fleisch und Kartoffeln. Das Essen musste dann schon auf dem Tisch stehen, denn mein Vater unterbrach seine Arbeit pünktlich und kam stets zu Fuß nach Hause. Am Abend stand eine warme Suppe auf dem Speiseplan und an jedem Wochenende Rinder- oder Lammbraten. Oft brachte uns Mutter zum eine Meile entfernt liegenden Haus meiner Oma in der Queen’s Road im Ortsteil Ingrow. Wir fuhren dann mit der Straßenbahn, die bei uns ironisch „Fährtenleser“ hieß und die für Fabrikarbeiter vor 8 Uhr am Morgen einen ermäßigten Fahrpreis anbot. Mir waren die lauten und wackeligen Wagons egal, denn mich faszinierte der Straßenbahnfahrer mit seiner Schirmmütze und der schnittigen Uniform, einer Ledertasche für die Tickets und einem Geldwechsler, der an einem Gurt hing. Am Ende der Strecke stieg er aus, nahm einen langen Stab mit einem Haken, löste das obere Straßenbahnrad von dem Oberleitungskabel und hängte es in das daneben verlaufende ein, damit die Bahn wieder nach Keighley zurückfahren konnte. Das war eine heikle und gefährliche Aufgabe, aber da alle Passagiere zusahen, stand er so unter Druck, dass er es niemals verfehlte.

      Oma Fannys Haus war nicht mehr als ein Zweizimmergebäude – eine winzige Immobilie, in der in regelmäßigen Abständen auch Alfred, der Lieblingsonkel meiner Mutter, wohnte. Das Haus hatte keinen Garten, jedoch ein außen stehendes Plumpsklosett. Ich liebte die Besuche, da Omi Fanny eine so gütige und warmherzige Frau war, dass sie immer das Gute in den anderen sah, egal, wie schlecht sie auch mit ihr umgingen. Sie war sicherlich die gläubigste Christin, der ich jemals begegnet bin, und eine andächtige Kirchgängerin. Sie besuchte die damals sogenannte „primitive“ Methodistenkirche, wie es auch ihr bereits verstorbener Mann gemacht hatte. Oma hatte keine Süßigkeiten, doch dafür gab sie mir Würfelzuckerstücke, etwas, wofür man heute die Augenbrauen hochziehen würde. Auch sie war eine leidenschaftliche Köchin und brauchte dafür – das muss man unterstreichen – keine Waage. Sie machte den besten Reispudding, den sie immer in einer großen Emailleschale servierte, derselben, die sie auch für den traditionellen Yorkshire Pudding benutzte.

      Zur damaligen Zeit aßen die Leute alles von einem Tier, auch die Lungen, das Gehirn, die Leber, die Nieren und das Herz. Es existierte sogar ein Rezept für eine sogenannte französische Suppe, bei der man einen kompletten Schafskopf kochen musste. Wir haben das niemals zubereitet, doch ich bin mir sicher, dass es mir nicht geschmeckt hätte, denn ich mag keine Innereien. In dem Buch standen auch Rezepturen für Lotionen oder Heilsäfte, die bei Beschwerden von Hexenschuss bis Gicht helfen sollten, da die Leute selbst auf ihre Gesundheit achten mussten. Eine allgemeine Gesundheitsversorgung stand damals noch in den Sternen, und wenn man einen Doktor aufsuchte oder rief, musste man dafür bezahlen.

      Ich erinnere mich an eine Fahrradfahrt in Bingley, bei der ich mit einem Rad in die Straßenbahnschienen kam. Ich fiel und riss mir die Wange auf. Jemand half mir wieder aufs Fahrrad, und ich sauste die 6,5 Kilometer blutend nach Hause. Mutter brachte mich zu Dr. Chambers, der die Wunde dann nähte. Ich kann mich nicht erinnern, wie viel das gekostet hat, doch es war möglicherweise ein Pfund. Ich hatte Glück, dass wir uns die Behandlung leisten konnten, denn viele Menschen waren dazu nicht in der Lage und mussten sich selbst zusammenflicken oder irgendwo ein Armenhaus finden, das von einer Krankenschwester geleitet wurde, die dann eine notdürftige Versorgung vornahm.

      Wenn ich nicht zur Schule musste und Ferien hatte, war mein Lieblingstag der Markttag. In Keighley fand dieser jeden Mittwochmorgen in der High Street statt, wobei Freda und ich unserer Mutter voller Freude bei den Einkäufen halfen. Da die Menschen oft von weither kamen – zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit einem Ponywagen –, herrschte dort eine lebendige Atmosphäre und man hörte überall Stimmen und Geräusche. Die Händler riefen die Preise für ihre Waren aus, die auf von Fässern gestützten Brettern lagen, und die Frauen von Keighley – alle mit Hüten – schritten zwischen den Stoffüberdachungen auf und ab. Sie wählten dann ihren Obst- oder Käsehändler aus, bei dem sie etwas kaufen wollten, während sie mit Freunden und Nachbarn plauderten. Die ganze Zeit über – an den Rändern des Marktgeschehens – standen die ärmeren Kinder der Stadt, die mit ausgehöhlten Augen begierig darauf warteten, dass ein Apfel aus einem Korb fiel oder vielleicht ein kleines Brot.

      Ich war immer scharf auf Butter, die man in runden, isolierten Bottichen mit einer Höhe von 50 Zentimetern aufbewahrte. Da verschiedene Sorten zur Wahl standen, durfte man Proben auf hölzernen Stöckchen kosten – gesalzen, ungesalzen, Farmbutter oder „ausländische“. Nachdem Mum sich für eine Sorte entschieden hatte, holte die Händlerin einen Block aus dem Gefäß und schnitt ihn mit hölzernen Buttermessern in kleine Rechtecke, wonach sie in fettabweisende Papierfolie gelegt wurden. Diese Stücke verschwanden dann in Mutters Korb. Mehl, Zucker und alle Sorten von getrockneten Hülsenfrüchten lagerten in großen Säcken. Man füllte diese Lebensmittel in Papiertaschen, deren Böden – wenn es nass wurde – auf dem Nachhauseweg ausrissen. (Freda war immer die Erste, die lachte, wenn mir das passierte.) Die braunen Erbsen, die Mutter für den Eintopf nahm, waren in festeren, länglichen Pappkartons zu haben, die ich natürlich lieber trug. Auch gab es Sago und Tapioka, Enten- und Hühnereier und eine Vielzahl frischen Gemüses, aber das nur jahreszeitenbedingt und aus lokalem Anbau. Wir hatten damals noch nie etwas von Bananen oder Pasta gehört! Fleisch und Fisch wurden nur beim Metzger und Fischhändler erworben. An Marktständen gab es beides nicht, da man damals noch nicht die Möglichkeit der ausreichenden Kühlung hatte. Mein Lieblingsgeschäft war das Home and Colonial, das Tee anbot und allgemein Lebensmittel und einem heutigen Warenhaus entfernt ähnelte. Ich mochte auch den