Jimi Hendrix. Charles R Cross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles R Cross
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454403
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legte Ernestine Benson den Betrag aus, damit Jimi seine erste Gitarre kaufen konnte. In den Augen der Meisten war das Instrument nichts weiter als ein wertloses Stück Holz. Jimi jedoch verwandelte die Gitarre in ein wissenschaftliches Projekt: Er experimentierte mit jedem Knöpfchen und Hebelchen, das die Gitarre zu bieten hatte. Er machte weniger Musik als Krach. „Sie hatte nur eine Saite“, bemerkt Ernestine Benson, „aber die brachte er wirklich zum Sprechen.“

      Als er nun Luftgitarre spielte, hatte er zumindest eine echte Gitarre, die er dabei halten konnte. Bei einer Matinee im Atlas Theater sah Jimi den Film Johnny Guitar von Nicholas Ray. In seiner Rolle als Johnny Guitar ließ der Schauspieler Sterling Hayden, der im ganzen Film nur einen einzigen Song spielt, seine akustische Gitarre mit dem Hals nach unten über den Rücken hängen. Dieses Bild grub sich unauslöschlich in Jimis Gedächtnis. „Er sah den Film“, erinnert sich Jimmy Williams, „und er stand total auf die Art, wie sich der Typ die Gitarre auf den Rücken hängt. Er trug die Gitarre genau wie der Kerl im Film.“ Wie viele Teenager betrachtete Jimi die Gitarre als modisches Accessoire. Mehrere seiner Klassenkameraden erinnern sich, dass er die kaputte Gitarre zum Angeben in die Schule mitbrachte. Wenn er gefragt wurde, ob er spielen könne, antwortete er: „Die ist kaputt.“ Trotzdem ließ er die Gitarre nie aus den Augen. Und wenn er schlief, hatte er sie auf dem Bauch liegen.

      Im Sommer 1957 war Jimi vierzehn Jahre alt. Zwei Ereignisse der kommenden achtzehn Monate sollten ihm sein Leben lang in Erinnerung bleiben: Er sah einen Auftritt von Elvis Presley und eine Predigt von Little Richard.

      Elvis spielte am 1. September im Sick’s Stadium in Seattle. Jimi konnte sich die einen Dollar fünfzig teure Eintrittskarte nicht leisten und verfolgte das Konzert von einem Hügel aus, von dem aus man Einblick in das Stadion hatte. Obwohl Elvis nur ein winzig kleiner Fleck war, wurde Jimi dennoch Zeuge der Euphorie der sechzehntausend Fans, die den Star auf der Bühne begrüßten. Elvis spielte seine größten Hits, und statt am Ende des Auftritts von der Bühne abzugehen, sprang er auf den Rücksitz eines weißen Cadillac und fuhr davon. Als der Wagen das Sportfeld verließ, gelang es Jimi, aus nächster Nähe einen Blick auf den King in seinem Goldlaméanzug zu werfen. Zwei Monate nach dem Konzert zeichnete Jimi ein Bild von Elvis in sein Heft, auf dem er eine akustische Gitarre hält und von dutzenden Titeln seiner Hits umgeben ist.

      Irgendwann im darauf folgenden Jahr machte Leon eine Besorgung für seine Pflegemutter, als er eine Limousine erspähte, der Little Richard entstieg. Richard schüttelte Leon die Hand und sagte, er würde in der Kirche vor Ort predigen – es war die Zeit, in der Richard dem Rock ’n’ Roll zugunsten des Herrn abgeschworen hatte. Leon rannte los und suchte Jimi, und am Abend besuchten die beiden Richards Predigt. „Wir hatten eigentlich keine guten Klamotten“, sagt Leon. „Jimi hatte ein weißes Hemd an, aber dazu trug er abgerissene Tennisschuhe. Die Leute in der Kirche haben uns angestarrt.“ Diese Begebenheit bildete später die Grundlage seiner Behauptung, er sei wegen unangemessener Kleidung aus der Kirche „geflogen“, was so nie passierte. Stattdessen verfolgten Jimi und Leon von der Kirchenbank aus gebannt, wie der entkrauste Haarschopf von Little Richard auf und ab hüpfte, während er von Pech und Schwefel fabulierte. Nach dem Gottesdienst warteten die beiden Jungen, um Richard noch einmal zu begegnen, doch anders als die anderen in der Schlange wollten sie nicht mit ihm über die Bibel reden – sie wollten die erste berühmte Persönlichkeit berühren, der sie je nahe gekommen waren.

      * * *

      Im September 1957 kam Jimi in die neunte Klasse. Der Höhepunkt des Jahres und vielleicht sogar der seines bisherigen Lebens war die Begegnung mit Carmen Goudy, die seine erste Freundin werden sollte. Mit dreizehn Jahren war sie jünger als er, lebte aber in ähnlicher Armut. „Wenn wir zusammen genug Geld für ein Eis am Stiel hatten, dann war das eine Riesensache“, erinnert sich Carmen. „Wir haben es uns geteilt.“ Wenn die beiden, was selten genug vorkam, einmal genug Geld für den Besuch einer Matinee hatten, dann nur, weil Carmen ihren Beitrag zur Sonntagsschulkollekte unterschlagen hatte. Die meiste Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, gingen sie spazieren oder hingen in Parks herum.

      Auch Carmen lebte in einer Pension, doch selbst ihr erschien Jimi ärmer als arm. „Er hat diese billigen weißen Halbschuhe getragen“, sagt sie. „Er hatte ein Loch in der Sohle, also hat er ein Stück Pappe ausgeschnitten und in den Schuh gelegt. Er ist aber so viel rumgelaufen, dass die Pappe bald durch war. Also kam er auf die Idee, nicht einfach nur ein Stück Pappe in den Schuh zu legen, sondern immer gleich einen kleinen Vorrat an Pappstücken mit sich in der Tasche rumzutragen. Wenn er dann rumlief und die Pappe durch war, hat er ein neues Stück reingelegt.“ Jimi hatte in der Schule selten etwas zu essen dabei, weshalb sich Carmen regelmäßig ihr Schulbrot mit ihm teilte.

      Das Einzige, was beide im Überfluss besaßen, waren Sehnsüchte, denn sie beide waren Träumer. Carmen stellte sich vor, eine berühmte Tänzerin zu werden. Jimis dringendster Wunsch war der nach einer echten Gitarre. Wenn er die erst einmal hätte, verkündete er, würde er ein berühmter Musiker werden. Obwohl sich ihre Schulfreunde über diese Art von pubertären Angebereien lustig machten, bildeten sie doch den Kitt ihrer jugendlichen Romanze. „Wir haben das ‚so tun, als ob‘ genannt“, sagte Carmen. „Wir haben uns gegen-seitig Mut gemacht, ohne dem anderen das Gefühl zu geben, das, wovon er träumte, sei vielleicht unmöglich.“

      Carmen besaß jedoch noch einen weiteren Vorzug, der auf Jimi sehr anziehend wirkte. Ihre Schwester war mit einem Mann zusammen, der Gitarre spielte. Jimi hing wie eine Klette an ihm, als könnte er allein durch Zuschauen dessen Fähigkeiten erwerben. Jimi hatte gelernt, seine Luftgitarre mit Geräuschen abzurunden, die er mit dem Mund erzeugte. „Er kriegte Töne hin, die fast an eine Gitarre herankamen“, sagte sie. „Das klang ein bisschen wie Scat-­Singing im Jazz, er konnte tatsächlich ein Gitarrensolo singen, ohne Worte, nur mit Tönen, die er seiner Kehle entlockte.“ Was richtiges Singen anging, so behauptete Jimi seine Stimme sei nicht gut genug; egal, wie oft Carmen ihn drängte, er weigerte sich, für sie zu singen. Sein Stottern war beinahe verschwunden und kam nur noch zum Vorschein, wenn er nervös war, was in Carmens Gegenwart allerdings häufig der Fall war.

      Andere Jungen in der Nachbarschaft in Jimis Alter bekamen in jenem Jahr ihre ersten Instrumente. Pernell Alexander war der Erste seiner Freunde, der eine Gitarre besaß, auch wenn es eine akustische mit einem Hals so breit wie ein Baseballschläger war und kaum ein qualitativ hochwertiges Instrument. Später in jenem Jahr legte sich Pernell eine elektrische Gitarre zu, und dieses Instrument war eine derartige Attraktion im Viertel, dass die Jungen manchmal bei ihm vorbeikamen, nur um die Gitarre anzustarren.

      Als es Jimi endlich gelang, Saiten für seine akustische Gitarre aufzutreiben, war es eine wahre Erleichterung, das Instrument endlich spielen zu können – auch wenn der Hals verzogen war und sie sich ständig verstimmte. Er spielte trotzdem ununterbrochen darauf, zumindest bis Al ihn erwischte. Jimi war Linkshänder, aber sein Vater bestand darauf, dass er mit rechts schrieb. Al fand, dasselbe Prinzip sollte auch für die Gitarre gelten. „Dad hielt alles Linkshändige für Teufelswerk“, erinnert sich Leon. Jimi zog die Saiten seiner Gitarre so auf, dass er sie linkshändig spielen konnte. Das führte zu der beinahe schon komischen Angewohnheit, dass Jimi seine Gitarre, wenn Al nach Hause kam, schnell umdrehte, dabei aber immer weiter sein Stück spielte. „Er lernte sie mit links und rechts zu spielen, weil er die Gittare jedes Mal, wenn Dad ins Zimmer kam, umdrehen und verkehrt herum spielen musste, sonst hätte Dad ihn angeschrien“, sagte Leon.

      „Dad gefiel es gar nicht, dass er die ganze Zeit Gitarre spielte und nicht arbeitete.“ Al meldete Jimi so oft wie möglich zum Rasenmähen an, eine Verpflichtung, vor der sich der jüngere Hendrix tunlichst drückte.

      * * *

      In jenem Jahr zog Leon vorübergehend bei seinen Pflegeeltern aus, und die drei Hendrix’ wohnten wieder zusammen in einem einzigen Zimmer. Jimis Stimmung hellte sich durch das Zusammensein mit seinem Bruder wieder auf, und auch seine Schulnoten besserten sich. Im Herbst hatte er wieder Dreien in Englisch, Musik, Naturkunde und Werken. Im Sport fiel er erneut durch, und in Aufmerksamkeit und Betragen bekam eine Vier. Aber selbst diese bescheidenen Noten waren eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass er inzwischen mindestens einmal die Woche die Schule schwänzte. Wenn er sich selbst vom Unterricht befreit hatte, spazierte er meist wie Johnny Guitar mit der Gitarre