Ein letzter Gruß. Reiner Sörries. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner Sörries
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783766642868
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bedacht werden, um ihre Situation als gesellschaftliche Randsiedler zu verbessern. Bestatter, Friedhofsgärtner und Steinmetze sehen sich zudem mit dem Vorurteil konfrontiert, mit dem Tod anderer Menschen Geschäfte zu machen.

      Diskriminierungsmechanismen greifen also sowohl bei jenen, die in der letzten Lebensphase stehen, als auch bei denen, die diesen Weg begleiten und organisieren. Viele Anstrengungen, diese Situation zu verbessern, beruhen auf den Initiativen einzelner Personen, Gruppen oder Institutionen, während sie noch nicht als gesellschaftliches Anliegen gesehen werden.

      Da aber heute letztlich jeder sein Recht auf Individualität beansprucht, erlangt die Verschiedenheit als Teil der Identität ihre eigene Bedeutung. Und ein Blick auf diese Verschiedenheit kann dazu beitragen, auch den Wandel der Bestattungs- und Trauerkultur besser zu verstehen, ihn vielleicht sogar als Chance zu begreifen.

      Die Verschiedenheit von Frau und Mann ist keineswegs nur eine biologische, sondern auch eine sozial konstruierte, indem dem jeweiligen Geschlecht bestimmte Verhaltensweisen nicht nur zugeschrieben, sondern auch abverlangt werden. Mit diesem Sachverhalt befasst sich nach Anfängen in den 1960er- und 1970er-Jahren in den USA auch in Deutschland seit den 1980er-Jahren die sogenannte Geschlechterforschung als eigene Disziplin, auch hierzulande als Gender Studies bezeichnet.

      Das den Geschlechtern traditionell zugeordnete Trauerverhalten kann diesen Sachverhalt verdeutlichen. Auf einer Zeichnung von Rudolf Jordan, darstellend das Begräbnis des jüngsten Kindes von 1857 ist dies prototypisch dargestellt. (Abb. 1)

      Während die Frau überwältigt vom Schmerz um das tote Kind in gebückter Haltung die Hände vors Gesicht geschlagen hat, bleibt der Mann aktiv, trägt den Sarg des Kindes und blickt mit offenen Augen nach vorne. Die Frau ist passiv, der Mann aktiv. Das Töchterchen hingegen übernimmt die Rolle des unverständigen Kindes, das die Situation nicht begreift und wie unbeteiligt wirkt.

      Abb. 1: Rudolf Jordan, Begräbnis des jüngsten Kindes, 1857

      Die Passivität der Frau und die Aktivität des Mannes im Trauerfall spiegeln sich in der Folge auch in der Konvention der Trauerkleidung. Während die Frau über Monate, bisweilen über Jahre Gefangene einer peniblen Trauermode war, beschränkte sich das Tragen von Trauerkleidung beim aktiven Mann auf kurze Zeit, die rasch dem Trauerflor am Ärmel wich, um ihm die Hände fürs Tun frei zu halten.

      Diese Rollenzuschreibung an Mann und Frau im 19. Jahrhundert korrespondiert mit dem Sachverhalt, dass das Bestattungsgewerbe in dieser Zeit eine Männerdomäne geworden war. Davor war über viele Jahrhunderte die Frau jene Person, die sich als Begine, als Totenwäscherin, als Seelnonne, als Toten- oder Leichenfrau um die Bestattung der Verstorbenen kümmerte. Die neue Arbeitsteilung im 19. Jahrhundert folgte dem ökonomischen Interesse des Mannes, der als Fuhrunternehmer oder Sargtischler das gesamte Bestattungsgewerbe an sich zog, als es ihm die neue Gewerbefreiheit möglich machte.

      Galten diese Rollenverteilungen im 19. Jahrhundert als gegeben und unumstößlich, so wurden sie im Laufe der Emanzipationsbewegung kritisch hinterfragt. Aber es dauerte bis in die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, bis Frauen begannen, ihre Passivität ins Gegenteil zu verkehren. Schließlich wehrten sie sich nicht mehr gegen eine „Trauer als zweifelhaftem Privileg der Frauen“13, sondern erhoben darauf einen geschlechtsspezifischen Anspruch

      Den Beginn des Umdenkens kann man ziemlich genau in die 1990er-Jahre datieren, als sich Soziologinnen empirisch und wissenschaftlich damit befassten. Die erste geschlechtsspezifische Untersuchung zum Verhalten von Frauen gegenüber Sterben, Tod und Trauer verfasste in Großbritannien die Biografieforscherin Sally Cline, die u. a. in leitender Position am Institut für Women’s Studies an der Cambridge University tätig war. 1997 erschien ihre Studie „Women Death and Dying“, die unter dem Titel „Frauen sterben anders“ ins Deutsche übersetzt wurde. Sie öffnete damit den Blick auf einen differenzierten Umgang mit Männern und Frauen in Pflege und Palliative care. Auch, so ihre These, besäßen Frauen eine grundsätzlich andere, eine im Vergleich zu den Männern eher innere Einstellung zum Tod. In Deutschland waren es die Paderborner Professorin Hannelore Bublitz und die Berliner Soziologin Dorothea Dornhof, die ähnliche Forschungen betrieben, zunächst aber nur in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichten.14 Als die Kulturwissenschaftlerin und Soziologin Julia Schäfer 2002 die „Perspektiven einer alternativen Trauerkultur“ beleuchtete, fand sich im Zuge dieser Studie erstmals ein Exkurs zu „Trauer und Geschlechtsspezifik“: „Mit diesem Exkurs sollen geschlechtsspezifische Unterschiede, die es hinsichtlich Tod und Trauer gibt, thematisiert werden.“15

      Es ist allerdings bemerkenswert, dass beinahe zeitgleich zum Beginn akademischer Studien vergleichbare Erkenntnisse bereits Einzug in die Praxis hielten. Frauen nahmen ihre besondere Rolle wahr und beanspruchten ihren Platz im Bestattungswesen, weil sie Frauen sind.

      Es sollen eigene, negative Erfahrungen gewesen sein, die Ajana Holz bei Sterbefällen erlebt hatte. Sie hatte dabei wenig Hilfe und Unterstützung erfahren, und dies veranlasste sie, mit ihrer damaligen Freundin und Lebenspartnerin Brigitte 1999 das Bestattungsinstitut „Die Barke“ zu gründen. Insbesondere schien es ihr seinerzeit kaum möglich, Bestattungen gemäß ihrer lesbisch-feministischen Vorstellungen durchzuführen. Sie erinnerte sich an die alten Traditionen der Totenfrauen und Leichenwäscherinnen, die über Generationen hinweg die Totenfürsorge betrieben hatten. Ihr wurde gleichzeitig die besondere Aufgabe der Frau am Lebensbeginn bewusst, und so übertrug sie diese Kompetenz auf das Lebensende. Ajana Holz, die in Erwägung gezogen hatte, Hebamme zu werden, versteht sich nun als Seelen-Hebamme am Lebensende. Heute betreibt sie mit ihrer Lebensgefährtin Merle von Bredow das Bestattungsinstitut „Die Barke“ mit dem Grundsatz, „den würdevollen und sanften Umgang mit den Toten wieder in Frauenhände zu nehmen“.16 Beide Frauen sind 1964 bzw. 1967 geboren und gehören somit, wenn man so will, der jüngeren Generation an, als sie anfingen, sich der Betreuung von Kindern, Frauen und Menschen in Krisensituationen zu widmen. Sie können ebenfalls beide auf eine schamanische Ausbildung verweisen, womit sie die Geistigkeit ihres Tuns betonen, das Vorrang besitzt vor den üblichen handwerklichen und organisatorischen Tätigkeiten des Bestatters. In ihrer täglichen Praxis bestatten sie Menschen beiderlei Geschlechts, aber sie machen keinen Hehl aus ihrer Einstellung, dass Frauen und auch Kinder besonderer Sorgfalt bedürfen: „Es ist uns ein Herzensanliegen, vor allem Frauen und Kindern nach ihrem Tod einen geschützten Raum, unseren ganzen Respekt und unsere liebevolle Fürsorge zu geben, bis sie der Erde oder dem Feuer übergeben werden!“ Sie verstehen sich als „Anwältinnen“ für die Würde der Toten und für das Recht der Menschen auf ihren ureigenen Abschied und wollen mit ihrer Arbeit eine Brücke zwischen Leben und Tod bauen, die für sie untrennbar zusammengehören. Frauen, so sagen sie, können das von Natur aus besser, denn wie die Geburts-Hebammen am Lebensbeginn die Neugeborenen empfangen, so empfangen wir am Lebensende die Toten und begleiten sie und die Abschied nehmenden Lebenden in diesem Übergang.17

      Derselben Generation gehört Claudia Marschner an, die auf Umwegen zum Bestattungsgewerbe kam, ihre (negativen) Erfahrungen sammelte und schließlich 1992 ihr eigenes Institut gründete, um – wie sie sagt – alles anders zu machen. Mit ihren bunten Särgen, der Beisetzung der Rocker in ihrer dunklen Motorradkluft und rosa Särgen für Lesben eroberte sie die Aufmerksamkeit der Medien und prägte die Vorstellung von dem, was man eine alternative Bestatterin nennt. Sie huldigt der Überzeugung, dass jeder Mensch in seiner Verschiedenheit die ihm angemessene Bestattung verdient. Man mag einräumen, dass manches auch wie pures Marketing klingt, aber sie wäre nicht erfolgreich, wenn es nicht eine Klientel gäbe, die ihre Verschiedenheit auch im Bestattungsfall leben möchte. Zugleich sei zugegeben, dass hier ein Nischenprodukt angeboten wird, weil sich die Mehrheit der Bevölkerung immer noch den traditionellen Formen verpflichtet fühlt. Aber wie die Bestatterinnen der „Barke“ kann Claudia Marschner im hart ausgefochtenen Konkurrenzkampf nur bestehen, weil sich eine wachsende Zahl von Menschen ihrer Eigenart bewusst wird. Man kann gar nicht