Über Deinen Brief habe ich mich wahnsinnig gefreut; wenn ich auch sagen muss, dass mich Dein neu gefundener Mutterinstinkt einen Moment lang etwas beunruhigt hat. Trotzdem ist es natürlich gut zu wissen, dass Du ein sonniges Herz hast.
Das Leben hier ist großartig – sagen wir ab Montag, wenn ich mein Geld bekomme. Gerade sind die Vorratskammern einigermaßen leer. Heute aber haben sich die Ereignisse geradezu überschlagen, nachdem ich zwei journalistische Aufträge gleichzeitig an Land gezogen habe. Die nächsten Wochen wird also die Hölle los sein; obendrein kommt noch die Arbeit für Kramer, und in meinen wenigen freien Minuten werde ich mich darum kümmern müssen, meine kleine Strandhütte herzurichten. Ich krieg das schon alles hin, bis Du kommst.
Und so sieht mein Tag aus (im neuen Leben von HST): aufstehen um halb zehn, Türe aufreißen und im Atlantik baden, um erstmal die Augen aufzukriegen, Spaziergang am Strand (mit dem bärtigen Barmann und Nachbarn von nebenan), um im Intercontinental von San Juan zu frühstücken – frische Ananas, Toast, Marmelade, vier Tassen Kaffee. Um zwei Uhr Treffen mit dem Beauftragten für Glücksspiel, um Neuigkeiten aus der Welt der Casinos zu erfahren – meinem nächsten Thema. Um halb fünf ins Rada Hotel, Gespräche über den frisch reingekommenen Auftrag. Zum Essen um halb sieben in die Altstadt, um neun nach Rio Pedras, um Post zu holen. Auf dem Rückweg Deinen Brief lesen, dann ausziehen und nackt runter an den Strand, mit Pfeife und einem Glas Brandy. Rauchen, Brandy trinken, schwimmen, unter die Dusche und jetzt diesen Brief an Dich schreiben. Später werde ich noch die Story über Hahnenkämpfe zu Ende bringen. Dann ins Bett. Und morgen keine Termine. Nur Meer, Sonne, Rum.
Das Leben hier – Du glaubst es erst, wenn Du es selbst gesehen hast. Kaum vorstellbar, dass es von Dauer sein wird. Vielleicht werde ich sogar einen Scooter haben, bis Du da bist, wenn es in dem Tempo weitergeht. Natürlich gibt es auch ein paar Dinge, die auf die Nerven gehen. Kein warmes Wasser in der kleinen Hütte, kein Geld, immer nur mit dem Bus unterwegs, ein alter Cordmantel, der inzwischen ziemlich heruntergekommen aussieht. Wäre ich kein Journalist, würde ich niemals durchkommen, so wie ich hier herumlaufe – in diesem überteuerten und zugleich sehr konventionellen Walhall. Sobald ich meine Finanzen im Griff habe, wird sich das alles ändern. Wann? Weiß der Himmel.
Gute Idee von Dir, mir Sachen mit PanAm herzuschicken, nur dass ich dann keinen Gepäckschein hätte, den ich möglicherweise vorzeigen muss. Es könnte kompliziert werden; wenn es sich anders hinbekommen lässt, gib mir Bescheid, und ich schick Dir eine Wunschliste – vor allem ein paar Pfund Tabak, der hier unmöglich aufzutreiben ist. Und ja, unbedingt einige Bücher, auf die Schnelle fällt mir das neue von Mailer (Reklame für mich selber) ein, und von Dostojewski über die Psychologie des Spielens; über Spieler, die besessen sind [Der Spieler]. Kennst Du es? Die Bibliothek hier ist unglaublich schlecht. Das Aktuellste, was ich finden konnte, war S. Maugham. […]
Das wär’s soweit. Gleich fallen mir die Augen zu, und ich muss noch das Ding über den Hahnenkampf machen. Von draußen hört man das Klatschen der Brandung, und das schrecklich bläuliche Deckenlicht lässt das Ganze hier wie eine Zelle aussehen; morgen, wenn ich diesen Brief aufgebe, wird die Sonne wieder leuchten. Ach ja, ich hab die Kleidung ganz vergessen; ist alles gut angekommen. Danke mucho – oder vielen Dank. Oder so. Mit meinem Spanisch ist noch nicht allzu viel los. Werde Dir bald wieder schreiben, und dann erfährst Du auch, wie es in mir drinnen aussieht. Dafür wär jetzt nicht der richtige Moment.
Gute Nacht
Hunter
AN ANGUS CAMERON, ALFRED A. KNOPF:
Nachdem er für Prince Jellyfish eine Reihe förmlicher Absagen von New Yorker Verlagen erhalten hat, ist Thompson dem Lektor Angus Cameron höchst dankbar, dass der sich Zeit für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Manuskript genommen hat.
22. März 1960
c/o Semonin
San Juan Star
San Juan, Puerto Rico
Angus Cameron
Knopf Inc.
501 Madison Ave., NYC
Sehr geehrter Mr Cameron:
Ich bin Ihnen für die klugen und hilfreichen Anmerkungen in meinem Manuskript sehr dankbar. Nur wenige Lektoren, da bin ich sicher, hätten sich überhaupt die Zeit genommen, um ein derart aufschlussreiches Ablehnungsschreiben auszuarbeiten, und ebenso wenige wären in der Lage gewesen, ihre Gedanken so elegant und stilsicher zu Papier zu bringen wie Sie. Es heißt immer, die meisten Lektoren seien Dummköpfe, Kretins und geistlose Schlappschwänze, die auf krummen Wegen in ihre Jobs hineingerutscht sind, was sie einzig der ihrem Wesen nach genauso trägen wie inzestuösen Verlagsbranche zu verdanken haben. Ha! Wenn ich das so sagen darf, Mr Cameron – gäbe es mehr Lektoren, die Briefe wie Sie schreiben würden, würde all den Leuten, die diese erbärmlichen Dinge verbreiten, ihr Gelächter im Halse steckenbleiben. Woher nehmen die sich eigentlich die Frechheit, so daherzureden?
Wie auch immer – wir müssen noch eine Entscheidung zu PRINCE JELLYFISH treffen, stimmt’s? Ich habe wie ein Irrer versucht, das Ding zu Ende zu bringen. Doch seit letztem September geht es rund, das Paar, das mich beherbergt und versorgt, hat die Scheidung eingereicht, in New York wurde ich von Straßenräubern zusammengeschlagen, in Virginia Beach landete ich hinter Gittern und in Louisville wurde ich wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen; dann brachte man mich in einem Flugzeug nach San Juan, wo sich der Typ, der mich als Sportredakteur angeheuert hatte, als bankrotter Lügner herausstellte. All das hat mich beim Vorankommen mit dem Buch auf gewisse Weise aufgehalten. Doch jetzt bin ich bereit, wieder Fahrt aufzunehmen; die Schreibmaschine ist verrostet und voller Sand, aber ich habe beim San Juan Star ein Farbband mitgehen lassen, es kann also losgehen, und ich werde dieses verdammte Ding abschließen, das ich, so kommt’s mir vor, in einem anderen Leben einmal begonnen habe. Ich sehe das richtig, dass wir es der Agentin Elizabeth McKee schicken? Mich würde es zwei oder drei Monate kosten, ihre Adresse zu finden, denn die befindet sich irgendwo in den Catskills in einem Karton voller Papierkram. Ich vermute, dass sie irgendwo in den East Sixties wohnt (beneidenswert, was?), und für einen Ihrer Mitarbeiter sollte es ein Leichtes sein, sie ausfindig zu machen. Ich lege eine Nachricht an McKee bei; sollte Ihnen das zu viel Mühe machen, schicken Sie bitte alles an mich zurück, ich würde mich dann lieber selbst darum kümmern. In diesem Fall aber würden Sie allerdings bald ein Päckchen mit Seeigeln in Ihrem Briefkasten finden; um diese ganz auszukosten, nehmen Sie einfach in jede Hand einen und drücken Sie fest zu.
In großer Zuneigung und Bewunderung verbleibe ich
mit allerbestem Dank,
Hunter S. Thompson
AN LAURIE HOSFORD:
Thompson und Conklin treffen Vorbereitungen, um nach Spanien zu segeln und mit Eugene und Eleanor McGarr ein neues Leben anzufangen.
25. Mai 1960
Loíza Aldea
Puerto Rico
Liebe Laurie,
ich schreibe Dir diesen Brief mitten in den Vorbereitungen für einen unmittelbar bevorstehenden Aufbruch nach Spanien. Die Puerto-Ricaner wollen mich für ein Jahr ins Gefängnis stecken – wegen Hausfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Aber nicht mit mir. Sie werden mich jagen müssen wie einen schwarzen Sträfling.
Auf jeden Fall habe ich jetzt eine Lebensgefährtin. Eine Frau mit Klasse, weiß, diszipliniert, spricht passabel Spanisch. Sie wird nach Spanien mitkommen. Ein Freund von mir aus New York lebt dort mit seiner Frau; in einem Haus mit zwölf Zimmern an der Küste, in der Nähe von Gibraltar. Von dort aus geht es dann weiter – in alle Richtungen.
San Juan ist völlig am Ende. Die höchsten Lebenshaltungskosten der westlichen Hemisphäre, nur Caracas ist teurer. Ich lebe gute zwanzig Kilometer außerhalb