Immer wenn ich Cus von meiner lausigen Kindheit erzählte, sagte er, dass er das Gleiche durchgemacht hätte. Sie hätten nie viel Geld gehabt, und manchmal hätten sie Äpfel gestohlen und mit Freunden geteilt. „Heutzutage sagt man, man soll nichts essen, von dem schon ein anderer abgebissen hat, weil man sich Keime einfängt“, erzählte er mir. „Als ich ein kleiner Junge war, teilte ich mir Äpfel mit meinen Freunden. Erst biss der eine ab, dann der andere. Wir wurden ständig krank.“ Einmal hungerte er testweise fünf Tage lang, um sicherzugehen, dass ihn niemand mit Nahrungsentzug einschüchtern konnte. Er schloss daraus, dass er zwei Wochen durchhalten könnte, „wenn man seinem Körper nicht allzu viel abverlangt“.
Auch Cus wurde als Heranwachsender tyrannisiert. Von den Nachbarskindern wurde er gehänselt, weil ihn seine Eltern wie den „kleinen Lord“ anzogen. Sein älterer Bruder Gerry war ein harter Kerl. Von ihm hatte Cus schon ein wenig kämpfen gelernt. Einmal wurde ein Nachbarsjunge von sieben Burschen schwer verprügelt; Gerry kam dazu, pflügte einfach durch das Gewühl und schlug sechs Typen mit sieben Schlägen k. o. Gerry war Cus’ Held, und er war der erste von Cus’ Brüdern, der sich einer Gang anschloss. Cus trat in seine Fußstapfen; von da an war er ständig in Straßenschlachten verwickelt.
Cus erzählte von der Zeit, als er um die zwanzig war. Eines Tages saß er vor seinem Haus, als Vincent „Mad Dog“ Coll, ein notorischer Gangster, der mit Dutch Schultz verbandelt war, auf ihn zuging und ihm eine Waffe an den Kopf hielt.
„Du sagst mir besser, wo so-und-so ist“, erzählte Cus.
„Ich weiß nicht, wo er ist. Du wirst mich schon erschießen müssen.“
Mad Dog bemerkte, dass er an den Falschen geraten war, und zog wieder ab. Erst dann begann Cus zu zittern.
Cus erzählte mir, dass er aufgrund einer Straßenschlacht auf einem Auge blind geworden sei. An diesem Punkt wird es etwas schwammig. Im Laufe der Jahre präsentierte Cus vier verschiedene Versionen davon, was passiert war. Mir erzählte er, dass es geschehen sei, als er einen Nachbarsjungen verteidigte, der von einem Typen mit einem Messer bedroht wurde. 1958 stellte er gegenüber Sports Illustrated den Zwischenfall völlig anders dar: „Ich hätte boxen können und sollen, aber ich war in einen Straßenkampf verwickelt, als ich zwölf war. Da war … einer dieser Männer, die Kinder herumschubsen, weil sie wissen, dass sie erwachsene Männer nicht herumschubsen können. Er verletzte mein rechtes Auge; auf diesem Auge war ich blind, aber den Typen schlug ich in die Flucht und jagte hinter ihm her.“ Aber dann berichtete er Gay Telese vom New York Times Magazine, dass er auf dem linken Auge blind geworden wäre, weil man ihn in einer Straßenschlacht mit einem Stock getroffen hätte. Die Stock-Version wurde von ihm weiter ausgebaut; er erzählte, er hätte in einem Schaufenster seinen heraushängenden Augapfel gesehen. Ein anderes Mal behauptete er wiederum, er habe sein Augenlicht verloren, weil er versuchte, ein Kind vom Quälen eines Katzenbabys abzuhalten.
Die wahre Geschichte ist vermutlich viel schrecklicher. Eine von Cus’ Nichten erzählte, ihr Vater hätte auf dem Totenbett enthüllt, dass Cus seine Sehkraft auf einem Auge eingebüßt hätte, als ihn Damiano mit einer Gürtelschnalle züchtigte. Cus erzählte mir oft, dass sein Vater auf ihn eingeschlagen habe.
„Niemand hat so viele Schläge bekommen wie ich. Ich habe die schlimmsten Schläge der Welt bekommen, aber ich hatte sie auch verdient“, berichtete er. Wenn Cus zu spät nach Hause kam, ging er schon in Deckung, bevor er überhaupt die Tür geöffnet hatte. Kaum hatte er die Wohnung betreten, ging es bumm, bumm, bumm – sein Vater stürzte auf ihn los und prügelte ihn halb tot. Cus weigerte sich zu versprechen, dass er nie mehr zu spät kommen würde. Eines war Cus immer wichtig: Du kannst mich töten, aber du wirst mich nicht brechen. Sein Vater weinte, während er ihn schlug. Einmal konnte es Cus nicht mehr ertragen und keuchte: „Vielleicht mache ich es nicht noch einmal.“ Damiano begann zu weinen, dann fielen sich die beiden in die Arme.
„Es ist Blödsinn, wenn manche Leute sagen, dass Schläge die Seele eines Kindes brechen“, erzählte Cus einem Reporter. „Ich habe nie den Respekt oder die Liebe zu meinem Vater verloren, und meinen Willen hat das auch nicht gebrochen.“ Ich frage mich, ob Cus mir deshalb von seinen Schlägen erzählte, weil er wusste, dass ich als Kind ständig von meiner Mutter geschlagen wurde. Diese schreckliche Erfahrung war das Band zwischen uns.
Die Schule hatte Cus nie interessiert. Im zehnten Schuljahr ging er von der Highschool ab. Er gab sich auch keine Mühe, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Sein Vater drängte ihn ständig, sich einen Job zu suchen. Cus wollte Damiano nicht anlügen, deshalb ging er jede Woche einmal in eine örtliche Kühlschrankfabrik und stellte sich ganz hinten in die Schlange der Jobsuchenden, damit er nicht an die Reihe kam. Die Inhaber der Fabrik waren religiöse Juden, und einmal ging einer der Inhaber nach hinten und sagte zu Cus, dass er schwer beeindruckt davon sei, wie der Junge sich Woche für Woche um Arbeit bemühte, und gab ihm einen Job am Fließband. Cus war nicht dafür gemacht, für andere zu arbeiten; es machte ihn wahnsinnig, dass er das nun tun musste, und genervt, wie er war, arbeitete er doppelt so viel wie jeder andere. Der Inhaber wollte ihn zum Assistenten des Vorarbeiters machen. Cus wartete mit neuen Methoden zur Produktivitätssteigerung auf, was den Ex-Häftlingen und lateinamerikanischen Einwanderern ziemlich gegen den Strich ging, denn sie wollten nicht von einem Siebzehnjährigen herumkommandiert werden. Nach einer Reihe brutaler Kämpfe schmiss Cus den Job nach einem Jahr hin.
Cus schien Autoritätspersonen zu hassen, jedoch war er als Teenager einige Jahre lang vom Katholizismus fasziniert. Obwohl sein Vater nie religiös war, begann Cus die Sonntagsschule zu besuchen, weil einer seiner Freunde dort hinging. Er gewann sogar Preise in seinen Bibelstunden. Ihm wäre niemals eingefallen, eine Sünde zu begehen, und die Zehn Gebote befolgte er wörtlich. Er dachte sogar darüber nach, Priester zu werden. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich auch mit dem Tod. Wenn es in der Nachbarschaft eine Beerdigung gab, beobachtete er den Trauerzug und dachte sich: „Je früher, desto besser.“ Wenn Leute gestorben waren, die er kannte, nahm er an, dass sie nun glücklich wären, weil sie den ewigen Frieden gefunden hätten. Er erzählte mir, dass er aufs Geratewohl Friedhöfe besuchte und die Namen auf den Grabsteinen las.
Dann gab ihm jemand ein Buch, das seine Einstellung änderte. Es war Age of Reason (Zeitalter der Vernunft) von Thomas Paine. Paine hasste organisierte Religion und stellte die Legitimation der Bibel infrage. Die katholische Kirche setzte dieses Buch auf den Index, was bedeutet, dass es eine Sünde war, es zu lesen. Nach Cus’ Verständnis war er nun kein Katholik mehr.
Er wurde zwar kein Priester, aber er diente Gott auf seine Weise. Er sagte immer, dass er viel aus dem Beispiel seines Vaters gelernt hätte. Ich glaube, er war von der Selbstlosigkeit seines Vaters beeindruckt. Plötzlich wurde Cus zu einem gesuchten Ansprechpartner in seinem Wohngebiet, einem, zu dem man ging, wenn man ein Problem hatte. Er übersetzte, reparierte Dinge und verhandelte mit Vermietern, wenn jemand die Miete nicht zahlen konnte. Er wurde sogar zum Jugendberater für die Kids des Viertels. Natürlich verweigerte er jegliche Bezahlung für seine Dienstleistungen; was er tat, tat er aus Gefälligkeit.
Mehr als alles andere hasste er es, wenn reiche Leute die armen über den Tisch zogen. Cus erfuhr, dass der Schwiegervater seines Freundes Angelo Tosto von einem betrügerischen Landerschließungsunternehmen in Deer Park, Long Island, richtig abgezockt worden war. Diese Betrüger hatten es auf slowakische Neueinwanderer abgesehen, und brachten sie um ihre gesamten Ersparnisse, indem sie ihnen Land verkauften, auf das sie selbst keinen Anspruch hatten. Cus verbrachte Jahre damit, Nachforschungen über diese Betrüger anzustellen. Schließlich suchte er an einem Freitag das Anwaltsbüro des Unternehmens auf und gab sich als Schwiegersohn von Angelos Schwiegervater