Fantasy. Martin Hein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Hein
Издательство: Bookwire
Серия: Musiker-Biografie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783708105260
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natürlich ein gefundenes Fressen: „Na, Fredi. Du willst also Sänger werden? Hahaha … du kleiner Spinner.“

      Ich war entsetzt über diese Gemeinheiten. Das ging lange so. Viele Jahre lang wurde ich in der Schule belächelt und ausgelacht. Das hat mich aber eigentlich immer bestärkt. Ich dachte mir: Lacht ihr ruhig. Irgendwann werdet ihr schon sehen, dass ich ein erfolgreicher Sänger geworden bin. Es ist wirklich wahr, mich haben die Hänseleien meiner Klassenkameraden total stark gemacht beim Verfolgen meines Plans: Ich wollte Sänger werden, und ich war mir ganz sicher, dass sich dieser Riesentraum eines Tages für mich erfüllen würde.

      Ich tat deshalb fast nichts anderes mehr, widmete mich der Musik und traf mich kaum noch draußen mit Gleichaltrigen. Ich war so gut wie immer zu Hause, hörte Platten, sang und übte Texte ein. Ich wusste, ich würde es schaffen. Dass ich allerdings einmal so berühmt und erfolgreich werden würde, wie es heute der Fall ist, hätte ich natürlich nicht gedacht.

      Jede Mark meines Taschengeldes investierte ich in neue Schallplatten. Manchmal bekam ich auch von meiner Tante Eva ein bisschen Geld zugesteckt oder von Ivan, dem damaligen Freund meiner Mutter. Er wusste, sobald ich drei Mark zusammengespart hatte (so viel kostete damals eine Single), würde ich in den nächsten Musikladen gehen und mich dort stundenlang herumtreiben auf der Suche nach einem neuen Fund. Somit war garantiert, dass er und meine Mutter zu Hause sturmfreie Bude hatten und ich ihnen nicht auf die Nerven fallen würde. Wir hatten also beide etwas von Ivans vermeintlicher Großzügigkeit. Mir sollte es recht sein. An besonders spendablen Tagen gab er mir sogar zehn Mark. Davon konnte ich mir drei Singles oder eine Platte kaufen. Yeah!

      Die Lästereien in der Schule hörten erst auf, als mich meine Klassenkameraden singen hörten. Es war im Rahmen eines Schulfestes, und ich wurde von meinem Musiklehrer gebeten, in der Aula aufzutreten. Er fand es toll, dass ich sang, und versuchte mich, so gut es ging, zu unterstützen. Ich willigte ein, aber unter der Bedingung, dass ich nicht mit meiner eigenen Stimme singen müsste, sondern nur quasi Playback den Song imitieren würde. Ich wählte dazu „Only For Love“ vom britischen Sänger Limahl aus; er hatte seinen Durchbruch 1983 als Sänger der Band Kajagoogoo geschafft und startete kurz darauf seine Solo-Karriere. „Only for you“ wurde zum Hit, und weltweit bekannt wurde er dann 1984 mit dem Song „The Never Ending Story“, den er gemeinsam mit Giorgio Moroder für den Kinofilm Die unendliche Geschichte geschrieben hatte. Ich fand Limahls blondierte Vokuhila-Igelfrisur genial und wählte bewusst eines seiner Lieder für die Premiere in meiner Schule.

      Diesen Moment werde ich nie vergessen. Ich war 13, meine Mutter hatte mir extra neue Sachen zum Anziehen gekauft. Die Schuhe waren nicht schön, keine Markenschuhe, aber sie sahen so ungemein poppig aus. Und siehe da, meine Mitschüler waren begeistert von meinem Auftritt, und die ganze Schule hat mich richtig gefeiert! Na also, geht doch, Jungs.

      In der siebten Klasse fing ich dann richtig zu rebellieren an. Ich war schon immer auf liebenswürdige Weise frech gewesen und versuchte nie, meine Lehrerin zu beleidigen, alles sollte Spaß bleiben und Spaß machen. Doch nun fing ich plötzlich an, ein Störenfried zu werden. Ich wollte cool sein, denn ich war in der siebten Klasse schon wieder sitzengeblieben (meine zweite Ehrenrunde) und musste nun also in einer neuen Klasse das Schuljahr wiederholen.

      Eine meiner neuen Klassenkameradinnen hieß Nicole, eine andere Simone. Die Mädels waren extrem gut drauf und unglaublich lustig. Sie haben immer Unsinn gemacht. Immer. Und sie haben auch schon geraucht und heimlich Alkohol getrunken. Durch Simone und Nicole fing ich an, in der Pause auch mal eine zu rauchen, weil ich dachte, mit der Kippe im Mund würde ich erwachsen und cool wirken. War ich aber nicht. Auf jeden Fall haben die beiden immer Mist gemacht, und sie haben mich irgendwie damit angesteckt.

      Simone, die später an Krebs erkrankte und leider nicht mehr lebt, hat im Englischunterricht gern unseren Lehrer verarscht. Das war so lustig. Wenn sie aufgerufen wurde, hat sie mit einem ganz schlimmen Akzent gesagt: „I don’t understand sis länkwitsch …“ Die ganze Klasse lag natürlich vor Lachen auf dem Boden. Das imponierte mir. Ich wollte ebenso lustig sein und erreichen, dass auch wegen mir alle lachen mussten. Also fing ich an, auf lustig zu machen, und spielte fortan den Pausenclown. Das ist mir auch immer ganz gut gelungen. Meistens habe ich es geschafft, dass die Lehrer dermaßen von mir genervt waren, dass ich nach 20 Minuten aus dem Unterricht geworfen wurde und bis zur Pause auf dem Flur draußen warten musste.

      Beispielsweise habe ich einmal meine Englischlehrerin ausgelacht, weil sie wirklich ein fürchterliches Englisch redete. Im Englischunterricht hieß ich „Henry“. Wir durften uns alle englische Namen aussuchen. Bei ihr hieß es dann: „Henry, pliiies go to se boart and rite a word.“ Sie hatte einen ganz grässlichen Akzent. Ich saß vor ihr und hatte meiner Meinung nach eine gute englische Aussprache, alleine schon deshalb, weil ich immer englische Lieder nachgesungen habe. Ich wusste auf jeden Fall, dass das total falsch war, was sie da sagte, vor allem auch, wie es klang. Ich stand also auf und sagte zu ihr: „Ich will Ihnen mal was sagen. Ich möchte Ihr Englisch gar nicht lernen. Ich verstehe nicht, wie Sie Englischlehrerin werden konnten, wo Sie doch ein so grässliches Englisch sprechen. Wenn ich hier Englisch lernen müsste, würde ich mich im wahren Leben niemals trauen, auch nur ein Wort zu sprechen.“

      Die Klasse hielt geschlossen die Luft an. Raten Sie mal, wie es weiterging. Richtig. Ich konnte den Englischunterricht verlassen – und zwar für immer. Die Lehrerin hatte sich beim Direktor über mich beschwert. Was nun? Englisch machte mir keinen Spaß, Kunst auch nicht. Sogar der Musikunterricht langweilte mich.

      Wir hatten eine Musiklehrerin, die ganz schlimm war. Wenn einer von uns ihren Unterricht störte, hat sie jedes Mal mit ihrem Fuß auf den Boden gestampft und geschrien: „Ruhe jetzt!“ Die ganze Klasse hat gelacht, weil wir das so lustig fanden. Eigentlich haben wir in jeder Musikstunde nur darauf gewartet, bis sie das machte. Alle lagen dann vor Lachen auf dem Boden. Sie besaß überhaupt keinen Geschmack und ließ uns lauter grässliche Lieder singen. „Die Forelle“ von Franz Schubert, 1816 komponiert und somit völlig am Musikgeschmack junger Leuten vorbei. Oder „Ännchen von Tharau“, auch so ein alter Schinken aus dem 17. Jahrhundert. Als die gute Dame zufällig mitbekam, dass ich sang, meinte sie, ich solle mal eine Kassette von mir in den Musikunterricht mitbringen.

      Ich hatte tatsächlich schon ein Demo von mir aufgenommen: „Schachmatt“ von Roland Kaiser. Zu Beginn der nächsten Stunde habe ich ihr dann meine Kassette in die Hand gedrückt. Sie grinste mich fies an und sagte: „Dann wollen wir uns dieses Werk doch gleich mal gemeinsam anhören.“ Ich wusste ja, dass sie mich nicht leiden konnte, und rechnete damit, dass sie mich total zerpflücken würde. Ich wusste aber gleichzeitig auch, dass ich das Lied richtig gut gesungen hatte.

      Es kam, wie es kommen musste. Die frustrierte Frau hat mich vor der kompletten Klasse lächerlich gemacht und als Idioten hingestellt: „Weißt du denn überhaupt, was der Text bedeutet, ‚schachmatt‘, und worum es da überhaupt geht? Oder singst du da nur irgendwas? Das ist ja ein Schlager. Das ist ja auch kein tolles Lied. Warum hast du dir denn kein klassisches Stück ausgesucht?“

      Ich war kurz davor zu platzen und zeigte ihr das auch mit meiner deutlichen Antwort: „Also, erstens weiß ich, was der Text bedeutet. Sonst würde ich dieses Lied ja nicht singen. Ich bin der deutschen Sprache durchaus mächtig. Und zweitens sind Sie es, die keine Ahnung von Musik hat. Wenn Sie gern Klassik hören, dann ist das für Ihre Generation. Ich bin jung und höre wahnsinnig gern Schlager und Popmusik – wie wohl jeder in meinem Alter.“ Und da ich von vornherein darauf vorbereitet war, dass sie mich niedermachen würde, habe ich mich nicht beirren lassen in meiner Meinung. Ab diesem Tag war auch der Musikunterricht für mich gestorben. Ich würde eh keine gute Note bekommen, egal, wie gut ich wäre. Die Lehrerin verabscheute mich, genau wie meine Englischlehrerin und überhaupt fast jeder meiner Lehrer. Ich hatte fast nur schlechte Noten im Zeugnis stehen.

      Ich musste die siebte Klasse dann noch ein zweites Mal wiederholen; insgesamt war ich also bereits zum dritten Mal sitzengeblieben. Wahrlich nichts, auf das ich stolz wäre. Damals redete ich mir ein, dass meine schlechten Noten lediglich der Tatsache geschuldet seien, dass mich keiner der Lehrer mochte, weil ich zu lustig war. Zumindest aber ist es mir gelungen, die Klasse ein wenig aufzulockern. Kein Wunder also, dass ich noch mal sitzengeblieben war …

      Ich