Otisville, New York
Mein lieber Schreiberling,
Ihr rotarischer Dummkopf von Verleger ist einer der originellsten Denker, dem ich seit einiger Zeit über den Weg gelaufen bin. Ich konnte nicht ahnen, dass mein »Drama« auf Anhieb den Richtigen trifft.
Irgendein Kretin hat seine »Kritik« auf die Rückseite meines Manuskripts gekritzelt, von wegen »angeberisches Gefasel«. Nette Formulierung, oder? Der Mann ist eine echte Leuchte.
Ich sollte aber vielleicht erwähnen, dass meine Figur Avare9 genau die gleiche Formulierung benutzt, um das Lincoln-Zitat in dem Stück zu kommentieren. Mit all der inbrünstigen Beschränktheit seines Schlages sagt er: »Oh, Sie dachten wohl, dieses angeberische Gefasel interessiert mich, oder?« Avare ist meiner Auffassung eine dermaßen überzogene Karikatur eines verblödeten Labersacks, dass ich kaum zu hoffen wagte, sein Ebenbild einmal in Fleisch und Blut zu sehen. Doch Ihr windiger Chef scheint genau so einer zu sein, und jede Wette, dass es der helle Wahnsinn sein muss, für jemand wie ihn zu arbeiten.
Und Ihre Worte wiederum: ein Papierstapel voller »aufgewärmter Klischees mit internen Anspielungen« ist eine ziemlich passende Beschreibung des gegenwärtigen Journalismus, würde ich sagen. Warum schreiben Sie diesen »ernsthaften Essay« nicht selbst, den Sie von mir so vehement einfordern?
Sie können von mir nicht erwarten, dass ich Ihnen einen Packen Plattitüden schicke, um damit Ihre stinkende Leiche von Zeitung zu dekorieren, als wär’s die amerikanische Flagge, die einen Sarg voller Müll bedeckt. Wenn Sie Ihre Leser mit Lincoln und Jesus kleinkriegen wollen, dann nur zu. Die Männer jedoch, die für den »Niedergang« verantwortlich sind, sind Männer wie Ihr geistreicher windiger Chef, die auf ihren pompösen Ärschen sitzen und ein Geschrei über »angeberisches Gefasel« anstimmen, während ihre angeheuerten »literarischen« Schreiberlinge Tag und Nacht schuften, um nichts als Schund zu produzieren.
Sie liefern den Beweis, dass ich richtig liege, Freund Kennedy, und ich denke, das wissen Sie so gut wie ich. Mein Stück zu veröffentlichen wäre eine kleine Blamage gewesen, da bin ich sicher, und ich hätte zu gerne das Gesicht des Verlegers gesehen, als er es gelesen hat. Ich weiß, wovon ich rede, Kennedy, und wenn das ein wenig zu brutal für euch »ernsthafte« Leute ist, um es verdauen zu können, dann umso besser. Warum veröffentlichen Sie statt meines Stücks nicht die Strophen der Nationalhymne? Das wäre mehr nach Ihrem Geschmack, und Sie müssten dann auch nicht so viel abtippen. Plattitüden sind eine sichere Nummer und es ist leicht, so zu tun, als würde man sie nicht sehen, doch mit der Wahrheit verhält es sich anders.
Für den Fall, dass ich mal in der Nähe bin, nehme ich Ihre Einladung zu einem kleinen Besäufnis gerne an. Ich schätze, dass Sie ziemlich in Ordnung sind und Charakter haben. Umso beschämender ist es, dass Sie sich als Sprachrohr des internationalen Rotariertums verdingen. Aber es ist eben so, dass wir alle etwas zu essen brauchen, und wenn ich mal so alt bin wie Sie, sitze ich womöglich im gleichen Boot. Ich hoffe es nicht, aber man kann es nie ausschließen.
Auf jeden Fall danke für Ihre freundlichen Worte über den Roman, und ich wünschte, ich könnte das gleiche über Ihre Zeitung sagen. Aber so billig bin ich nicht zu haben, und so bleibt mir nur, auf Wiedersehen zu sagen und mich für einen interessanten Briefwechsel zu bedanken.
ETC. – HST
AN ROBERT BONE:
Kurz nachdem Thompson vom Middletown Daily Record gefeuert wurde, verlässt auch der Reporter und Fotograf Bone das Blatt, um sich einen neuen Job in Manhattan zu suchen. Er bleibt beim San Juan Star hängen. Von 1961 an wird er für ein Wirtschaftsmagazin in Rio de Janeiro arbeiten.
14. Dezember 1959
Otisville
New York
Robert:
Habe eben Deinen Artikel im Record (»Souveränität oder Status Quo«) zu Ende gelesen und fand ihn deutlich schlechter als den Bericht über die Kommunistenverhöre. Wen hast Du das für Dich schreiben lassen?
Verzeih mir diese Spitze. Das ist auch nicht der Anlass für diesen Brief, ich dachte eben nur, ein Gegengewicht zu all meinen Komplimenten in der letzten Zeit kann nicht schaden. Übrigens, die Ausgabe des Star (Editorial auf Seite eins), die Du mir geschickt hast, ist um so vieles besser als die erste, die ich gesehen habe. Sieht so aus, als hätte Kennedy die Vormachtstellung des Rotary Clubs ins Wanken gebracht.
Kommen wir zur Sache. Es gibt die klitzekleine Chance, bald von hier wegzukommen, aber ich brauche noch ein paar Infos von Dir, ehe ich ernst damit mache. Ein Typ namens Philip Kramer, Verleger und Redakteur von einem Was-auch-immer, das sich Puerto Rico Bowling News nennt, behauptet, er würde eine neue monatliche Sportzeitschrift starten (»von der Aufmachung her so ähnlich wie Sports Illustrated«), und er sucht deshalb Sportjournalisten. Er sitzt in Roosevelt, Puerto Rico, ich kann’s nicht mal auf der Landkarte finden. Ich wäre Dir unendlich dankbar, wenn Du mir folgende Fragen beantworten könntest – ich spendier Dir dann auch ein paar Drinks, wenn alles gut geht. Jedenfalls muss ich Kramer nächste Woche in New York treffen und ich hoffe, Du kannst mir Deine Antworten noch vorher zukommen lassen. Schicke sie an c/o Murphy, 69 E. 4th St., Manhattan.
Und los geht’s:
1. Wo liegt Roosevelt? Wie sieht es da aus?
2. Weißt Du irgendwas über Kramer? Sein Brief klingt, als hätte ihn ein Fanatiker oder Verrückter geschrieben.
3. Du weißt, wie hoch Lebenshaltungskosten sind: Was wäre für Dich das Minimum an Gehalt, wenn Du an meiner Stelle wärst?
4. Hast du von dieser angekündigten Zeitschrift schon gehört? Das Projekt müsste mit einem Haufen Geld ausgestattet sein, wenn es mehr sein soll als eine Blase, und ich will nicht wegen irgendeinem Projekt runterkommen, das nach einer Woche wieder dicht macht.
5. Ganz ehrlich – magst Du Puerto Rico? Was spricht dafür – und was dagegen?
Wenn Dir noch irgendwelche anderen wichtigen Punkte einfallen, melde Dich unbedingt. Und nochmal, schick den Brief nicht nach Otisville. Wenn Du sofort schreibst und den Brief nach New York schickst, kommt er etwa zeitgleich mit Kramer an. Und um Himmels willen, kein Wort davon an Kennedy (oder an sonst jemanden beim Star). Wenn Kramer von meinen Verhandlungen mit dem Star erfährt, würde er nie wieder mit mir reden. So wie es aussieht, habe ich die Chance, ihn hinters Licht zu führen und ihn denken zu lassen, ich sei ein ganz normaler Journalist. Genau darum schreibe ich Dir: Ich will verhindern, dass er mich hinters Licht führt. Also … danke für jede Art von Unterstützung. Vielleicht sehen wir uns schon bald.
Mach’s gut: H
1960
»Die feuchtheiße Luft ließ sämtliche Formen von Abartigkeiten prächtig gedeihen. In den engen Gassen der Altstadt von San Juan liefen scharenweise Päderasten herum, die auf Schritt und Tritt obszön kicherten. Die Bars und Strände und selbst die besten Wohnviertel quollen nur so über vor Vergewaltigern, Lesben, Straßenräubern und Menschen, die geistig und sexuell jenseits von Gut und Böse zu sein schienen. Sie lauerten irgendwo im Schatten, und es spülte sie wie Schaum durch die Straßen; ständig fingerten sie an etwas herum und schnappten um sich, wie irre gewordene Ladendiebe, denen in der tropischen Hitze das Hirn weggefault war.«
Hunter S. Thompson, The Rum Diary
AN SANDY CONKLIN:
Sandy Conklin promoviert 1959 am Goucher College in Maryland und zieht dann nach New York City, um dort als Sekretärin bei Nuclear Research Associates zu arbeiten, einer Organisation, die Atomtests überwacht. Ihre Mitbewohnerin Eleanor heiratet Eugene McGarr, der in seiner Zeit als Bürobote bei Time ein Kumpel von Thompson war. Anfangs sind Thompson und Conklin nur befreundet, doch sie verlieben sich bald ineinander.
26. Januar 1960
San