The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Geisselhart
Издательство: Bookwire
Серия: The Who Triologie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454175
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machten dafür vor allem den Produzenten verantwortlich. „Ich mag die Songs, aber mir gefällt der gummiartige Sound nicht“, meinte der Schlagzeuger. „Die Chemie in der Band und zwischen der Band und dem Produzenten stimmte nicht.“

      Roger fand zwar auch dass, die Chemie nicht stimmte, aber er machte das vor allem an Kenney fest, mit dem er nach wie vor nicht zurechtkam: „Alle Songs auf Face Dances sind großartig, ich liebe sie – stellt euch bloß vor, sie wären mit einem richtig guten Drummer eingespielt worden, wie wir das später­ auf der Bühne taten, mit einem wie Simon Phillips oder mit einem der Schlagzeuger, mit denen ich tourte. Da hört man erst, welches Potenzial diese Songs haben.“

      Spätestens jetzt war für The Who der gute Einstand, den Kenney 1979 auf der Bühne gefeiert hatte, wieder vergessen. Pete hatte sein Soloalbum mit einem „wirklich guten Drummer“ eingespielt, und dieser Umstand wurmte Roger mächtig. Er attackierte Pete zwar nicht direkt für seine Entscheidung, Kenney zum Who-Drummer zu machen, sei es, weil er ihn in seiner augenblicklichen Identitätskrise für zu schwach hielt, sei es, weil er die offene Konfrontation mit ihm fürchtete; aber er hielt ihm die fragwürdige Personalie auf Umwegen ständig vor, was in gewisser Hinsicht durchaus berechtigt war. „Roger und Pete hatten immer unterschiedliche Ansichten über alles und jeden“, erklärt John. „Früher war es so gewesen, dass Keith und ich darüber nachdachten, was wir für richtig hielten. Und üblicherweise entwickelten sich die Dinge in der Band dann in diese Richtung. Auf diese Weise hatten wir vier damals untereinander eigentlich nie ernsthafte Probleme. Glücklicherweise. Aber dann starb Keith, und es begann die schlimmste Zeit …“

      Kenney vermochte die Band vielleicht musikalisch zu stabilisieren, als ­Person war er dazu nicht in der Lage. Das Gleichgewicht in der Gruppe stimmte nicht mehr. Kenney hatte schlichtweg nicht die erforderliche Autorität, um mit John das Zünglein an der Waage spielen zu können. Denn so unterschiedlich und bisweilen zerstritten die vier Ur-Who auch gewirkt hatten, im ­entscheidenden Punkt stimmten sie immer völlig überein: Alle vier waren gleich starke Persönlichkeiten, und jede Entscheidung wurde gemeinsam getroffen­ und von allen mitgetragen.

      Nach Keiths Tod zog sich John weitgehend aus den Machtspielen ­zwischen den Bandmitgliedern zurück. Er machte sich zwar seine Gedanken, aber er handelte nicht. John war ein Gemütsmensch, aggressiv nur in der Musik. Ihm fehlte der Hyperaktivist Keith als Freund, als Gefährte, auch als Antreiber, um das eigene Phlegma zu überwinden. Und so wurden The Who immer mehr zum Spielball ihres wankelmütigen Komponisten und eines singenden ­Schauspielers.­

      Im Herbst 1980 wurden die Aufnahmen für zwei Monate unterbrochen, weil Szymczyk bei einem schweren Autounfall verletzt worden war und danach die Produktion des Live-Albums der Eagles betreuen musste. Im November und Dezember gingen die Aufnahmen von Face Dances in die letzte Phase. Szymczyk spielte der Gruppe über die Studiolautsprecher einen vorläu­figen Mix vor, der allgemein Befall fand. Der Produzent nahm daraufhin die ­Bänder in sein eigenes Studio nach Florida mit, um sie dort perfekt abzumischen, während The Who mit den Proben für die anstehende extensive Großbritannientournee begannen. Pete flog nur einmal kurz in die USA, um Szymczyk einige Vorschläge zu unterbreiten, wie der fertige Mix klingen sollte; dann begann die Tour.

      Mit ihrer siebenwöchigen Konzertreise durch heimatliches Terrain, die vor allem dazu dienen sollte, die Markteinführung des neuen Albums vorzu­bereiten, demonstrierten The Who wieder einmal eine völlige Kehrtwende. Diesmal­ fanden sich bis auf die Wembley Arena keine riesigen Stadien auf dem Spielplan, keine Sporthallen mit Zehntausenden von Zuschauern, sondern­ vor allem Theater und Konzertsäle mit zwei- bis viertausend Plätzen Kapazität. Das zurückgenommene Konzept hatte durchaus Sinn, denn es galt, die Fans in eine konzentrierte Atmosphäre zu versetzen. The Who wollten vor allem ihre echten Anhänger mobilisieren und dafür sorgen, dass die neuen Songs ähnlichen Kultstatus erreichten wie die Klassiker aus den Sechzigern und ­Siebzigern. „Das Album ist brillant“, meinte Produzent Bill Szymczyk und nährte damit die Hoffnungen der Who-Fangemeinde auf ergiebige achtziger Jahre: „Pete hat sich als Songwriter um Klassen verbessert. Ich denke, er ist jetzt ­wieder da angelangt, wo er Material schreiben kann, wie man es auf Who’s Next findet.“ Das hörte sich wirklich verheißungsvoll an. Doch wie klang es tatsächlich? Und wie reagierten Fans und Kritiker auf das neue Repertoire? Vom ersten Konzert am 25. Januar 1981 in Leicester berichtet der britische New ­Musical Express:

      „Kein ‚My Generation‘, kein Tommy (abgesehen von ‚Pinball Wizard‘), keine Gitarrenvernichtung, kein ‚I Can’t Explain‘ oder ‚Boris The Spider‘. Stattdessen viele neue Songs, bestimmt sechs oder sieben. Nichts weniger als ein Experiment, und Leicester stellte dafür die Meerschweinchen. Treffenderweise begann das Konzert mit ‚Substitute‘ (Ersatz), einem mitreißenden Nostalgiestück, bevor The Who in das eigentliche Programm einstiegen. Das Format der Show sprang von nun an beständig hin und her zwischen neuen Songs und Who-Material aus den Siebzigern, überwiegend aus Who’s Next und aus Quadrophenia, ohne irgendeine Reminiszenz an die goldenen Sechziger. Vielleicht war es nicht überraschend, dass das Publikum in ­ähnliche Schizophrenie gespalten wurde; es sang mit, klatschte und stieß mit den Fäusten in die Luft zu allem, was es erkannte, während man die nicht vertrauten Stücke still und stumm zur Kenntnis nahm. Die Band ­registrierte das sehr wohl. ‚Hier ist ein weiteres neues Stück, damit ihr noch ein wenig mehr runterkommt‘, kündigte Daltrey einen Song mit dem Titel ‚Just Another Chicken‘ an.“

      Das war eine ebenso enthüllende wie schleierhafte Ansage, da die Who ­niemals einen Song dieses Namens aufgeführt haben. Vermutlich meinte der Reporter, der das neue Album noch nicht kannte, die ohrenbetäubende Dar­bietung von Johns Rotlichtreminiszenz „(Just) Another Tricky Day“, eine von fünf Kompositionen aus Face Dances, die sie an diesem Abend spielten. Und weil die Platte erst sechs Wochen später auf den Markt kam, kann man dem Journalisten ob seiner Unkenntnis keinen Vorwurf machen. Vielleicht verstand er den Titel auch wegen einer vorübergehenden Störung seines Hörsinns nur unvollständig, denn The Who knüpften auf dieser Tournee durchs britische Vaterland nahtlos an ihre gefürchtete Bühnenlautstärke der siebziger Jahre an.

      John, der wie Pete und allmählich auch Roger unverkennbar Anzeichen einer gewissen Schwerhörigkeit zeigte, aber darüber weit weniger als die ­beiden­ anderen lamentierte, war von der neuen Strategie der kleinen Konzert­säle deswegen besonders begeistert. Er liebte nach wie vor nichts mehr, als auf einer verrauchten Bühne zu stehen und die gnadenlose Vehemenz seiner ­grollenden Bassläufe auf dicht gedrängte Zuschauerreihen loszulassen. Die eingeschränkte Hörfähigkeit gereichte ihm dabei sogar zum Vorteil, denn er selbst bekam ja von der gewaltigen Lautstärke weniger mit.

      Pete dagegen litt mehr. Bei der Tournee im Vorjahr hatte ihm das enga­gierte­ Bläsertrio im Hintergrund ermöglicht, seine Lautstärke etwas herunterzufahren und seine Bühnenpräsenz gehörfreundlicher zu gestalten. Diesmal waren The Who wieder unter sich, und Pete musste mit John mithalten, der seit der Einführung des Marshall Stack und sehr zum Leidwesen von Roger schon traditionell die Bühnenlautstärke hochtrieb. Über Rabbit, den man eigentlich als Unterstützung für Pete engagiert hatte, notierte der New Musical Express ironisch: „Rabbit Bundricks Keyboards, die meistens sowieso nicht zu hören waren, ließen den Who-Sound weitgehend unangetastet.“

      Petes Angst vor der beginnenden und als schmerzhaft erfahrenen Taubheit hatte sich möglicherweise sogar merklich aufs neue Repertoire ausgewirkt, das – untypisch für The Who – stark keyboardlastig war. John beobachtete diese Entwicklung mit Sorge:

      „Pete schrieb ja nicht mal mehr Gitarrensoli in seine Songs. Keyboards ­nahmen mehr Raum ein als die Gitarre. Wir neigten dazu, Keyboards selbst dann einzusetzen, wenn das für den Song eigentlich gar nicht notwendig war. Das Instrument, das darunter vor allem litt, war die Gitarre. Als wir auf das fertige Album zurückblickten, gab es nur zwei starke Gitarren­stücke,­ und die waren beide von mir.“

      John meint seine Songs „You“ und „The Quiet One“, letzterer bald ein viel geforderter selbstironischer Bühnenkracher wie die Stücke „Heaven And Hell“ und „My Wife“.

      Wer sich Face Dances unvoreingenommen zu Gemüte führt, kommt nicht umhin, dem kompromisslos bei seinem Stil verharrenden Bassisten zuzustimmen. Seine Songs