Aus dem Schweigen zum Handeln: Thomas Merton
Seine Autobiografie „Der Berg der sieben Stufen“ wurde insgesamt mehr als eine Million Mal verkauft und in 28 Sprachen übersetzt. Der Trappistenmönch Thomas Merton schrieb über siebzig Bücher, mehrere hundert Gedichte und zahllose Artikel. Darin setzte er sich mit der monastischen Spiritualität, aber auch mit politischen Fragen wie den Rechten und Pflichten der Bürger, den Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösung und den Folgen nuklearen Wettrüstens auseinander. Eine laute Berufung im Leben in Stille: Der asketische Mönch hat zahlreiche Menschen tief beeindruckt und nachhaltig beeinflusst.
Thomas Merton führte ein bewegtes Leben, bevor er zu einem der wichtigsten Vertreter des kontemplativen Lebens des vergangenen Jahrhunderts wurde. Merton wurde im französischen Prades (Nord-Pyrenäen) geboren. Seine Eltern, der Vater Neuseeländer, die Mutter Amerikanerin, waren Künstler. Sie hatten sich in einer Malschule in Paris kennen gelernt. Nach der Heirat in London kehrten sie nach Frankreich zurück, wo Thomas am 31. Januar 1915 das Licht der Welt erblickte. Die Mutter starb, als Thomas sechs Jahre alt war. Zusammen mit seinem reiselustigen Vater habe er eine „wilde Kindheit und Jugend“ verbracht, schreibt Merton im Rückblick. Die zahlreichen schulischen Stationen in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten legen davon Zeugnis ab.
An der Columbia University New York nahm Merton schließlich das Studium der Journalistik auf. Er kam mit wichtigen Literaturgrößen seiner Zeit zusammen und interessierte sich fürs Schreiben und die politische Auseinandersetzung. In dieser Zeit sei er ein strikter Atheist gewesen. Zwar machte der als Protestant getaufte Merton erste Erfahrungen mit dem römischen Katholizismus schon im Alter von sechzehn Jahren in Italien, doch führte ihn letztlich der Tod seines Großvaters zum christlichen Glauben und dann zum Mönchtum. Als sein Großvater 1937 starb, beschäftigte sich Merton intensiv mit dem Glauben und trat nach eigenen Worten „aufgrund eines dramatischen Bekehrungserlebnisses“ am 10. Dezember 1941 in die Abtei Notre-Dame von Gethsemane in Kentucky (USA) ein, eine Gemeinschaft von Mönchen aus dem Orden der Zisterzienser der strengen Observanz (Trappisten), einer der streng asketisch lebenden Orden. Siebenundzwanzig Jahre verbrachte er in Gethsemane.
Sein Leben war zunächst das eines strengen Asketen, der mehr der Stille und dem Gebet als der Welt zugewandt war. Doch wenn auch das Zentrum seines Lebens das geistliche Leben in der Einsamkeit seiner Klosterzelle war, drängte ihn sein Glaube auch auf die politische Bühne. Dass Merton ein Talent für begeisternde Schriften hatte, entdeckte auch sein Abt Frederic Dunne, der ihn bat, bereits mit 33 Jahren seine Autobiografie zu veröffentlichen und damit den Orden bekannt zu machen. So verbrachte Merton seine Jahre im Kloster zwischen Kontemplation und Dialog. Das betende Schweigen und das politische wache Handeln gehörten seiner Ansicht nach untrennbar zusammen.
„Mehr Bücher als notwendig“ habe er schließlich geschrieben, so Merton selbst. Aber die machten ihn zu einem der gefragtesten Gesprächspartner in Fragen der christlichen Ethik und der monastischen Spiritualität. Mit allen Größen seiner Zeit pflegte Merton einen intensiven Austausch. Er korrespondierte mit Päpsten, Bischöfen und Schriftstellern, Theologen aller Konfessionen und Religionen. Gemeinsam mit dem Jesuitenpater und Friedensaktivist Daniel Berrigan wurde Merton zum Gewissen der Friedensbewegung der 1960er-Jahre. In den bitteren Erfahrungen des Rassismus und der Aufrüstung war Merton ein starker Befürworter einer konsequent gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung, die er als „das große Vorbild des christlichen Glaubens in Aktion in der sozialen Geschichte der Vereinigten Staaten“ bezeichnete. Für sein soziales Engagement musste Merton schließlich heftige Kritik von Katholiken und Nichtkatholiken gleichermaßen einstecken. Als seine Meinungen nicht immer gesellschaftsfähig waren, wurden Mertons politische Schriften als unpassend für einen Mönch angegriffen. Letztlich lag Merton aber wohl nicht viel daran, für wichtig gehalten zu werden. Im Kloster wurde er wie alle anderen behandelt. Als einfach, uneitel, unklerikal und äußerst liebenswürdig beschrieben ihn seine Mitbrüder. Schließlich hatte Merton bei aller Prominenz sein Lebensziel nicht aus dem Auge verloren: eine erfüllte Spiritualität.
So setzte sich Merton während seiner letzten Lebensjahre intensiv mit den asiatischen Religionen auseinander. Insbesondere vom Zen-Buddhismus war er fasziniert. Durch die Beschäftigung mit den östlichen Religionen werde der Ost-West-Dialog gefördert, war Merton überzeugt. Der Dalai Lama bezeichnete Merton als Freund, der ihn ein tiefes Verständnis des Christentums gelehrt habe. Ebenso habe Merton die Anliegen des Buddhismus besser nachvollzogen als viele Buddhisten selbst, so der Dalai Lama. Der Abt erlaubte Merton 1968 eine Reise nach Bangkok, wo sich zahlreiche religiöse Größen aus aller Welt zu einem Austausch zum Ost-West-Dialog trafen. Seine letzte Reise: Am 10. Dezember 1968 starb Merton in seinem Hotelzimmer an den Folgen eines Unfalls, genau am siebenundzwanzigsten Jahrestag seines Eintritts in das Kloster Gethsemane.
Ein Baumeister Europas: Robert Schuman
Ernst, aber nicht humorlos, unbestechlich, fleißig und tief religiös, nüchtern, hager und kahlköpfig. So haben Zeitgenossen den deutsch-französischen Politiker Robert Schuman beschrieben. Mit Sicherheit war Schuman nicht das Idealbild eines großen Staatsmanns. Kein Mann der großen Gesten und scharf geschliffenen Reden, sondern eher des Ausgleichs und der leisen, aber durchaus bestimmten Töne. Erst spät geriet der zurückhaltende Schuman in das politische Rampenlicht. Das war 1947. Viele der großen Figuren der französischen Politik waren von der Bildfläche verschwunden, ihre allzu blumig ausgefallenen Ausmalungen einer starken französischen Position in Europa wie Seifenblasen zerplatzt. Da trat Robert Schuman auf den Plan, als 61-Jähriger wurde er Ministerpräsident der durch die Wirren der Nachkriegszeit schwer gebeutelten Republik. Bis dahin war Schuman ein Unbekannter, sprach sogar nicht einmal fließend Französisch, denn er stammte aus dem damals noch zu deutschem Gebiet gehörenden Lothringen. Dennoch fiel der unbestechliche Jurist auf. Vor allem durch seinen Fleiß, mit dem er wie ein Uhrwerk die schwierigsten Aufgaben meisterte. Ein Mann mit seinen Fähigkeiten war nun gefragt. Sachlich und unpathetisch mussten die anstehenden Probleme gelöst werden.
Schumans Leben liest sich wie der frühe Entwurf des heutigen Weltbürgers. Die Mutter Luxemburgerin, der Vater Lothringer, ein Zollbeamter. Beide gaben sie ihm eine tief religiöse Prägung mit auf den Lebensweg. In Bonn, München und Berlin studierte Schuman Jura, wurde an der Pariser Sorbonne zum Doktor promoviert und ließ sich anschließend in Metz als Anwalt nieder. Dem Staat gegenüber loyal diente Schuman im Ersten Weltkrieg als preußischer Reserveoffizier. Seine Treue galt aber vor allem seiner Kirche, der er in den politischen Wirren nicht nur eine wichtige Funktion zuschrieb, sondern ihre Stimme auch dort einbringen wollte. Als er seine Mutter mit 24 Jahren durch einen Verkehrsunfall verlor, spielte Schuman sogar mit dem Gedanken, Priester zu werden. Letztlich ließ er sich aber von seinem Freund Henri Eschbach davon überzeugen, dass diese Zeit vor allem dem Engagement der Laien gehören müsse: „Die Heiligen dieses Jahrhunderts tragen Straßenanzug!“
Als 1919 Lothringen wieder an Frankreich fiel, engagierte sich Schuman in der katholischen Gruppe „Démocrates Populaires“ und wurde Stadtrat in Metz. Sein Engagement sowie sein unerschütterlicher Glaube brachten ihn während des Zweiten Weltkrieges in große Schwierigkeiten. Er wurde von der Gestapo verhaftet und zur Kollaboration genötigt. Schuman widerstand den Angeboten und floh nach Südfrankreich. Dort pflegte er intensive Kontakte zur Widerstandsbewegung, versteckte sich in Klöstern und Kirchen, in denen oft nachts Versammlungen stattfanden. In einer dieser Zusammenkünfte, bei denen auch der Bischof von Metz teilnahm, verkündete Schuman fest entschlossen: „Hitler ist verloren! Dessen könnt ihr sicher sein!“ Da dies den Nazischergen nicht verborgen blieb, setzten sie eine hohe Prämie auf seinen Kopf aus.
Schuman entkam abermals und gründete nach Kriegsende mit Freunden die Katholische Volkspartei. 1946 wurde er französischer Finanzminister mit der schwierigen Aufgabe, das finanzielle Chaos der Nachkriegszeit in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken.