The Rolling Stones. Stanley Booth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanley Booth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854456353
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sich am Beverley Boulevard ein Haus für Bill Wyman ansehen und ich könne währenddessen einen Wagen benützen, wenn ich sie nur hinfahren und wieder abholen würde. (Jo konnte nicht fahren.) Ich kreuzte also in einem Oldsmobile die Santa Monica hinunter und den Beverley Boulevard hinauf, setzte Jo ab, fuhr zurück zu einem Kopier-Shop auf der Santa Monica und wartete, wobei ich mit den Autoschlüsseln klimperte, was wahrscheinlich nur dazu beitrug, dass die träge wie ein Rind wirkende Matrone in dem Shop noch langsa­mer agierte. Sie arbeitete genauso bedächtig wie die riesige Maschine, die summte und blitzte und schließlich grau gesprenkelte Kopien des Briefes der Stones ausspuckte. Ich zahlte einen Dollar fünfzig dafür, fuhr zum Postamt, schickte das Original per Spezial-Luftpost an die Literaturagentur und eine Kopie heim nach Memphis. Ich ging am Zigarettenstand des blin­den Mannes vorbei hinaus zum Oldsmobile, fuhr den Sunset Strip hin­unter und hielt nach einer Telefonzelle Ausschau. Da ich auf der Straße keine sah, hielt ich gegenüber vom „Playboy Club“, lief wie ein Mann in einer Spionagestory hinein und fragte die Bunny-Lady, die mich begrüßte, ob ich das Telefon benützen dürfte. Es war erst ungefähr elf am Vormittag und keine anderen Kunden waren anwesend, aber sie war in voller Mon­tur – mit den sadomasochistisch hohen Absätzen, ganz in blauem Satin, den Busen hochgeschoben, als wären ihre Brüste zwei giftige Früchte, de­likat aber unberührbar und auf einem Tablett dargeboten, und mit ihren Bunny-Ohren. Ich erzählte ihr, ich arbeite an einer Story für den „Play­boy“ und müsse meine Agentur anrufen. Das klang überzeugend, und als ich das letzte Mal in Hollywood gewesen war, hatte ich tatsächlich für den „Playboy“ gearbeitet. Sie gab mir den Hörer und ging diskret ein paar Schritte auf Abstand, wobei ihr flauschiger weißer Hasenschwanz hüpfte.

      Ich saß auf dem kleinen Bunny-Hocker, rief die Agentur an und er­klärte dem ersten Assistenten, der berühmte Brief sei unterwegs, dass man Schneider wie ein Rudel Haie meiden müsse und dass man den Vertrag fürs Buch in einem neutralen Umschlag an das Oriole-Haus schicken solle. Dann machte ich mich auf den Weg zurück zu dem Haus am Beverly Bou­levard, dessen rote Ziegel, Sträucher und orientalische Teppiche Jo für gut genug für Bill und Astrid hielt. Irgend etwas an diesem Haus wirkte ein wenig düster auf mich, aber das konnte auch nur eine negative Reaktion auf Jo sein, die auf dem Rückweg nach Oriole über ihren nervösen Aus­schlag und ihren Kräuterdoktor redete, während sie eine Zigarette nach der anderen rauchte.

      Im Oriole aß ich Sandwiches mit Cheddar-Käse und trank Bier zum Frühstück. Charlie wollte gerade zum Sunset Sound Studio aufbrechen und Sandison ging mit, weil er dort anscheinend einen Reporter vom „Saturday Review“ treffen sollte. Ich schloss mich ihnen an. Eine Limousine brachte uns hin und wir gingen die kleine Allee hinunter und durch die vielen Tore und Türen, die wir alle hinter uns versperrten, in den Kon­trollraum, ein mit Teppichen ausstaffiertes Cockpit, das eine riesige Konso­le mit Hunderten von Lichtern, Knöpfen, Schaltern und Schiebereglern beherbergte. Vor uns war ein großes dunkles Fenster und darüber be­fanden sich gigantische, schräg in Richtung unserer Köpfe montierte Laut­sprecher, aus denen der Sound donnerte.

      Keith, der an der Konsole saß, trug eine Lederjacke mit Fransen, wie sie damals gerade in Mode waren. Es war die am schlimmsten aussehende Lederjacke, die mir jemals untergekommen war, das Leder ein ausge­bleichtes Gelb, brüchig und trocken, das Futter ausgerissen. Sein Zahnan­hänger pendelte am Ohr, in der Linken hielt er einen großen gelben Joint und seine Rechte ruhte auf dem roten Knopf, der die klangliche Intensität seiner Gitarre bei der Aufnahme verstärkte. Es gab acht Tonspuren auf dem breiten Band, das durch die Maschine lief, und ein Tontechniker behielt sieben davon im Auge, während Keith sich um seine eigene Spur kümmer­te. Jagger stand in engen blauen Hosen und einem weit ausgeschnittenen, blauen Pullover hinter ihnen, die linke Hand auf der Hüfte, den rechten Ellbogen eng angelegt, die rechte Handfläche nach oben zeigend. In der Hand hielt er einen Joint von der durchschnittlichen Größe des Pimmels eines schwarzen Basketballers, den er nicht wie Joan Crawford oder gar Bette Davis rauchte, sondern wie Thea Bara – mit geschlossenen Augen, gespitzten Lippen, dann mit leicht offenem Mund, während der Rauch sich zwischen seinen dicken, offenen Lippen kräuselte und er sanft saugend inhalierte.

      Keith grinste und zeigte dabei seine kaputten Zähne, während sich tiefe Falten um seine Augen legten als sein Gitarren-Lick kam und er den Knopf drehte und es aufschreien ließ. Dabei verstärkte er jedesmal den Schmerz ein bisschen, so wie Betrunkene in den Bars der Jahrhundertwende, die für fünf Cents pro Stromschlag am Knopf einer Elektroschockmaschine dreh­ten. Keith tat das allerdings nur, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen; er erzeugte ein bisschen Hochspannung, um das Bewusstsein auf das zu lenken, was gesagt wurde: „Did you hear about the Midnight Rambler?“ Jaggers Harmonika und Keiths Gitarre – wimmernd und sich windend, einander im Sturzflug umkreisend, völlig auf der Kippe: „Says everybody’s got to go.“

      Wir hatten all die Türen und Tore zum Studio abgeschlossen, waren aber nicht wegen dem Dope im Studio eingesperrt, sondern weil die Sto­nes keine Arbeitsgenehmigung hatten und amerikanische Studios eigent­lich nicht benützen durften. Sie machten es illegal und hatten großen Spaß daran. Nach der Hälfte des Songs – „the one you never seen before“ – kamen zwei Männer in den Kontrollraum. Der eine trug einen Seiden­anzug, der blau und grün schillerte wie Autolack, hatte eine Zigarre im trägen Maul und glänzendes schwarzes Haar; das war Pete Bennett, der sagte: „Ich bin der beste Typ, den du auf der Welt haben kannst, um deine Platte für dich zu pushen.“ Der zweite Mann war, in Hush Puppies und einem gelben T-Shirt, der legendäre Allan Klein. Obwohl erst in seinen Dreißigern, sah er alt und grau und ein wenig wie Jack Ruby mit Krebs aus, und mir wurde klar, dass er meine Pläne für ein Buch nur deshalb nicht wie einen Käfer unter seinen Hush Puppies zerquetscht hatte, weil er bis jetzt noch nicht dazu gekommen war. Ich hatte Angst, dass er mich bemerken und auf mich treten würde und glitt schnell um die Konsole herum, um mich auf der Couch niederzulassen und mein Gesicht in einem Magazin zu vergraben. Ich las ein Interview mit Phil Spector, der mit einundzwanzig als erster Teenager-Millionär des Rock ’n’ Roll berühmt wurde. In diesem Interview machte Spector fast jeden im Musikbusiness einschließlich der Mafia lächerlich, sagte über Allen Klein aber nur: „Ich glaube nicht, dass er ein sehr guter Kerl ist.“ Ich kauerte mich tiefer in das Kunstleder. Der Song steigerte sich zu einem irren Höhepunkt, einer auf Wellen von Harmonika und Gitarre reitenden Botschaft der Angst – schnel­ler und schneller, atemlos, rasend. Und ich fragte mich, was zum Teufel ich mit diesen verrückten englischen Käuzen hier tat und was sie eigent­lich taten, dass sie dafür Allen Klein brauchten, der immerhin selbst Phil Spector Respekt einflößte. Sogar Spector – ein Mann mit so vielen Leib­wächtern und Zäunen und so viel kugelsicherem Glas, dass er sich über die Stones lustig machte, weil sie verhaftet wurden – schien vor diesem untersetzten, missmutig dreinschauenden Buchhalter in seinem ausge­buchteten gelben T-Shirt Angst zu haben. Was mir aber den größten Schrecken einjagte, war das Wissen, dass ich, was auch immer sie vorhat­ten, davon erfahren musste. Ob Klein mir mein Buch oder mein Geld neh­men oder ob er mich umbringen lassen würde – ich musste versuchen, in der Nähe zu bleiben, um die Geschehnisse zu verfolgen. Ich musste das für Christopher tun, aber auch, weil ich Brian gemocht hatte und ihn gerne besser gekannt hätte. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass irgend etwas passieren würde, das ich nicht versäumen durfte. Der Song klang in einem Dialog aus peinigenden kleinen Vogelschreien zwischen Harmonika und Gitarre aus; Mick und Keith loteten die Poesie der letzten atemlosen Mo­mente des Ritts der Messerklinge aus und Mick krächzte mit einer Stim­me wie jemand, der versichern will, er sei nicht der Würger von Boston.

      Da saß ich nun im verrückten Los Angeles der Endsechziger auf die­ser Naugahyde-Couch und aus den Lautsprechern dröhnten derart arge Sounds, derart niederträchtige menschliche Seufzer und Schreie, wie sie noch nie auf einer Platte so bedrohlich geklungen hatten. Sie waren nicht neu, sondern fast so alt wie die Zeit. Ich hatte dergleichen Klänge schon als kleiner Junge auf dem Land in Süd-Georgia gehört: Wenn ich im Bett lag, lauschte ich den Tieren, die weit entfernt im Wald schrien. Ich hörte die Klänge, die die schwarzen Waldarbeiter produzierten, wenn sie das ab­hielten, was sie einen Gottesdienst nannten, weit entfernt in den Wäldern, die ganze Nacht Trommeln wie der Herzschlag der dunklen sumpfigen Wälder, boom-dada boom-dada. Und ich hatte jene Geräusche gehört, die ich nicht identifizieren konnte – die wirklich angsteinflößenden. Ich war nicht mehr so verängstigt gewesen, seit ich als Junge