»Nicht wundern, ich lege jetzt dieses lange Seil um Sie beide.«
»Haha, werden wir jetzt gefesselt?«, fragt er und zwinkert seiner Partnerin zu.
»Nur, wenn Sie beide nicht machen, was ich sage«, antworte ich. Sie lacht und ich nutze meine erste Chance, eine Abtrennung von mir, als Außenstehende, und den beiden als Paar hervorzuheben.
»Das Seil soll verbildlichen, dass es hier um Sie beide geht. Es ist Ihr Leben und Ihre Beziehung. Alles, was wir hier besprechen, kommt auf diese Bühne, den Raum zwischen Ihnen. Alles, was an Themen auftauchen wird, geht Sie beide etwas an. Ich bin hier außen.« Demonstrativ stelle ich meinen Stuhl noch ein bisschen weiter weg vom Seil. »Ich gehöre nicht dazu und was ich als Außenstehende in dem ganzen Prozess der Paarberatung machen kann, ist Folgendes:
Ich moderiere Ihre Gespräche, begleite Sie beide mit viel Respekt und Wertschätzung, achte darauf, dass Sie gleiche Redezeiten haben, dass die Themen, die auf den Tisch oder diese Bühne hier kommen, Gehör finden. Ich kann Ihnen auch von Lösungsideen anderer Paare erzählen, kann Sie zu kleinen Übungen einladen. Kann versuchen, dass Sie neue Blickwinkel einnehmen. Meine wichtigste Aufgabe sehe ich darin, Ihre Beziehung im Blick zu behalten und darauf zu achten, dass Sie beide im Kontakt sind.«
Noch sind sie still, und bevor es weitergeht, schreibe ich SEX auf einen Zettel und lege den Zettel zwischen beide, innerhalb ihres Kreises, auf den Boden. »Bisher habe ich das als Thema von Ihnen, Herr A., gehört.« Zufrieden, dass sein Anliegen aufgeschrieben und für alle sichtbar im Raum liegt, nickt er und schaut zu seiner Frau. Auch ich drehe mich nun zu ihr. »Frau A., wollen Sie etwas ergänzen oder nicken Sie und sagen ›Ja, genau darum geht es. Das ist unser schwierigstes Thema‹?«
Sie seufzt und beugt sich vor. »Ja, das, was da auf dem Zettel steht, ist eins unserer schwierigen Themen. Aber ehrlich gesagt, ich rede nicht mit einer völlig fremden Frau in der ersten Stunde über unsere Sexualität.« Endlich schaut sie mich an und ich bin froh über ihre eindeutigen Worte. Ganz in Ruhe fängt sie an, weitere Themen zu benennen.
Herr A. fragt seine Frau am Ende, wann sie denn über Sex reden wolle. Sie überlegt einen Augenblick, schaut auf den Boden zu den vielen Themen, die da verstreut liegen. »Frühestens beim fünften Termin. Ich brauche erst mehr Vertrauen.« Ihr Blick wandert zu mir. »In das Ganze hier.« Ich nicke. »In das Ganze hier und natürlich auch in mich. Wir kennen uns jetzt erst eine Stunde. Alles gut.«
Tja, nun weiß man nicht, ob das schon die Hauptthemen des Paares sind: seine Ungeduld und ihr Hinhalten. Doch Vorsicht mit den Vorannahmen. Manchmal bestätigen sie sich, manchmal nicht. Wie schon erwähnt, wird alles, was in uns auftaucht, als Hypothese behandelt, die es zu prüfen gilt.
Das sichtbar auf dem Boden liegende Seil hat mir schon oft geholfen, Druck herauszunehmen, meine Rolle und Aufgabe zu relativieren und Allparteilichkeit zu demonstrieren. Immer wieder kann ich so auf den Kreis verweisen, wenn zu viel Verantwortung zu mir geschoben wird. Die beiden müssen sich einigen, was ihre Themen sind. Nicht ich. Es ist ihre Beziehung. Nicht meine.
5Wie gehe ich mit Flirten um?
Toni: Alles klar, das mit dem Seil werde ich mal probieren. Eine weitere Unsicherheit ist das Flirten. Bisher habe ich es ignoriert, wenn jemand versucht hat, mit mir zu flirten. Ich denke aber jedes Mal, dass der andere Teil vom Paar das doch merken muss.
Und dann? Denken wir mal zu Ende. Angenommen, der Mann flirtet mit dir, die Partnerin bekommt das mit und wird dich genau beobachten und prüfen. Reagierst du? Wie? Flirtest du zurück? Und auch der Mann wird schauen, wie du reagierst. Verunsichert er dich, bleibst du cool? Reicht das Aussenden deiner Grenze – die des Ignorierens?
Bisher hat es gereicht, dass ich überhaupt nicht darauf anspringe. Und ja, eigentlich müssten die beiden dann miteinander Stress haben, nicht ich.
Schwieriger wird es, wenn du ihn (um im Beispiel zu bleiben) auch attraktiv findest und vielleicht so gut, dass eine Seite in dir anspringt, die mehr will.
Das war bisher noch nie so. Aber wenn? Dann sollte ich wohl schnellstens das Weite suchen. Dann bin ich ja nicht mehr in meiner Rolle. Puh, und wie löse ich das auf? Ich kann ja schlecht die Wahrheit sagen.
Such dir Supervision, beleuchte die Seite, die anspringt, und schau, was es mit dir zu tun hat. Wenn du dich nicht zurück in deine Rolle beamen kannst, musst du aussteigen.
Wie erkläre ich das? Also, wenn …
Bleib nah bei der Wahrheit: Die Themen des Paares ähneln zu sehr deinen eigenen Themen. Du kannst nicht parteiisch oder objektiv sein, weil du spürst, dass dir manches, was er oder sie sagt, zu nahe geht oder zu fremd ist. Du bist vom Alter her zu weit weg oder zu nah dran. Nutze das, was dir am leichtesten fällt auszusprechen. Nimm es zu dir.
Du könntest auch wunderbar spiegeln, was passiert. »Ich erlebe dich gerade sehr flirtend und es gibt ja Menschen, die flirten einfach gern. Mit allem und jedem. Wie ist das bei dir?« Oder an die Partnerin gerichtet: »Wie erlebst du deinen Mann gerade?« Und schon hast du das Thema im Raum und weg von dir.
Und manchmal ist ein bisschen Flirten die Würze des Lebens und sollte nicht zu hoch gehangen werden. Ein Lächeln hier, ein Lächeln da schadet nichts.
Behalt dich und die Gesamtsituation kritisch im Blick und schau gemeinsam mit deiner Supervisorin auf das, was du erzählst.
6Unterschiedliche Aufträge – Was nun?
Toni: Fast immer kommen die Paare ja mit unterschiedlichen Aufträgen. Mein aktuelles Paar hatte zum Glück den gemeinsamen Wunsch, sich wieder mehr Zeit füreinander zu nehmen. Die Paarberatung sollte der Einstieg sein und sie machen das gut. Handeln aus, was jeder beisteuern kann, und selbst der gemeinsame Beratungstermin ist ein Event. Danach gehen sie immer gemeinsam essen. Was mache ich, wenn sie mit unterschiedlichen Aufträgen kommen?
Zunächst: Hab keine Angst vor der Unterschiedlichkeit. Zur Paartherapie melden sich die Paare ja oft in einer kritischen Phase an, wenn sie sich zu sehr an den Unterschiedlichkeiten reiben. Deshalb ist es nur stimmig, wenn sie auch unterschiedliche Aufträge und Wünsche in die Beratung mitbringen. Meistens gibt es den übergeordneten Auftrag: Es soll beiden miteinander wieder besser gehen. Wenn ich davon ausgehe, dass das die gemeinsame Überschrift ist, lass ich mir das kurz bestätigen und dann geht es zurück in die Unterschiede.
Konkrete Frage:
•»Kann ich davon ausgehen, dass euer gemeinsamer Wunsch ist, dass ihr euch miteinander wieder wohler fühlt, oder ist es etwas anderes?«
Ist das nicht zu suggestiv?
Da gebe ich meine Annahme in die Frage, sodass sie sich geschlossen und suggestiv anfühlt, richtig. Aber mit dem Zusatz »… oder geht es um etwas anderes?« öffne ich die Frage wieder.
Also bestenfalls bestätigen sie, dass es das ist, was sie wollen. Zusammenbleiben und es soll ihnen wieder besser gehen, miteinander. Und wenn eigentlich einer gehen will?
Wenn ich mir ganz unsicher bin, wo die Reise hingehen soll, frage ich, ob es sich um eine Trennungsberatung oder eine Wir-wollen-als-Paar-zusammenbleiben-Beratung handelt. Die Paare dürfen alles: klar sein, ambivalent sein. Wir müssen nur wissen, unter welcher Überschrift wir gerade sprechen. Und manche bleiben ewig in der Ambivalenz von Bleiben oder Gehen gefangen. Doch erinnere dich, wir müssen nichts lösen. Wir spiegeln, was wir hören:
•»Da gibt es also schon länger eine Ambivalenz.«
•»Ganz klar, ihr wollt zusammenbleiben.«
•»Alex ist unsicher, Steffi will bleiben.«
Das Benennen ist das Dach, der Rahmen, und die beiden entscheiden, was unter