Eine zweite große Ausbreitungsroute der lebensmittelproduzierenden Wirtschaftsweise verlief über das Mittelmeer bis auf die Iberische Halbinsel. Im archäologischen Quellenmaterial fällt vor allem auf, dass die Keramik dieser frühbäuerlichen Gruppen aufgrund der charakteristischen Abdruckverzierung (u. a. Abdrücke, die mit dem Rand der Cardium-Muschel in den noch formbaren Ton gemacht wurden) deutlich anders aussieht als die der frühbäuerlichen Gruppen auf der Balkanhalbinsel und im Karpatenbecken. Sie werden daher in der Literatur unter dem Oberbegriff der »Impressakulturen« zusammengefasst. Dabei handelt es sich nicht um ein homogenes großräumiges Phänomen, sondern um verschiedene Keramikgruppen, hinter denen unterschiedliche Akteure standen. So lässt sich ab etwa 6100 v. Chr. eine flachbodige, flächig verzierte Keramik entlang der adriatischen Küste fassen, um 5700 v. Chr. eine Furchenstich-verzierte Keramik (Ritzverzierung, bei deren Erzeugung das Verzierungsinstrument auf und ab bewegt wird, so dass eine Ritzlinie entsteht, die in ihrem Verlauf wiederholt eingetieft ist) in Südfrankreich und ab 5500/5400 v. Chr. eine rundbodige, mit plastisch aufgelegten Tonlinsen verzierte Keramik entlang der spanischen und französischen Mittelmeerküste (sog. Cardial franco-ibérique). Da die Funde überwiegend aus Höhlenfundstellen stammen, die im Kontext von Viehwirtschaft und Jagdzügen lediglich saisonal genutzt wurden, ist über die Lebens- und Wirtschaftsweise dieser Gruppen bislang weit weniger bekannt, als über die frühen Bauern in Südost- und Mitteleuropa. Es deutet sich jedoch an, dass die bislang dokumentierten Freilandfundstellen gezielt auf leicht zu bearbeitenden Böden errichtet wurden. Zudem liegen sie häufig in der Nähe von Seen und Mooren (z. B. La Draga/Spanien)27.
Wie Detailstudien in den letzten Jahren zeigen konnten, wurden die Anfänge der Nahrungsmittelproduktion von unterschiedlichen Akteuren getragen. So weisen z. B. Kontinuitäten bei der Art und Weise der Herstellung von Steinwerkzeugen darauf hin, dass auch Gruppen von in diesen Regionen noch lebenden Wildbeutern eine Rolle gespielt haben, indem sie die neue Wirtschaftsweise übernahmen und in ihre alltäglichen Praktiken integrierten. Die »Erfindung« und Ausbreitung der Nahrungsmittelproduktion wirkten sich in jedem Fall nachhaltig auf die weitere Entwicklung menschlicher Gesellschaften aus, nicht nur in Europa. Denn wir sehen vergleichbare Prozesse auch im archäologischen Quellenmaterial in anderen Teilen der Welt.
3 Die Anfänge der Nahrungsmittelproduktion als globales Phänomen
Die Anfänge der Nahrungsmittelproduktion Europas liegen im Vorderen Orient. Global gesehen haben sich Kulturpflanzenanbau und Haustierhaltung jedoch unabhängig voneinander in mehreren Regionen der Welt entwickelt, allerdings zu unterschiedlichen Zeiten und auf Basis anderer Domestikate (
Amerika
Nordamerika
In Nordamerika sind die östlichen USA als Erstdomestikationszentrum zu nennen. Hier wurden Sumpfholunder (Iva annua), Gänsefuß, Gartenkürbis (Cucurbita pepo) und die Sonnenblume domestiziert. Dahingehende Belege sind die Größenzunahme von Kernen beim Kürbis und von Früchten beim Sumpfholunder und bei der Sonnenblume sowie eine dünnere Samenschale beim Gänsefuß. Sumpfholunder wurde bereits 6000 v. Chr. intensiv genutzt, dies zeigen Nachweise aus verschiedenen Fundstellen. Der älteste Domestikationsbeleg dieser Pflanze stammt aus Napoleon Hollow/Illinois und datiert um 2000 v. Chr.2, wobei mit einem Domestikationsbeginn um 2400 v. Chr. gerechnet wird3. Auch Gänsefuß wurde bereits um 6500 v. Chr. intensiv genutzt, Domestikationsnachweise in Form von größeren Samen datieren hingegen erst um 1500 v. Chr. (Cloudsplitter und Newt Kash/beide Kentucky sowie Riverton/Illinois)4. Von beiden Pflanzen wurden insbesondere die Samen genutzt, welche aus heutiger Sicht vergleichsweise klein und wenig nahrhaft erscheinen mögen. Leichter vorstellbar erscheint die Domestikation des Gartenkürbisses, den wir auch aus unseren Gärten kennen, so z. B. in seiner Unterart der Zucchini. Während um 6000 v. Chr. die Frucht bereits intensiv genutzt wurde, datieren die ältesten Belege für seine Domestikation (Phillips Springs/Missouri) um 3000 v. Chr.5 Dabei lässt sich im Lauf der nachfolgenden Jahrtausende noch einmal eine deutliche Größenzunahme beobachten. Aus heutiger Perspektive ebenfalls gut nachvollziehbar ist die Domestikation der Sonnenblume, die sich vor knapp 5 000 Jahren in Hayes/Tennessee erstmals fassen lässt. Aus Mexiko breitete sich ab ca. 200 v. Chr. der Mais in die USA aus6. Auch für den Truthahn wird eine Ausbreitung aus Mexiko diskutiert, möglich ist aber ebenso, dass er im nordamerikanischen Südwesten domestiziert wurde. In den östlichen USA wurden hingegen keine Haustiere gehalten, stattdessen wurden Weißwedelhirsch, Waschbär, Opossum oder wilder Truthahn gejagt.
Eine wichtige Voraussetzung für die beschriebenen Domestikationsprozesse sind klimatische Veränderungen. Diese führten dazu, dass sich zwischen 4500 und 4000 v. Chr. stabile, mäandrierende Flussbetten mit Altwasserarmen, Flachwasserzonen und Sumpfgebieten herausbildeten, die den genannten Domestikaten und vielen anderen Pflanzen (vor allem Eichen und Walnussbäumen) und Tieren ideale Lebensbedingungen boten. Da der Rückgang der Niederschlagsmengen zudem die Ressourcendichte auf den bis dahin besiedelten Hochflächen negativ beeinflusste, nimmt man an, dass die Menschen um diese Zeit gezielt in die Flusstäler zogen, um die dort reich vorhandenen Ressourcen zu nutzen. So lässt sich beobachten, dass die Fundstellen, von denen frühe Nachweise für Domestikate vorliegen, in der Regel in kleineren Flusstälern lagen, die direkt oder über weitere Flüsse in den Mississippi entwässerten7. Diese Siedlungen wurden von wohl mobilen Jäger- und Sammlergruppen unterhalten8.