Jim Morrison. Ingeborg Schober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingeborg Schober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870905
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wieder auftauchen.

      Im Dezember 1958 ziehen die Morrisons nach Alexandria, Virgi­nia, um, und Jim besucht die George Washington High School. Die Familie mietet ein luxuriöses Haus in den noblen Beverly Hills, wo Diplomaten, hohe Militäroffiziere, Senatoren und erfolgreiche Akademiker residieren. Einer von Clara Morrisons Brüdern ist An­tiquitätenhändler und stattet das Haus entsprechend aus. Dort lernt Jim seine erste feste Freundin Tandy Martin kennen, die seine seltsamen Allüren faszinierend, andererseits aber abstoßend fin­det. Er macht sich über Behinderte lustig, schockiert sie mit thea­tralischen Szenen und Lügen, bringt sie zum Heulen, aber auch zum Lachen und stellt sie permanent auf die Probe: »Ich habe ihn gefragt, warum er ständig diese Spielchen spielt«, erzählt sie heute. »Er meinte, »sonst hättest du bald kein Interesse mehr an mir‹.« Aber sie ist nicht das einzige Testobjekt von Jim. Lehrer, Schüler, Passanten - sie alle werden seine Opfer, wenn er einen seiner An­fälle bekommt und sich aufspielt. Mal erzählt er, er hätte einen Gehirntumor, dann wieder balanciert er auf schmalem Grad über gefährliche Abgründe und Wasser oder turnt auf Balkons herum - eine Angewohnheit, die er das ganze Leben beibehält. Er belästigt Fahrgäste im Bus mit peinlichen Geschichten, bis man ihn an die Luft setzt. Und er macht grundsätzlich das Gegenteil von dem, was man von ihm erwartet. Während sich seine Freunde oftmals für ihn schämen, scheint er selbst keine Schamgrenze zu kennen.

      Vielleicht durch den Namen seines Wohnorts angeregt, wird Plutarchs Biografie über Alexander den Großen Jims Lieblings­lektüre. Auch sie scheint ihn nachhaltig zu beeinflussen, wenn man an das Image denkt, das er anfangs bei den Doors bewusst pflegt. Die Kopfhaltung und die lockige Haarpracht auf den er­sten Fotos aus den Doors-Zeiten erinnern stark an einen grie­chisch-römischen Adonis. Jims Lehrer erzählen, dass er bereits da­mals Werke der Weltliteratur von Balzac, Rimbaud_4, Molière, Joyce, Camus, Cocteau und Baudelaire las. Mit den Symbolisten ist er ebenso vertraut wie mit den Existenzialisten. Für seine Schulaufsätze wählt er die ausgefallensten Themen - die Dämo­nologie des 16. und 17. Jahrhunderts in England oder eine Studie von Burton über die Sexualität der Araber, was einen Lehrer dazu veranlasste, in der Kongressbibliothek in Washington nachzufor­schen, ob diese Publikationen überhaupt existieren: »Keiner mei­ner Schüler hat so viel gelesen wie Jim. Aber alles, was er las, war so ausgefallen, dass ich vermutet habe, er hätte diese Buchtitel ein­fach erfunden, was aber nicht der Fall war.« Damals beginnt Jim seine ersten Gedichte zu schreiben, die wie das überlieferte ›Horse Latitudes‹ meist vom Wasser und dem Tod handeln. Obwohl Jim ein guter Schwimmer ist, hat er angeblich entsetzliche Angst vor dem Wasser.

      Tandy berichtet, dass er schon damals sein Äußeres vernachläs­sigte, wochenlang mit demselben Hemd herumlief und sich die Haare nicht schneiden lassen wollte. Wenn ihm seine Mutter Geld für Klamotten gibt, kauft er sie bei der Heilsarmee, um den Rest für Bücher auszugeben. Immer wieder gelingt es ihm, den Fami­lienfrieden zu stören und selbst seine Eltern zu Hause in Verlegen­heit zu bringen, indem er ihnen etwa vorwirft, wie die Schweine zu schmatzen. Wie so viele überdurchschnittlich intelligente Schü­ler - Jim hatte einen IQ von 149 - bringt er nur durchschnittliche Noten nach Hause, weil er nicht lernen will. »Du willst ja nur mit meinen Noten in deinem Bridge-Club angeben«, wirft er seiner Mutter vor. Ohne Erklärung fährt er immer öfter nach Washing­ton, wenn ihn Freunde oder Nachbarn im Auto mitnehmen, und verschwindet dort wortlos. Tandy vermutet, dass er damals durch die Bars zog, um sich Bluesmusiker anzuhören. Daheim zieht er sich in sein Parterrezimmer zurück, hört sich Blues- und Gospel­platten aus der Nationalbibliothek an und liest. Wenn er ausgeht, treibt er sich an den Piers von Alexandria bei den Schwarzen her­um. Von all diesen Aktivitäten scheinen seine Eltern keine Ah­nung zu haben. Sein Vater hält sich meist im Pentagon auf, seine Mutter ist mit ihren Gesellschaftsverpflichtungen vollauf beschäf­tigt. Jims High-School-Abschluss rückt näher, doch er kann sich für kein College entscheiden. Deshalb schreibt ihn sein Vater am St. Petersburg Junior College in Florida ein und ordnet an, dass Jim bei den Großeltern im nahegelegenen Clearwater wohnen soll. Als er sich weigert, der Abschlussfeier seiner Klasse beizuwohnen, sind seine Eltern überaus erbost.

      Wir waren so verdammt korrekt, dass wir in gewisser Weise froh waren, wenn einer sich tatsächlich die Unverschämtheiten erlaubte, die wir uns gerne erlaubt hätten. Deshalb richteten wir uns nach ihm. Er war für uns der Mittelpunkt.

      Ein Mitschüler über Jim

      Tandy hat sich inzwischen auf den Rat ihrer Mutter hin von Jim zurückgezogen. Ihrer Meinung nach hat Jim in den zweieinhalb Jahren ihrer Freundschaft eine außerordentliche Persönlichkeits­veränderung durchgemacht. Erst am Abend vor seiner Abreise erzählt ihr Jim, dass er nach Florida gehen wird, was zu einem hef­tigen Streit zwischen den beiden führt, bei dem Jim sie sogar mit einem Messer bedroht. Tags darauf entschuldigt er sich am Tele­fon, taucht nachts vor ihrem Haus auf und verlangt unter lauts­tarkem Gegröle die Notizbücher mit seinen Gedichten zurück, die er ihr zum Lesen gegeben hat.

       Student am College

      Als Jim Morrison Ende 1960 zu seinen Großeltern Caroline und Paul Morrison nach Clearwater, Florida, kommt, um am St. Petersburg Junior College zu studieren, ist John F. Kennedy bereits als neuer Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Und auch musikalisch gibt es eine kleine Revolution. Am 31. Dezember steigt das schwarze Plattenlabel Tamla Motown_5 mit dem Song ›Stop Around‹ von den Miracles in die Top 40 der USA ein, der zum er­sten Millionenseller der Plattenfirma wird. Damit wird die unum­strittene Vorherrschaft weißer Künstler erstmals durchbrochen.

      Es sieht ganz so aus, als ob in Clearwater die Wurzeln von Jims unmäßigem Alkoholkonsum und seiner späteren Drogenkarriere zu finden sind. Jim kommt mit den strenggläubigen Großeltern nicht zurecht, die überzeugte Antialkoholiker sind und ihren rebellischen Enkel mit Disziplin und Ordnung nerven. Die­ser reagiert mit Protest - und dazu gehört auch das provo­kante Verhalten, wenn es um den Streitpunkt Alkohol und Sauberkeit geht. Demonstrativ lässt er leere Weinflaschen in seinem Zimmer herumliegen, läuft verwahrlost herum, ra­siert sich nicht, wechselt nicht die Wäsche und denkt gar nicht daran, sich die Haare schneiden zu lassen oder gar mit den Großeltern die Kirche zu besuchen. Manchmal liest er den Großeltern aus seinen Notiz­büchern vor, aber nur, um sie mit seinen Gedichten zu schockie­ren. Seine Großmutter meint später, er hätte sie aus seinem Leben komplett ausgeschlossen: »Er wollte uns mit Absicht schockieren. Wir haben ihn einfach nicht verstanden, keiner von uns. Jimmy hatte so viele Seiten. Man sah die eine und spürte die andere; was in ihm vorging, wußte man nie.«

      Auf dem College fällt der durchschnittliche Student nicht sonder­lich auf. Nach einem Persönlichkeitstest, dem alle neuen Studenten unterzogen werden, wird er einerseits als Frohnatur, impulsiv, abenteuerlustig, undiszipliniert, unkontrolliert beschrieben, ande­rerseits als scheu, nachdenklich, hyperkritisch gegenüber allen ge­sellschaftlichen Institutionen, mit einem Hang zum Selbstmitleid und Machoverhalten. Kommilitonen, denen er großzügig bei ihren Aufsatzthemen hilft, sind von seinen intellektuellen Fähig­keiten beeindruckt - so auch sein Bruder Andy, dem er in den Osterferien beim Schreiben eines Vortrags über ›Moralische Inte­grität - eine Voraussetzung unseres Überlebens‹ zur Seite steht, für die er ein ›Sehr gut‹ bekommt. Auf seine Belesenheit und seine umfangreiche Bibliothek ist Jim so stolz, dass er sich von seinen Mitstudenten gerne testen lässt Sie dürfen ein beliebiges Buch aus dem Regal ziehen und etwas daraus vorlesen. Und er nennt auf Anhieb den Buchtitel und Autor. Er schließt sich einer Gruppe äl­terer Studenten an, mit denen er manchmal auf Sauftour geht.

      Ich wußte nicht einmal, was damit gemeint war. Schließlich nahm es mir Jim ab, schrieb das Ganze für mich neu und packte eine Menge eigener Ideen hinein. Der Vortrag war prima. Sein Schlusssatz lautete: »Wir trei­ben blind auf irgendwelchen Bahnen, ohne Hilfe, allein.«

      Andy über einen Vortrag, den sein Bruder Jim für ihn verfasste

      »Anscheinend hat er nur dann gesoffen, wenn er sich volllaufen lassen wollte. Ansonsten hat ihn Alkohol nicht interessiert«, meint einer seiner damaligen Kommilitonen. Doch auf diese Weise schlit­tert Jim ganz allmählich in seine lebenslange Alkoholabhängigkeit hinein. An seinem 18. Geburtstag muss er sich bei der Musterungs­behörde melden. 1961 gibt es noch keine Bewegung wie die der