Konkrete Fragen:
•»Fangt mit dem an, was jetzt gerade ist. Was sind die Themen, die Überschriften? Was ist ein typisches Beispiel für euer Verhaken aus deiner Sicht?«
•»Bleiben Sie bei sich. Reden Sie nicht über Ihren Mann. Mich interessiert, wie es in Ihnen aussieht. Ich mische mich nur ein, wenn es nach meinem Gefühl zu verletzend wird für den, der zuhört.«
Toni: Warte, wieso betonst du das so?
Einerseits, um von Beginn an ein Zeichen zu setzen, dass Verletzungen, Demütigungen und verbale Attacken gegen den Partner oder die Partnerin zügig unterbrochen werden. Die Erfahrungen im Praxisraum sollen andere sein als zu Hause.
Andererseits kann die Gelegenheit der Unterbrechung genutzt werden, um im selben Atemzug eine andere Formulierung einzustreuen und den Fokus wieder auf den zu lenken, der erzählt.
»Okay. Stopp, stopp, stopp. Zurück zu Ihnen, wenn sich Ihre Frau so verhält, wie Sie es beschreiben, wie ist das für Sie? Was passiert bei Ihnen? Was denken Sie? Was fühlen Sie?« (Fokusveränderung) Oder die Vorwürfe in Wünsche verwandeln. Statt: »Du rauchst zu viel. Du bewegst dich kaum noch. Du bist unattraktiv« usw. die Vorwurfstirade stoppen. »Langsam, noch mal für mich. Das heißt, du wünschst dir von deinem Mann, dass er mehr auf seine Gesundheit achtet. Du sorgst dich um ihn und möchtest ihn wieder attraktiv finden.« Ganz freundlich, fast absichtslos, kannst du neue Formulierungen mit der gleichen Botschaft einfließen lassen. Steter Tropfen höhlt den Stein.
Dann unterbrichst du sie aber doch!
Das stimmt. Das sind eher die Ausnahmen, die meisten schaffen es, die ersten zehn Minuten, längstens eine Viertelstunde von sich zu erzählen. Davon, wie es ihnen geht, ohne ihre Partner mit dem Rücken an die Wand zu reden.
Doch zurück zum Zuhören. Wir alle wissen, wie gut es sich einerseits anfühlen kann, die Erlaubnis zu haben, eine Viertelstunde zu reden, ohne unterbrochen zu werden. Oder auch, das ist dann andererseits, wie beunruhigend es sein kann, so viel Zeit zu haben. Wenn jemand das Gefühl hat, nie gehört zu werden, nie so lange Redezeiten zu haben, für den Menschen kann das Redefenster viel zu viel sein. Zwei Menschen (Partner und Therapeutin) hören zu. Für manche ist das eine Wohltat, endlich mal ausreden zu dürfen. Für andere klingt dieser Zeitraum bedrohlich lange. Gerade für stillere Menschen. Dennoch, die Zeit soll zur Verfügung stehen, aber wenn alles gesagt ist, ist alles gesagt. Es soll kein Muss sein.
Während du zuhörst, lass die Themen auf größere Karten aufschreiben und auf den Boden legen. Erst mal wird gesammelt und ich benutze auch Begriffe wie: Das ist unser Sammelbecken, alle Themen sollen auf den Tisch oder auf den Teppich. Brainstorming, nichts wird bewertet.
Wenn die Themen »auf dem Tisch« sind, sortieren die Paare, und das Sortieren ist schon Teil des Prozesses.
Konkrete Fragen:
•»Welche Themen decken sich?«
•»Wo seid ihr unterschiedlicher Meinung?«
•»Welche Themen haben mit der eigenen Geschichte zu tun?«
•»Was gehört zusammen?«
•»Was sind Unterthemen?«
Als Therapeutin kannst du dich einbringen mit Fragen wie: »Ich habe noch das Thema XY gehört. Stimmt das so?«
So zeigst du von Anfang an, dass du genau zuhörst, alles aufnimmst, alles für wichtig erachtest. Betone das Gemeinsame, was dich genauso interessiert wie das Unterschiedliche, denn beides gehört in eine lebendige Beziehung.
Beim Legen der Themen auf den Boden, kommentiere ruhig: »Das schätzen Sie ähnlich ein wie Ihr Mann. Das sagte Ihre Partnerin auch.«
Das Unterschiedliche bleibt da liegen, wo es hingehört, beim Mann oder der Frau. Auch das wird kommentiert, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. »Hier sind Sie unterschiedlich. Das sieht jeder anders.«
Dadurch, dass alle Themen notiert werden, geht nichts verloren. Die Paare nehmen die Karten mit und bringen sie das nächste Mal wieder mit oder fotografieren mit dem Handy die Karten, so geht nichts verloren. Natürlich können die Themen auch am Flipchart gesammelt werden oder dir fallen noch andere kreative Methoden ein.
Über Kreuz fragen
Eine andere Möglichkeit für einen guten Start ist, beide über Kreuz zu fragen. An die Frau gerichtet: »Was glauben Sie, was Ihren Mann beschäftigt? Was könnten seine Themen, Wünsche und Sehnsüchte für die Paartherapie sein? Mit welchem Thema würde er Ihrer Meinung nach heute beginnen?« Während sie erzählt, hört er genau zu. Anschließend darf er ergänzen, aber in der Regel trifft es der andere Teil des Paares ganz gut. Dann umgedreht. »Und Sie, was glauben Sie, was Ihre Frau beschäftigt, warum ist sie hier? Was sind ihre Themen, Wünsche und Sehnsüchte? Was möchte sie heute?« Und dann erzählt er und sie darf später ergänzen.
Die Paare mögen diesen kurzen Perspektivwechsel, zeigt er doch, wie gut sie sich kennen, und ganz nebenbei führst du ein, was im Laufe des Prozesses immer mal wieder passieren wird: den Blick erweitern. Die Komfortzone verlassen. Die Plätze tauschen.
Rollenwechsel und Motivationsabfrage
Ein Kollege erzählte, dass er oft mit einer kleinen Vorstellungsübung beginne.
Der eine stellt sich hinter seinen Partner (doppelt ihn) und antwortet aus der Ich-Perspektive auf drei Interview-Fragen:
1)kurz Biografisches (Name, Alter, Wochenbeschäftigung)
2)ein Talent (hier wird’s interessant, manchmal als Gemeinheit getarnt »Ist übermäßig ordentlich« oder »Kann gut mit anderen reden«)
3)Wie groß ist die Motivation, in der Paartherapie zu sein, auf einer Skala von 1 bis 10?
Das hilft zum einen, Informationen zu sammeln und die Motivation abzufragen, und zum anderen ist es auch diagnostisch interessant. Was wissen die beiden übereinander und was nicht (genaues Alter und Berufsbezeichnung sind des Öfteren nicht bekannt)?
Hinterher dürfen sie sagen, wie es ihnen in der Rolle des anderen ging, und korrigieren oder ergänzen.
Diese aus dem Psychodrama stammende Übung markiert gleich von Beginn an:
1)dass in der Paartherapie einiges anders laufen wird als in den Telefonaten mit Freunden. Hier reicht es nicht, sich über den anderen zu beklagen. Sondern es geht um das Einfühlen in den anderen. Dieses »vom anderen gesehen Werden« atmen die Menschen immer wieder ein, als dürften sie nach einer Rauchvergiftung endlich wieder frische Luft atmen. (»Er kennt mich doch ganz gut.«, »Sie kennt mich doch ganz gut.«)
2)Mit dieser Methode ist das Paar schon angewärmt, wenn in späteren Sitzungen wieder ein Rollenwechsel oder andere Übungen angeleitet werden.
Fazit
Es gibt sicher noch viele andere Methoden, einen Paartherapieprozess zu starten. Im Grunde geht es darum, eine vertrauensvolle Stimmung herzustellen und die Themen zu erfragen. Wichtig ist, bereits im ersten Treffen ein Thema zu vertiefen, damit beide erleben, wie du arbeitest. So können alle noch einmal prüfen, ob alles passt. Im dritten Teil des Buches ist ein Vorschlag für die Zeitstruktur einer anderthalbstündigen Therapieeinheit angegeben.
9Etwas scheint zu fehlen – Tabuthemen