The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Geisselhart
Издательство: Bookwire
Серия: The Who Triologie
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454175
Скачать книгу
damit Petes Soloalbum den Markt eroberte. Und auch John und Roger fanden den Gedanken wenig erbaulich, mit ihrer Arbeit auf der Bühne für Empty Glass den Boden zu bereiten. Denn viele Fans kamen ganz offensichtlich nur wegen Petes ­Solowerk zu Who-Konzerten, was der ebenfalls bemerkte:

      „Da gab es jede Menge Mädchen, die bis hinter die Bühne drangen und fragten: ‚Wer von euch hat ‚Let My Love Open The Door‘ geschrieben?‘ Diese Mädchen waren ganz anders als die Frauen sonst bei Who-Konzerten.­ Normalerweise hatten wir ungefähr fünf Prozent weibliche Zu­schauer, die ich The-Who-Rottweiler nannte, weil sie ziemlich hart im Nehmen und im Austeilen waren, um im Getümmel der ersten Reihe zu bestehen. Diesmal kam mir das Publikum viel gemischter vor. Ich erhielt Briefe von schwulen jungen Männern, die von ‚Rough Boys‘ entzückt waren. Sie hielten­ den Song für mein Coming-out und waren deswegen im Publikum.“

      Verständlich, dass sich seine Who-Kollegen und besonders der virile Roger bei dem Gedanken unwohl fühlten, für Petes homosexuelle Privatfans, für ­­dessen Soloambitionen und seine neurotischen Dreistigkeiten den Kopf hinzuhalten.

      Rogers Heimkehr nach London wurde dafür durch die Premiere seines Films McVicar im Sommer 1980 versüßt. Der Streifen bekam durchweg gute Kritiken und gab Roger die Gelegenheit, sich als ernstzunehmenden Schauspieler zu präsentieren, der sich nicht nur auf Musikrollen festlegen ließ. Als auch der Soundtrack von McVicar in den US-Charts unter die ersten Zwanzig­ kam und gleich drei Singles die Charts enterten, konnte Roger seine Position gegenüber dem Universalgenie Pete abermals als gestärkt betrachten.

      Die Filmmusik von McVicar gilt offiziell als viertes Soloalbum von Roger Daltrey. Tatsächlich lässt sie sich aber auch als nahezu unbekannte Who-­Produktion anhören, da alle damaligen Who-Mitglieder daran mitgewirkt haben – zusammen mit einigen hervorragenden Studiomusikern wie dem ­britischen Drummer Stuart Elliot und dem Keyboarder Billy Nicholls, der auch die meisten Songs geschrieben hatte. Das macht vielleicht sogar den Reiz des Albums aus: dass The Who hier die Stücke eines fremden Kom­ponisten einspielten.

      Der interessanteste Titel ist allerdings weniger unter den eingängigen ­Balladen zu suchen, die Roger gekonnt und mit viel Gefühl interpretierte; ­sondern ist ein ungewöhnlich breit instrumentiertes Stück ohne Gesang mit dem Titel „Escape Part One“. Über die Produktion dieses Tracks wurde so wenig bekannt, dass die Vermutung naheliegt, dass sich hier vor allem die ­Studiomusiker austoben durften.

      Für die Who-Fans bot der Sommer 1980 trotz aller Querelen hinter den Kulissen einen vielversprechenden Ausblick auf die kommenden Monate. Petes Empty Glass und Rogers McVicar hatten unbestreitbar Appetit gemacht auf ein echtes Who-Album, dessen Veröffentlichung auch kurz nach der USA-­­Tournee mit viel Tamtam angekündigt wurde. Es sollten sogar zwei Alben kurz hintereinander folgen. Manchem Fan war das jedoch am Ende dann gar nicht mehr recht, nachdem er die beiden Werke gehört hatte. Es soll sogar Who-Anhänger geben, die lieber ganz ohne Who-Musik aus den Achtzigern direkt ins nächste Jahrtausend übergewechselt wären, als jene zähe Agonie mit­zuerleben, die nach den beiden folgenden Studioalben die Band für vier­undzwanzig Jahre befiel.

      Wir werden sehen, ob solche Enttäuschung begründet ist. Das Liebäugeln mit Fahnenflucht lässt sich jedenfalls in gewisser Weise nachvollziehen, denn über den Niedergang seiner Idole zu lesen, ist für jeden Who-Fan schlimm. Darüber zu schreiben, ist freilich noch viel schlimmer.

      Und doch muss es sein.

      5.: „How Can You Do It Alone?“Ein neues Album, der nächste Tote und ein fast tödlicher Schuss im Klub der Helden

      „Ich wendete mich vom Licht ab und sah mich der Dunkelheit gegenüber.“

      Pete über sich selbst, 1981

      „Ich liebe alle Songs von Face Dances. Stellt euch bloß vor, sie wären mit einem richtig guten Schlagzeuger eingespielt worden, mit einem wie Simon Phillips.“

      Roger Daltrey

      „Hier ist ein weiteres neues Stück, damit ihr noch ein wenig mehr runterkommt.“

      Rogers Ankündigung eines unbekannten Who-Titels beim ersten Konzert in Leicester

      „Au ja, lass uns ‚Götterdämmerung‘ versuchen – in welcher Tonart ist das?“

      Pete in der Essener Grugahalle zu Jerry Garcia von Grateful Dead

      In London nahm Pete sein zügelloses Jetsetleben wieder auf, kaum dass er mit The Who dort angekommen war:

      „Ich trank mindestens zwei Flaschen Cognac am Tag“, erinnert er sich, „und um die dumpfe Trunkenheit zu durchdringen, geriet ich in einen tödlichen Alkohol-Kokain-Kreislauf. Im Musikgeschäft ist Kokain allgegenwärtig. Beim Zahnarzt, beim Friseur, in der Anwaltskanzlei, bei der Platten­firma, im Tonstudio, im Bus, im Taxi – jeder nimmt Kokain überall, und ich machte mir diese Gewohnheit sehr schnell zu eigen. Mit meinem ­vielen Geld konnte ich mich problemlos damit eindecken – und dazu noch jene ungefähr fünfzig Personen, die mir durch London folgten. Das war mein Versuch, mich zu lösen: von der Band, vom Rock’n’Roll. Die ­einzige Möglichkeit, meine Arbeit zu ertragen, war, mich selbst zu ­zer­stören.­ Ich hatte nicht den Mut, aufzustehen und zu sagen: ‚Das ist ein Haufen­ Scheiße, macht’s gut!‘“

      Trotz seines offenkundigen Widerwillens begab sich Pete im Sommer 1980 ins Studio, um das Album Face Dances fertigzustellen. Seine Demos hatte er bereits im Londoner AIR Studio aufgenommen, und The Who wollten die Stücke eigentlich in ihren eigenen Ramport Studios auf Basis dieser Demos einspielen; doch ihr neuer Produzent, Bill Szymczyk, ein Amerikaner, der trotz seines unaussprechlichen Namens einen famosen Ruf in der Branche genoss, bestand auf einem neutralen Ort. Man einigte sich schließlich auf die ­Odyssey Studios.

      Szymczyk war ein Freund von Pete und lange mit ihm bekannt – über Joe Walsh, den Gitarristen der Eagles, der Pete bewunderte, seit er ihn Anfang der Siebziger kennen gelernt hatte. Szymczyk hatte Hotel California von den Eagles produziert, und „dieses Album verschaffte mir den Job“, sagt Szymczyk. „Es war eine von Petes Lieblingsplatten.“

      Die Studioarbeit mit Szymczyk wurde für die Who zu einer neuen ­Er­fahrung.­ Pete suchte nach Empty Glass einen neuen Who-Sound, denn das erste Album nach Keiths Tod – das erste mit Kenney Jones und das erste für die neue Plattenfirma Warner – sollte die britischen Wurzeln der Band betonen. Dafür galt es eigentlich vor allem die Errungenschaften des Punkrock zu berücksichtigen. Die Zusammenarbeit mit Bill Szymczyk, der mit dem Country­rock der Eagles berühmt geworden war, schien unter diesen Gesichtspunkten zwar eine fragwürdige Wahl, doch Szymczyk hatte aus seiner Arbeit mit der J. Geils Band und mit Joe Walshs früherer Gruppe James Gang auch einen härteren Sound parat, wenn es darauf ankam.

      „Durch mein Soloalbum war mein Gesang viel besser geworden“, erklärt Pete die neue Marschroute. „Das wirkte sich auf die Melodien aus und auch auf die Texte. Manche Demos, die ich für die Who aufnahm, sang ich extra mit englischem Akzent, wie es gerade Trend war. Ich dachte, das kriegt Roger nie hin; doch er holte bloß tief Luft – und es klang natürlicher als sein üb­licher Bob-Seger-Akzent. Er war angenehm überrascht, und ich war ebenfalls angenehm­ überrascht.“ Weniger angenehm überrascht war John, und zwar nicht ob der Melodieführung oder der kunstvollen britischen Diktion der neuen Songs, sondern wegen der nervtötenden Prozedur, die Szymczyk der Band im Studio auf­erlegte:

      „Wir nahmen die Instrumentalspuren immer dreimal auf. Dreimal – und dann gab es eine Pause. Und dann wieder dreimal dieselbe Verfahrens­weise. Ich habe das Gefühl, dass die Arbeit an den Backingtracks eine Ewigkeit gedauert hat. Dann wählte Szymczyk drei der besten Aufnahmen aus, zerstückelte sie in winzige Abschnitte und klebte sie wieder zusammen. Eine ziemlich eigenartige Methode für The Who. Es war ja auch Kenneys erstes Album mit uns, und wir machten Sachen wie: ‚Ich hätte gern ein bisschen davon, weil der Bass so gut klingt, und dann das Schlagzeugbreak hier.‘ Für mich war das unproduktiv und zusammenhanglos. Normalerweise gehen wir ins Studio, hören den Song dort das erste Mal und ­­nehmen­ alles am selben Tag auf.“

      Die kritischen Stimmen in Bezug