Jim Morrison. Ingeborg Schober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingeborg Schober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870905
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die Rückwand der Bühne wird ein kleiner Lichtkegel projiziert, der im Verlauf des Stücks allmählich wie der Krebs wächst.

      Die Leute aus der Theatergruppe, der sich Jim anschließt, schwitzen oft Blut und Wasser, weil sie nie wissen, was ihm als Nächstes einfällt. Anfang der 60er Jahre sind Obszönitäten auf der Bühne vollkommen verpönt, und genau das reizt Jim natürlich. Mit Keith Carlson arbeitet Jim in dem absurden Zweipersonenstück ›The Dumb Waiter‹ (›Der stumme Diener‹) von Harold Pinter_11: »Wenn der Vorhang aufging, wußte ich nie, was Jim machen würde. Es war schwierig, sich auf ihn einzustellen, denn er spielte die Rolle ständig anders, hielt sich nicht an den Dialog oder an­dere Dinge. Allerdings ist es auf der Bühne nie zu obszönen Din­gen gekommen, aber es gab ein paar wundervoll unanständige Proben.« Der Regisseur des Stücks, Sam Kilman, macht Jim mit den Werken von Antonin Artaud bekannt, der seine revolu­tionären Theaterschriften in den 30er und 40er Jahren im Irren­haus verfasste. Von ihm stammt der Satz: »Wir müssen erkennen, dass das Theater wie die Pest ist, Verzückung und Kommunika­tion. Da liegt das Geheimnis seiner Faszination.«

      Am 22. November 1963 wird der Traum vom amerikanischen Optimismus jäh zerstört, als Präsident John F. Kennedy_12 bei einem Attentat in Dallas erschossen wird. Jim kehrt Weihnachten 1963 zum zweiten Mal nach Hause zurück. Sein Vater ist inzwischen Kapitän der ›USS Bon Homme Richard‹, einem der modernsten und größten Flugzeugträger der US-Marine, und damit Befehls­haber über 3.000 Mann Besatzung. Wieder muss Jim sich auf Wunsch der Mutter die Haare schneiden lassen, bevor er seinem Vater am 8. Januar 1964 unter die Augen tritt. Er begleitet seinen Vater bei einem Manöver im Pazifik, der ihn als Erstes zum Bordfriseur schickt, wo man ihm einen ratzekurzen Militärschnitt verpasst. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist bis zum äußersten gespannt. Eine Woche später macht Jim seinen Traum wahr und schreibt sich an der ›Filmabteilung‹ des Lehrstuhls für Thea­terwissenschaften an der University of California in Los Angeles - der UCLA – ein.

       Filmhochschule und Künstlerzirkel - Los Angeles

      Als Jim nach Los Angeles kommt, ist die Jugend dabei, die Welt zu verändern. Überall herrscht Aufbruchstimmung. Die Musik der Beatles, Rolling Stones und Beach Boys liegt in der Luft, ›She Loves You‹, ›Time Is On My Side‹ und ›I Get Around‹. In Berkeley, der politisierten Zwillingsuniversität der UCLA, gibt es die ersten Studentendemonstrationen des ›Free Speech Move­ment‹. San Francisco ist die Stadt der Selbsterfahrung und Selbst­bestimmung, Los Angeles dagegen die Stadt der Selbstdarsteller. Den Campus bevölkern Schöne und Schöngeister, die später das ›Goldene Filmzeitalter‹ in Hollywood mitgestalten wollen. Mit Stanley Kramer (›Flucht in Ketten‹), Jean Renoir (›Weiße Margeriten‹) und Josef von Sternberg_13 unterrichten hier drei hervorragen­de Regisseure. Begeistert notiert Jim: »Das Schöne an Filmen ist, dass es keine Experten gibt. Jeder kann sich die ganze Filmge­schichte einverleiben, in anderen Künsten geht das nicht. Es gibt keine Experten; theoretisch weiß jeder Student so viel wie jeder Professor.« Zum erlesenen Studentenkreis gehört auch Francis Ford Coppola, der etliche Jahre älter ist als Jim und seine Mitstu­denten.

      Das erste halbe Jahr in Los Angeles verläuft unauffällig. Jim liest viel, die Wochenenden verbringt er oft am Strand von Venice, ei­ner kleinen Stadt am Meer, die um 1900 als exklusiver Ferienort entstand und in den 50er Jahren zum Dorado der Beatnik-Dichter und Jazzmusiker wurde. Inzwischen ist der Ort heruntergekom­men und wird von Armen und Alten, Studenten und Künstlern bevölkert. Auch hier ist es das Romantisch-Morbide, das Jim anzieht. Über Ostern fährt er mit Freunden zu einem Dreitagebesäufnis nach Tijuana. Eine weitere Sauf tour nach Mexiko unter­nimmt er mit seinem Patenonkel und Bruder Andy während der Sommerferien, die er in Coronado verbringt. »Wir fuhren ... nach Süden runter, nach Ensenada«, erinnert sich Andy. »Jim zeigte mir, was da läuft. Ich trank Bier, und er schleppte mich von Bar zu Bar, handelte mit den Mexikanern auf Spanisch, wenn sie uns übers Ohr hauen wollten, quasselte mit den Nutten und sprintete, von Hunden gejagt, durch kleine Gässchen. Es war toll.« Doch Jim hält die provinzielle Langeweile in der Militärsiedlung Coronado nicht aus und kehrt schon im August an die Universität zurück. Kurzfristig jobbt er in der Theatre Arts Library, verliert diese Ar­beit aber wegen seiner Unzuverlässigkeit. Zu Jims Freude kommt Mary tatsächlich nach Los Angeles. Doch als sie sich ein eigenes Appartement nimmt und sofort Arbeit im Gesundheitszentrum der UCLA findet, ist er verärgert.

      Schon bald wird Jim zum Mittelpunkt einer exzentrischen Freundesclique. Dazu gehört Dennis Jakob, mit dem Jim am lieb­sten über Nietzsche und dessen Frühwerk ›Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik‹ philosophiert. Beide identifizieren sich mit dem griechischen Gott Dionysos und seinem rauschhaf­ten, verzückten Leben. Als sie einmal in der Diskussion eine Zeile von William Blake_14 zitieren - »Wären die Pforten der Wahrneh­mung gereinigt, sähe der Mensch jedes Ding wie es in Wahrheit ist - unerschöpflich« denkt Jim zum ersten Mal darüber nach, ei­ne Band namens The Doors zu gründen. Blakes Satz inspirierte später Aldous Huxley_15 zu einem Buch über seine Meskalin-Erfah­rungen, ›Die Pforten der Wahrnehmung‹, für Jim »Türen, die of­fen oder geschlossen sein können«.

      Mit John DeBella, dem Sohn eines New Yorker Polizisten, ent­wickelt Jim die ›Theorie des wahren Gerüchts‹. Wahrheit? Wich­tig ist, was die Leute glauben, und das sollte Jim später bei den Doors erfolgreich demonstrieren. Der attraktive Phil Oleno be­schäftigt sich ausführlich mit dem Werk C. G. Jungs. Da Phils Va­ter Apotheker ist, hat er freien Zugang zu Drogen. Mit 34 Jahren ist Felix Venable der Älteste der Clique. Er hat eine schillernde Biografie und liebt den Alkohol und Pillen. Jim ist mit seinen 21 Jahren der Jüngste, aber was verrückte Ideen angeht, stehen die anderen ihm nicht nach. Wenn sie nicht darüber philosophieren, wie durch das Medium Film »Träume Realität werden«, wetten sie, wer in einer Stunde die meisten Bücher klauen kann, oder hören sich völlig bekifft im Musikarchiv Platten an. Jim be­schmiert die Männertoilette der Uni mit obszönen Graffiti, klettert auf ein Campusgebäude und zieht sich aus, entblößt sich in einer öffentlichen Bibliothek und uriniert in Bücherregale. Er wird Stammgast in der Bar ›Lucky U‹, in der viele Veteranen verkeh­ren, und verspottet betrunken die Rollstuhlfahrer. »Mit einem Image gibt's keine Gefahr«, schreibt er in sein Notizbuch.

      Die Clique diskutiert die aberwitzigsten Filmideen, inspiriert durch ihr Interesse an der Psychoanalyse, die in den 60er Jahren in vielen Experimentalfilmen einen Boom erlebt: Schamanismus, Neurosen, Fetischisten, Abnormitäten, Nekrophilie, Masochismus und Sadismus. Die Studenten sollen von Anfang an kleine Übungsfilme drehen, um das Handwerk zu erlernen. Phil ist an einem Projekt der Psychologie-Klasse beteiligt, in dem ein nacktes Pärchen alle möglichen sexuellen Positionen einnimmt. Er besorgt Jim das Abfallmaterial, das dieser zu einer Szene mit einem sexu­ellen Höhepunkt montiert, die er mit Ravels ›Bolero‹ unterlegt. Außer den Studenten findet das niemand amüsant, die verärger­ten Professoren geben Jim die schlechteste Note und stecken den ›Unruhestifter‹ in eine Sonderklasse für ›Problemfälle‹.

      Statt Filme zu drehen, setzt sich Jim theoretisch mit dem Medi­um Film als Kunstform auseinander. In Hunderten von Notizen ringt er um die Definition des Films: »Die Kamera ist ein allsehen­der Gott, sie erfüllt das Verlangen nach Allwissenheit«, schreibt er, und »der Film ist die totalitärste Kunstform«, »ein Panop­tikum, das auf seine technische Besamung wartet«. Für ihn sind Filme »Ansammlungen toter Bilder, die künstlich befruchtet wer­den«, die Zuschauer hingegen »heimliche Vampire«.

      Das Kino kommt nicht von der Malerei her, von der Bildhauerei, von der Literatur oder gar - was naheliegt anzunehmen - vom Theater, sondern von der alten Jahrmarktsgaukelei, von der Magie. (...) Die ersten Instru­mentarien waren Feuer, Rauch, Gifte und Glas.

      1969 veröffentlichte Morrison diese Notizen im Selbstverlag in dem kleinen Gedichtband ›The Lords: Notes On Vision‹ der 1970 unter dem Titel ›The Lords And The New Creatures‹ - im amerikanischen Simon & Schuster-Verlag erschien.

      Im Herbst 1964 ist Jims Vater wieder im Kriegseinsatz. Nord­vietnamesische Schiffe sollen im Golf von Tonkin amerikanische Zerstörer angegriffen haben. Es ist der Vorabend des Vietnam­kriegs und der weltweiten Studentenrevolten. Ende des Jahres