Tina Turner - Die Biografie. Mark Bego. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mark Bego
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854453925
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Großmutter zu leben, und nun war auch Harry plötzlich aus ihrem Leben verschwunden. Was sollte sie bloß tun? Sie fühlte sich verlassen und allein.

      Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie hatte ja noch eine andere Großmutter, die ganz in der Nähe wohnte. Anna würde einfach zu ihr ziehen. Sie zog also zu Oma Georgie, die auf dem Land der Pointdexter-Farm wohnte. Oma Georgie hatte bereits alle Hände voll zu tun, weil sie nun das kleine Mädchen aufzog, das Evelyn nach dem Autounfall, bei dem sie und Margaret getötet wurden, zurückgelassen hatte. Etwas resigniert gab sie jedoch nach und erlaubte Anna, ebenfalls zu ihr zu ziehen.

      Anna merkte, dass ihre alten Freunde, die Poindexters, nicht allzu glücklich darüber waren, dass sie auf ihrem Grund und Boden wohnte und nicht für sie arbeitete. Um dieses Problem zu lösen, begann Anna wieder, für Connie und Guy als Haushälterin und Babysitterin tätig zu sein.

      Im Sommer 1956 machten die Poindexters einen kurzen Urlaub in Dallas, Texas. Sie nahmen Anna mit, denn sie sollte sich um das Kind kümmern. Während Anna sich in Texas aufhielt, verstarb plötzlich Oma Georgie. Als Anna zur Beerdigung nach Hause fuhr, traf sie dort auf jemanden, den sie schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte: ihre Mutter.

      In der letzten Zeit hatte Zelma Bullock ihrer Tochter ein wenig Geld und Kleidung geschickt. Langsam begannen die Gefühle des Verletztseins und der Groll, den Anna ihrer Mutter gegenüber hegte, abzuklingen. Als sie zu der Beerdigung ihrer Großmutter eintraf, war sie über das, was sie dort zu sehen bekam, verblüfft:

      Da stand sie, Zelma Bullock, schick und elegant gekleidet, in einem weißen Anzug mit modischen Schulterpolstern und zweifarbig braun-weißen Stöckelschuhen. Anlässlich der Beerdigung der Großmutter führten Zelma und ihre Tochter ein langes Gespräch. Zelma sagte, sie wolle, dass Anna zu ihr nach St. Louis ziehe.

      Alline war zwischenzeitlich zu ihrem Vater nach Detroit gezogen, mit dieser Situation aber nicht zufrieden gewesen. So war sie nun auch schon in St. Louis bei ihrer Mutter. Für Anna schien es die perfekte Lösung zu sein, zu ihrer Mutter und ihrer Schwester zu ziehen.

      Als Tina später auf diese Zeit zurückblickte, meinte sie: „Ich wollte immer weg von den Feldern, der ländlichen Umgebung. Tennessee war schon in Ordnung. Ich liebte es, am Ende des Tages unter einem Baum zu sitzen. Aber ich wusste, dass es da noch mehr gab. Deswegen zog ich zu meiner Mutter nach St. Louis. Denn für mich war das die Großstadt.“ (1)

      So packte Anna Mae Bullock ihre paar Habseligkeiten zusammen und machte sich auf nach St. Louis. Dies war ihr Abschied von Nutbush, Henderson und dem westlichen Tennessee überhaupt. Sie ging fort und blickte nie zurück.

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      1956 kam die 16-jährige Anna Mae Bullock in St. Louis, Missouri, an. Dies war nun wirklich die größte Stadt, in der sie je gelebt hatte. St. Louis war zu jener Zeit ein ziemlich ruhiger Ort am Mississippi. Doch auf der anderen Seite des Flusses, hinter der Grenze zum nächsten Bundesstaat, liegt East St. Louis, Illinois. East St. Louis galt wegen der dortigen lauten und rauen Clubs und seines Nachtlebens als ein wildes Pflaster.

      Nachdem sie ihr ganzes Leben in einer ländlichen Gegend verbracht hatte, öffnete der Umzug nach St. Louis Anna die Augen für einen völlig neuen Lebensstil. Hier schien es Musik und Party ohne Ende zu geben. Sie mochte an St. Louis zwar die weltgewandte Erhabenheit des Mittleren Westens, aber East St. Louis war eine rauere Gegend und erinnerte sie an den amerikanischen Süden.

      Annas Mutter Zelma führte in St. Louis ein nicht ganz so wildes Leben. Sie arbeitete als Hausmädchen und lebte mit einem Mann namens Alex Jupiter zusammen, der LKW-Fahrer war. Alline hatte einen Job bei einem wohlhabenden schwarzen Nachtclubbesitzer ergattert, der Leroy Tyus hieß. In seinem Club „The Tail of the Cock“ verdiente sie gutes Geld.

      Alline arbeitete unter der Woche und traf sich nach der Arbeit oft mit Männern, die sie kennengelernt hatte. Doch an den Wochenenden ging sie nach der Arbeit mit ihren Freundinnen aus und zog durch die Nachtlokale.

      Anna meldete sich an der Sumner High School in St. Louis an. Auf der Schule waren nur Schwarze, aber ihre Klassenkameraden waren ganz andere Leute als die, deren Umgang sie gewohnt war. Es waren die Söhne und Töchter von Ärzten und anderen beruflich erfolgreichen Schwarzen. Sie fühlte, dass sie gesellschaftlich deutlich unter ihnen stand, und kam sich vor wie eine Landpomeranze, die plötzlich in der Großstadt gelandet war.

      Die kleine Anna war erstaunt, wie sehr sich Alline verwandelt hatte, seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte. Ihre ältere Schwester kleidete sich nun elegant und stilsicher. Sie trug Stöckelschuhe und Nylonstrumpfhosen und Tina erinnert sich noch an einen ganz bestimmten, mit Samtstreifen besetzten Wollmantel, der Alline gehörte. Alline zog den Mantel nicht wirklich an, sondern drapierte ihn über ihre Schultern, so dass sie, überall wo sie hinkam, gleich einen schwungvollen Auftritt landete.

      An einem Samstagabend lud Alline Anna ein, sie und ihre Freundinnen auf eine Tour durch die Clubs zu begleiten. Zelma willigte ein, auch wenn es etwas zweifelhaft war, ob die 16-jährige Anna sich erfolgreich als 21-jährige Frau verkleiden konnte und so überhaupt in die Clubs hineingelassen werden würde.

      Anna zog einige von Allines Kleidungsstücken an und trug Lippenstift und Make-up auf ihr jugendliches Gesicht auf, um fraulicher zu wirken. Alline informierte Anna darüber, dass sie genau an jenem Abend zu einem Konzert von einer lokal sehr angesagten Band gehen würden, die den Ruf hatte, den heißesten Sound in ganz St. Louis zu produzieren. Der Name der Band war Ike Turner & The Kings of Rhythm. Für Anna klang das alles nach einem aufregenden Abend, ganz egal, was genau auf dem Programm stand.

      Die Kings of Rhythm erfreuten sich in der Gegend einer solch großen Beliebtheit, dass sie im Club „D’Lisa“ in St. Louis Missouri, spielten, bis dieser Club dann nachts schloss, und danach auf die andere Seite des Flusses nach East St. Louis wechselten, um dort von 2 Uhr morgens an im Club „Manhattan“ bis in die frühen Morgenstunden aufzutreten.

      Alline erzählte ihrer kleinen Schwester Anna, dass sie an diesem Abend vorhatten, direkt auf die andere Seite des Mississippis in den Club „Manhattan“ zu gehen. Es klang aufregend und auch ein wenig „tabu“. Wie geplant erfüllten ihr Make-up und die Tatsache, dass sie Allines fraulichere Kleidung trug, ihren Zweck: Sie sah alt genug aus, um in das Nachtlokal hineingelassen zu werden.

      Der Club „Manhattan“ wurde dem Ruf, der ihm anhing, völlig gerecht und erinnerte Anna an einige Clubs, die sie in den „The Hole“ genannten Vierteln von Ripley und Brownsville gesehen hatte. Im Lokal fanden 250 Leute Platz. Die Bühne stand in der Mitte des Raumes und war von Tischen und Stühlen umgeben. Tina weiß noch, dass an der einen Wandseite des Clubs ein Gemälde hing, auf dem Ike Turner & The Kings of Rhythm abgebildet waren.

      Anfangs war Anna noch nicht allzu begeistert von dem, was sie dort erlebte. Die Kings of Rhythm waren bereits auf der Bühne und spielten ein paar Stücke zum Aufwärmen, bis dann der berühmte Chef der Band erschien. Gemeinsam mit Alline und ihren Freundinnen saß sie ruhig da und wartete darauf, dass etwas passierte. Und es geschah tatsächlich etwas: Der beliebte Ike Turner kam auf die Bühne und sofort ging eine Welle der Aufregung durch den Club.

      „Hi, Ike“, rief ihm jemand aus der Menge zu. Er schüttelte mehreren Leuten die Hände und ging noch ein paar Schritte weiter. „Wie geht’s dir, Ike?“, brüllte irgendjemand anderes. Anna bekam zum ersten Mal mit, wie es ist, wenn eine Berühmtheit den Raum betritt. Irgendwie schienen alle Augen auf Ike Turner gerichtet.

      Anna bemerkte auch, dass das Publikum vor allem aus Frauen bestand, die ganz offensichtlich gekommen waren, um sich dieses lokale „Sexsymbol“ anzuschauen. Anna weiß noch, wie sie genau dort an Ort und Stelle dachte, dass sie es zwar interessant fand, Ike zuzusehen, er aber definitiv – und zwar nicht im geringsten – zu der Sorte Mann gehörte, die sie anziehend fand.

      Später erzählte sie: „Was für ein tadellos aussehender schwarzer Mann. Aber er war einfach nicht mein Typ – überhaupt nicht. Seine Zähne sahen so komisch aus und seine Frisur auch – so eine geglättete Frisur mit ein paar Wellen, die angeklatscht