Ein letzter Gruß. Reiner Sörries. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner Sörries
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783766642868
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bot Berlin, wo Claudia Marschner tätig ist, das ideale Umfeld: eine Großstadt mit ihrer lebhaften Kultur und einer kreativen AIDS-Szene, die offen oder sogar begierig war auf Neues. Eine Bestattung in Frauenhänden bietet unter ähnlichen Vorzeichen Claudia Bartholdi in der Großstadt Hamburg an und verweist ebenfalls auf die ursprünglichen Zusammenhänge von Geburt und Tod: „Schon immer haben Frauen Geburt und Tod begleitet. Ihr Wissen unterstützt die einfühlsame und fürsorgliche Begleitung der notwendigen Handlungen! Auch wir besinnen uns wieder auf die Tradition der Totenwäscherinnen und übernehmen die Abschiednahme und Totenwache in familiären Räumen.“ Milieu und Szene sind offenbar der Nährboden für das frei werdende Bewusstsein einer Individualität, die sich andernorts noch zurückhält. „Die Barke“ hingegen, mit Firmensitz in Schwäbisch Hall und daher eher in einem konservativen Umfeld beheimatet, bietet ihre Dienste bewusst bundesweit an. Daraus ist zu schließen, dass das Pflänzlein einer alternativen Bestattungskultur erst vorsichtig keimt, aber der Weg in die Zukunft ist gewiesen. Sie hat inzwischen auch mittelgroße Städte wie etwa Aachen erreicht, wo Regina Borgmann und Christa Dohmen-Lünemann seit 2007 das Bestattungsinstitut „InMemoriam“ betreiben, und man könnte die Reihe der Frauen fortsetzen, die ihre eigenen Wege gehen.

      Drei Dinge sind ihnen gemeinsam: die Rückbesinnung auf die weibliche Tradition der Totenfürsorge, das Bewusstsein vom Gleichklang von Geburt und Tod und, damit verbunden, ihre Weisheit, dass der Tod ein Übergang ist in eine andere Welt. Ihre Dienstleistungen mögen sich in der Praxis vielleicht gar nicht so sehr von denen ihrer männlichen Kollegen unterscheiden, doch vermitteln sie ihren Kunden ein anderes Gefühl. Sie sprechen es nicht in erster Linie an, aber sie bedienen eben auch den Wunsch einer Frau, von einer Frau bestattet zu werden. Ein anderes Körperbewusstsein und eine damit verbundene Scham, die auch den leblosen Leichnam noch für schützenwert hält.

      Von den genannten Pionierinnen abgesehen haben sich mittlerweile viele Frauen aufgemacht, die Bestattung bewusst aus Frauenhänden anzubieten. Aber selbst, wo ihnen der Weg in die Selbstständigkeit nicht gelingt, sind sie doch mittlerweile als Mitarbeiterinnen in männergeführten Bestattungsunternehmen sehr willkommen. Neben ihrem Organisationstalent wird ihnen eine besondere Einfühlsamkeit zuerkannt, und die Frauen gehen diesen Schritt vermehrt. Der Bestatterberuf ist seit 2003 Ausbildungsberuf, und bereits 2010 waren von 467 Personen in der Ausbildung zur Bestattungsfachkraft 239 Frauen. Eine steigende Zahl von Bestattungsunternehmern findet es gut, wenn Angehörige wählen können, ob sie von einem Mann oder einer Frau betreut werden wollen. Das gilt für die Vorderbühne, wo es um Beratung und Absprachen geht, aber ebenso für die Hinterbühne, wo die Verstorbenen denen, die sie einsargen und zurechtmachen, hilflos ausgeliefert sind.

      Dabei herrscht unter den Frauen eine bewusste Reflexion ihrer Praxis, die allerdings bis heute kaum theoretisch unterfüttert ist. Selbst Erni Kutter, Diplom-Sozialpädagogin und Vorkämpferin für eine weibliche Trauerkultur, die versucht, in das Phänomen der Frauentrauer tiefer einzudringen, verweist letztlich nur auf das „uralte Frauenwissen“, von dem Impulse für die „Entstehung einer neuen Sterbe- und Gedenkkultur“18 ausgehen. Sie verweist auf die traditionelle Beziehung der Frauen zur Kranken- und Totenfürsorge, auf altes schamanisches Wissen ebenso wie auf spirituell-magische Hintergründe der mittelalterlichen Beginen. Aus meiner Sicht macht sie deutlich, dass es sich hier um Gefühle handelt, die den Ausschlag geben, wenn Frauen, die sich ihrer Verschiedenheit bewusst werden, sich bei Geschlechtsgenossinnen besser aufgehoben wissen.

      Die weiblichen Bestatterinnen kommen jedoch nicht nur einem erwachenden Bedürfnis nach der Betreuung der Frauen durch Frauen entgegen, sondern sie nehmen Einfluss auf die Bestattungskultur an sich, denn immer mehr Männer orientieren sich an den weiblichen Idealen und befleißigen sich derselben Sensibilität. Viele Vertreter der neuen Bestattergeneration sind Quereinsteiger/innen und kommen aus unterschiedlichsten Berufen; sie haben sich aufgrund eigener Erfahrungen – gelungenen wie weniger gelungenen Abschieden von nahestehenden Menschen – an einem bestimmten Punkt ihrer jeweiligen Biografie entschieden, ein eigenes Bestattungsinstitut zu gründen. So heißt es auf der Website des „BestatterInnen Netzwerk“19, sie seien ein bundesweiter Kreis inhabergeführter Bestattungsunternehmen, die sich einem gemeinsam erarbeiteten Leitbild20 verpflichtet haben. Vielem darin fühlen sich „normale“ Bestatter/innen ebenso verpflichtet, aber ein besonderer Gedanke ist schon, dass sich die alternativen Bestatter/innen als Wegbegleiter in der kostbaren Zeit zwischen Tod und Bestattung für die Toten und ihre Angehörigen verstehen. Kostbare Zeit ist hier der Schlüsselbegriff, mit dem sie der durch den Tod belasteten Zeit eine neue Qualität verleihen. Und sie verstehen die Toten nicht als Objekte ihres Tuns, sondern als schutzbedürftige Menschen und Teil des Beziehungsgeflechtes, innerhalb dessen es eines Interessenausgleichs zwischen Toten, Angehörigen und Institutionen bedarf.

      Wie die Bestattung seit dem 19. Jahrhundert eine Domäne der Männer geworden war, so gehörte es umgekehrt zum Bild der Frau, dass sie sich um die Pflege der Gräber kümmert. Grabpflege war reine Frauensache, solange die Familie das Standardmodell der Lebensgestaltung war. Dies hat sich, wie wir alle wissen, längst geändert, und eine Vielzahl von Lebensformen ist nicht an ihre Stelle, ihr aber wohl zur Seite getreten. Das Single-Sein als eine weitverbreitete Lebensform erfordert hier neue Strukturen, macht Familiengräber überflüssig und lässt überhaupt die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Bedeutung des Grabes entstehen. Die anonyme Bestattung war gewiss auch eine Antwort auf die Frage nach einer ungewissen Sorge um das Grab. Wo keiner da ist, der diesen Ort der Trauer braucht und sich darum kümmert, ist er verzichtbar. Doch schließt das nicht den Wunsch der Betroffenen nach einer Grabstelle aus.

      Als eine Lösung bietet sich das Gemeinschaftsgrab an, in dem man sich schon zu Lebzeiten einen Platz sichert. Dort kann man sich aufgehoben wissen, bleibt indes so vereinzelt, wie man vielleicht gelebt hat. Wird das Single-Sein indes durch andere Wohnformen ergänzt, in denen Gleichgesinnte zusammenleben, so bietet sich zugleich ein gemeinsames Grab an. Diesen Entschluss fassten 2009 die Frauen der Genossenschaft FrauenWohnen in München: „Die Genossenschaft FrauenWohnen bietet ihren Mitfrauen die Möglichkeit, in einem gemeinsamen Gräberfeld auf dem neuen Friedhof in Riem bestattet zu werden. Dies ist eine Alternative zur anonymen Bestattung oder auch ein Ort für Frauen, die keine Angehörigen haben, die das Grab pflegen können bzw. wollen.“21 Die Frauen der Münchner Wohngemeinschaft wollen demnach nicht nur zusammenleben, sondern nach dem Tod zusammenbleiben, gewissermaßen als „Nachbarinnen für immer“, wie die Süddeutsche Zeitung ihren Bericht über den Frauenfriedhof titelte. Dabei war den Münchner Frauen durchaus bewusst, dass sie nichts Neues erfunden hatten, sondern auf die alte Tradition der Friedhöfe für Ordensfrauen zurückgriffen. Die Frauen wollten wissen, wo sie ihre letzte Ruhe finden. Beim Vereins-Grab haben sie die Gewissheit, dass sie von den Mitgliedern besucht werden – ein schöner Gedanke für jene, die keine Familie haben.

      „Gräberfeld Schiefe Kiefer für Frauen der Genossenschaft FrauenWohnen“ nennt sich das Projekt offiziell in der Trägerschaft eines nicht eingetragenen Vereins, der seinen Vereinszweck in seiner Satzung folgendermaßen formuliert: „Der Zweck des Vereins ist die Anmietung, Verwaltung und Pflege des Gräberfelds Nr. 53 auf dem neuen Friedhof Riem für die Bestattung von Mitfrauen des Vereins.“22 Auf dem Gräberfeld steht eine blaue Stahlskulptur mit dem Titel „Raumzeichnung“, die der Verein in Auftrag gegeben hat. Man habe, so wird berichtet, schon seine Einweihung mit Prosecco begossen, wie man das vielleicht auch bei Trauerfeiern tut. (Abb. 2)

      Dieses Friedhofsmodell wird nicht das einzige bleiben und belegt exemplarisch, dass das gruppenspezifische Gemeinschaftsgrab als wesentlicher Teil des Wandels der Friedhofskultur Ausdruck des Bewusstseins von Verschiedenheit ist. Die Frauen, die hier zusammenleben, haben eine Wohnform gewählt, die ihrer selbst gewählten Lebensform entspricht und verschieden ist von dem, was man lange Zeit für das Übliche gehalten hat. Dass man entsprechend eine andere Bestattungsform wählt, ist naheliegend. Dass es seit 2014 in Berlin einen Friedhof für Lesben gibt, muss als logische Konsequenz dieser Entwicklung angesehen werden. Auf ihn werden wir an anderer Stelle noch näher eingehen.