Vermögen wir ernst zu nehmen, was die deutsche Nationaltrainerin Silvia Neid vor kurzem gegenüber den Ruhr Nachrichten geäußert hat? Glaubt sie selber, »daß die Entwicklung so bombastisch ist«? »Vieles wird jetzt hochgepusht«, fuhr Neid fort, »und ich bin überzeugt, es wird einiges hängenbleiben. Der Frauenfußball ist gewachsen, die Nationalmannschaft ist voll anerkannt, die Stadien sind bei Länderspielen voll.« Das kann man, anders als im Fall der Männer, auch anders sehen, und gerne verraten wir an dieser Stelle, daß wir ein paar ehemalige Nationalspielerinnen kennen, die im kleinen Kreis offen zugeben, sich niemals ein Frauenfußballspiel anzuschauen und ausschließlich der Herrenvariante zu frönen.
»Aus dem Schatten der Männer zu treten wird schwer, wenn nicht unmöglich«, heißt es in der Zeit – und weiter: »Die WM-Botschafterin Renate Lingor warnt vor dem Turnier in Deutschland: ›Bloß kein Schnellschuß.‹ Bloß nicht überlaufen lassen von produzierten Barbie-Puppen, Werbeangeboten und Fernsehübertragungen. Im Laufe von fünf bis zehn Jahren sollen die Zuschauerzahlen der Frauenbundesliga Schritt für Schritt gesteigert werden. Die Vereine sollen professionellere Strukturen erhalten.«
Deutliche Worte fand Turbine Potsdams Trainer Bernd Schröder im kicker, in der taz und im Spiegel. Nicht nur, daß bei weitem nicht alle Bundesligaspielerinnen vom Sport leben können und die Liga auch auf Grund des erbärmlichen Zuschauerzuspruchs nach wie vor alimentiert werden muß, Schröder glaubt darüber hinaus »nicht an den großen Boom«, hält den Frauenfußball für »ausgereizt«, und vor der WM, an der neben drei, vier Titelaspiranten mehr als zehn Versuchsfußballteams teilnehmen, graust es ihn regelrecht.
Zum Pokalfinale im März in Köln kamen weniger Zuschauer als vergangenes Jahr, das Champions-League-Endspiel im Mai in London verfolgten gerade mal 10.000 Menschen vor Ort. Mochte sich ARD-Reporter Bernd Schmelzer in Köln angesichts des auf der Tribüne präsidierenden WM-Schirmherrn Christian Wulff unmittelbar nach einem wüsten Foul auch zu dem Edelsatz hinreißen lassen: »Er hat sich als großer Fan des Frauenfußballs geoutet«, so treffen wir unvermindert auf eine große Zahl von Menschen, die behaupten, Frauenfußball sei so interessant wie Blaubeeren zählen und habe mit dem Kampf um den Ball so viel zu tun wie dreimal pro Woche Kaviar mit Hartz IV.
Von einer »Spielphilosophie«, die Schmelzer in den Reihen der Potsdamerinnen ausgemacht hatte, wäre vermutlich auch unter einem in der Nanotechnologie eingesetzten Mikroskop nichts zu gewahren gewesen. Derart argumentieren nicht wenige der wenigen, die in Sportbars und Kneipen gelegentlich ein Match zwischen Damen begutachten. Ihre ostentative Gleichgültigkeit korrespondiert mit seltenen, stereotypen Äußerungen: einem abgehackten »Ooo«, einem kurz angetäuschten »Uuu« und einem butterweichen Zweifachklatschen. Dann folgt: »Ach, was guck’ ich mir so was an.«
Wir wollen niemandem zu nahe treten, aber wer – wie Bernd Schmelzer – in spielerische Trägheit, mitunter Unbeholfenheit Erregung hineinkünstelt, nimmt die Realität nicht wahr und exekutiert nur mehr die Gesetze einer um des Profits und der Mobilisierung willen hysterisierten und nahezu vollständig verdummten Medienindustrie.
»Das ist Kinderfußball«, sagt jetzt einer. Die vier Frauen in der Kneipe interessiert das Pokalfinale nicht die griechische Bohne. Und Sia, die hübsche Bedienung, meint: »Fußball ist ein Sport für Männer. Guckt euch die an! Das sind keine Frauen.«
Müssen wir noch den Spiegel bemühen, um von einem »herbeigeredeten Boom« zu sprechen? Nein, der angebliche Frauenfußballboom fällt so rasch wieder um wie in manchen Familien der Watschenbaum. Boom, bumm, batsch.
Holding door open. 5 seconds
Nein, nein, nein, keine Witze, Gott bewahre, bitte nicht. Keine Scherze – wie jüngst in der Titanic – über die »Kapiteuse« an und für sich, kein grummeliges Gemunkel darüber, »daß zu viele Ballkontakte dicke Füße und Krampfadern verursachen«. Keinen Satz wie »Ein Mann würde dem Spiel guttun« lassen wir fallen. Nein, nein und noch mal nein.
Vor der Partie Deutschland gegen Nigeria holen wir uns Rat – bei der Fußballreporterlegende Günther Koch. »Was das Beste am Damenfußball ist«, sagt er, »die spielen nicht Theater.« Fairer, ehrlicher als bei den Männern gehe es zu. Ein schweizerisches Onlinemagazin behauptet: »Simuliert wird kaum, gespuckt wird nicht, und Rudelbildung vor der Schiedsrichterin gibt’s auch nicht.«
Wir sind auf dem Weg in die Herzkammer des Frauenfußballs. Auf der Fanmeile in Frankfurt-Sachsenhausen ist wenig los. »Die Begeisterung hält sich aber auch in Grenzen«, meint der Taxifahrer. Und dann spricht er mit Nachdruck einen Satz, den man nur als Menetekel bezeichnen kann: »Wenn demnächst in jeder Mannschaft wegen der Quote sechs Frauen auflaufen müssen, ist es vorbei mit dieser Welt.«
Mogks Bierstubb in der Nähe des Schweizer Platzes – ein Schmuckstück unter den Fußballkneipen, ein rar gewordenes Exempel für jene Lokalitäten, in denen sich die Passion für einen im Prinzip wunderbaren Sport mit den irisierendsten Formen der Geselligkeit zu paaren vermag.
»Auf den Schiedsrichterassistentinnentafeln müßte man bloß einen Buchstaben austauschen – ›n‹ statt ›t‹ – und ein ›o‹ hinzufügen, dann würde es stimmen«, sagt Karl. »›Houblon‹ statt ›Hublot‹, Hopfen statt dieser Uhrenmarke.« Er hat bereits die Begegnung zwischen Frankreich und Kanada hinter sich gebracht. Sein Tip für den Kampf zwischen dem Welt- und dem Afrikameister, als »Kenner des Frauenfußballs«: 3:0.
»Doch, es stimmt, was in der taz stand«, bestätigt Wirt Achim, während des Eröffnungsspiels sei die Bude voll gewesen, und vor der Tür hätten enthusiasmierte Damen ein regelrechtes Feldlager errichtet, mit Decken und allem Pipapo. Heute ist der Andrang schwächer, obwohl Frauen bei Auftritten des deutschen Teams jedes zweite Getränk umsonst bekommen.
»Die Prinz hat den Klose-Bonus«, murrt Hermann. »Und jetzt auch noch Tom Bartels. Man ist doppelt geschlagen.« – »Nu’ machense erst mal Musik«, versachlicht Anke das Gespräch. »Klingt wie ›O Tannenbaum‹«, kommentiert Hermann die nigerianische Nationalhymne.
Tom Bartels erhebt die Stimme: »Wir sind alle sehr gespannt.« Maria: »Jo, jo.« Bartels: »So viele Menschen im Stadion und vor den Fernsehern.« Maria: »Ja, ja.«
Entkrampfte Atmosphäre, En-passant-Interesse. Am Rundtresen sitzen gelassen-zufriedene Figuren. Das Abendlicht fällt über weiche Gesichter. Draußen kauern fünf, sechs Gestalten auf Bierbänken vor dem Fernseher. »Die Stimmung ist auch entsprechend angespannt«, sagt Hermann.
Nach fünfzehn, zwanzig Minuten fühlen wir uns an die späten Kurztheaterstücke von Beckett erinnert, an deren verkarstete Dramaturgie. Da führen meist namenlose Figuren bisweilen nur noch Schritte aus, etwa in … but the clouds …: »43. Dissolve to M. 5 seconds. / 44. Dissolve to W. 2 seconds. / 45. Dissolve to M. 2 seconds.«
»Es gab mal Zeiten, da habe ich dieses Spiel geliebt«, knurrt Hermann. Am Nebentisch erheben sie die Gläser: »Auf den Aufstieg!« Sie hocken auf Eintracht-Sitzpolstern. Eine Frau Mitte fünfzig erzählt, sie verfolge den Frauenfußball und dessen positive Entwicklung seit zwanzig Jahren, und fährt fort: »Wenn das so weitergeht, schmeißt der Veh noch vor Saisonbeginn hin.« – »So gut flankt der Ochs auch«, wirft Hermann ein und winkt nach der Bedienung.
»Die Erregungsquote ist niedrig«, sagt Gunter. »Wie heißt das eigentlich offiziell?« fragen wir. Anke: »Kapitänin. Aber schreib doch einfach Spielführerin.«
Samuel Beckett, Ghost Trio: »10. Cut back to near shot from C of stool, cassette, F holding door open. 5 seconds.«
Vom Nebentisch ist zu vernehmen: »Das erinnert mich ’n bißchen an die Eintracht, aber nur ’n bißchen.« Hermann räuspert sich: »Falls es jemanden interessiert: 41. Minute, es steht 0:0.« Karl kontert: »Die Null steht! Mein Tip auch!«
Um 21.48 Uhr trudelt eine SMS von einer schönen