Jim Morrison. Ingeborg Schober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingeborg Schober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862870905
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ihn als ›Schamanen der Hippies‹ bezeichnet. 1989 verwendet der Regisseur Oliver Stone diese Szene als Eröffnungssequenz für seinen ›Doors‹-Film.

      Im Februar 1948 sticht Jims Vater für einen weiteren Militärauf­trag in See, und die Familie zieht zum fünften Mal um. In Los Altos, Nordkalifornien, wird Jims Bruder Andy geboren, und Jim wird eingeschult. Doch bereits 1951 kehren die Morrisons wie­der nach Washington zurück.

      Als im Jahr darauf Jims Vater die Luftangriffe in Korea koor­diniert, siedelt die Familie nach Claremont bei Los Angeles über. Man kann sich vorstellen, welche negativen Folgen diese permanenten Umzüge auf ein sensibles und offenbar ohnehin labiles Kind wie Jim hatten. Es muss eine seltsame, zerrissene Ehe und auch eine schwierige Familie gewesen sein, obwohl Jims Mutter Clara mit diesem Zigeunerleben offenbar perfekt zurechtkommt, als Mustergat­tin gilt und alle gesellschaftli­chen Verpflichtungen mit Bra­vour meistert. Sie geht nach wie vor gern auf Parties, und da ihr Mann nur das Militär kennt, gewinnt sie während seiner langen Absenzen zu Hause die Oberhand. Jims Freunde haben sie später als dominante Person und Übermutter beschrieben, die al­les unter Kontrolle haben wollte und sofort laut wurde, wenn man ihr nicht gehorchte. Jims Eltern haben ihre Kinder nie ge­schlagen, sondern mit psychischem Druck zur Raison gebracht, was bei Jim zu einer inneren Emigration führte, zumal der Vater für ihn ohnehin ein Fremder blieb. Entweder seien sie durch Schweigen bestraft worden, er­klärte sein Bruder Andy später, oder sie wurden wie auf »dem Exerzierplatz heruntergeputzt. Sie haben uns lang und breit unsere Fehler vorgehalten, bis wir in Tränen ausgebrochen sind. Irgendwann hat Jim es ge­schafft, seine Tränen zu unter­drücken, mir ist das nicht ge­lungen.«

      Kinder soll man sehen, aber nicht hören ... sieht man über Unangenehmes hinweg, vergeht es ... Reinlichkeit kommt Gött­lichkeit nahe.

      Jims Großeltern väterlicherseits über ihre Prinzipien

      Dafür rächt sich Jim an sei­nen jüngeren Geschwistern und allen Schwächeren durch aggressives und sadistisches Verhalten. Andy hat nachts oft Atembeschwerden, da er an Asthma leidet. Weil Jim die Atemgeräusche seines Bruders stören, klebt er ihm den Mund mit Tesafilm zu. Mit zehn Jahren ist Jim wegen seines guten Beneh­mens noch der Liebling aller Lehrer und sogar Klassensprecher. Gleichzeitig aber schockiert er seine Umgebung mit unflätigen Ausdrücken und fliegt deshalb auch bei den Pfadfindern raus. 1955 kehren die Morrisons für zwei Jahre nach Albuquerque, New Mexico, zurück, wo Clara eine Halbtagsstelle als Sekretärin an­nimmt. Bis dahin haben die drei Kinder eine ›Notgemeinschaft‹ gebildet, um die ständigen Umzüge zu verkraften. Doch selbst Jims Eltern fällt auf, dass Jim sich zusehends vom Familienleben zurückzieht, das Interesse am Musikunterricht verliert, dafür wie besessen liest und bewusst die Gefahr sucht. So setzt er bei einer wahnwitzigen Schlittenfahrt das Leben seiner Geschwister und sein eigenes aufs Spiel. Mit Andy und Anne vor sich im Schlitten rast er einen steilen Abhang hinab und direkt auf eine Hütte zu. Die Geschwister sind starr vor Angst und können nicht abspringen. Der Schlitten rast unter einer Schranke durch und wird zwei Meter vor der Hütte vom Vater gestoppt. Während Anne und Andy weinen, steht Jim lächelnd daneben und meint: »Wir haben viel­leicht Spaß gehabt!«

      Er hob einen Stein auf und sagte: »Ich zähle bis zehn.« Ich sagte: »Nein, warte ...« Er begann: »Eins ...«, und ich fing an zu rennen. Dann zählte er ganz schnell »vierfünfsechssiebenachtneunzehn!« und schlug mich zusammen. Wenn wir zusammen mit einem anderen Jungen ... gingen, packte er über mich hinweg den anderen an der Schulter und sagte: »He ... mein Bruder will dich verhauen. Was sagst du dazu?« Er drehte einem das Wort im Mund herum, so dass man dumm da stand ... Wenn man bei Jim in die De­fensive geriet, war man erledigt.

      Andy Morrison über seinen Bruder

      Natürlich sind die Nachkriegsjahre in den USA für einen Her­anwachsenden längst nicht so hart wie in Europa, aber auch dort ist das Klima - vor allem das kulturelle - restriktiv. Die ameri­kanische Unterhaltungsmusik wird bis 1955 von den Textern und Komponisten der Tin Pan Alley, einem Bezirk der Musikverleger in der 28th Street von New York zwischen der Fifth und Sixth Ave­nue, und ihren ewigen Wiederholungen regiert. Die Charts sind zu jener Zeit ausschließlich weißen Sängern Vorbehalten. 1954 nimmt der weiße Country-Sänger Bill Haley ›Shake, Rattle & Roll‹, einen Rhythm 'n' Blues-Hit des schwarzen Sängers Joe Turner auf. Daraufhin entsteht der Begriff Rockabilly, womit eine Kreuzung aus der weißen Country 'n' Western und schwarzer Musik, ge­mischt mit Elementen aus dem Tanz Jump und Shuffle-Rhythmen, bezeichnet wird. Noch im selben Jahr landet Bill Haley mit dem heutigen Klassiker ›Rock Around The Clock‹ einen großen Hit, der acht Wochen auf Platz 1 der US-Charts steht. Damit ist der Rock 'n' Roll geboren und mit ihm die erste rebellische Ju­gendbewegung.

      Im Jahr 1955 führt der Kinofilm ›Saat der Gewalt‹ (›The Blackboard Jungle‹) über eine aufsässige Schulklasse zu Vandalismus in den Kinos. Es folgt eine Serie von ähnlichen Filmen, und damit ist die Bewegung der jugendlichen Rowdies, Teddy Boys, Teds - später Rocker und in Deutschland Halbstarke genannt - geboren. Bill Haley ist der Auslöser, doch erst mit Elvis Presley kommt das Idol, das 1956 mit ›Heartbreak Hotel‹ die Hitparaden erobert. Rückblickend fällt auf, dass Jim Morrison auf seine Weise erstaunlich viel mit ihm gemeinsam hatte. Und tatsächlich wird Elvis bald darauf zu seinem ersten musikalischen Idol.

      Angeblich erfindet der Radio-DJ Alan Freed den Begriff ›Rock 'n' Roll‹, un­ter dem in Amerika heute noch ein Großteil der Musik rangiert, die man in Europa als ›Rock‹ bezeichnet. Weil der Begriff ›Rock‹ in den Texten der Schwarzen für »Sex« steht, wurden in ganz Amerika Warnungen vor soge­nannten ›Negro Records‹ verbreitet.

      Als im Sommer 1957 die Familie Morrison auf die Insel Alameda, einem Militärstützpunkt in der Bucht von San Francisco, zieht, steht Elvis Presley mit ›All Shook Up‹ erstmals auf Platz 1 der Hitparade. Der Star absolviert seinen Militärdienst und dreht sei­nen ersten Film ›King Creole‹. Ansonsten werden die amerikani­schen Charts nach wie vor von Nat ›King‹ Cole, Frank Sinatra, Bing Crosby und Harry Belafonte dominiert. Schwarze Stars wie Fats Domino, Little Richard oder Chuck Berry haben keinen Zu­gang. Doch der Rock 'n' Roll hat bereits den ersten Anstoß für Rassenintegration und Bürgerrechte gegeben.

      Jim besucht in Alameda für etwa eineinhalb Jahre die High-School. Sein Klassenkamerad Fud Ford und er werden unzer­trennliche Freunde. Fud bringt ihm bei, dass es dort nicht cool ist, mit dem Fahrrad und sauberen Jeans in der Schule aufzutauchen. Jim hält sich daran, denn offenbar sucht er nach Anerkennung und möchte dazugehören. Er stellt die verrücktesten Dinge an, um Aufmerksamkeit zu erregen, spielt den Klassenclown, hat die phantastischsten Ausreden parat, wenn er zu spät zur Schule kommt, und beginnt, sich gegen Autoritäten aufzulehnen. Die bei­den probieren zum ersten Mal Alkohol, beobachten heimlich nackte Frauen und erschrecken sie, lesen, wie viele andere in ihrem Alter, mit Begeisterung das Comic-Magazin ›Mad‹. Jim und Fud verbringen ganze Nachmittage damit, sexuell anzügliche Ra­diowerbespots über Masturbation und Defäkation zu schreiben, erotische Comics zu zeichnen oder perverse Collagen aus Zeitschriftenbildern zu basteln.

      Üblicherweise tritt die Masturbation zwischen dem zwölften und acht­zehnten Jahr auf, obschon auch Fälle bekannt geworden sind, in denen bis zum dreiundneunzigsten Jahr damit fortgefahren wurde ...

      Jim und Fud in einem selbstgeschriebenen ›Radio-Essay‹

      Jim ist schon zu jener Zeit sehr un­ausgeglichen, unberechenbar und in manchen Situationen bis zum Übergeschnapptsein neu­rotisch.

      Mit 14 liest er bereits den le­gendären Beatnik-Roman ›Un­terwegs‹ (›On The Road‹) von Jack Kerouac_2, der im Septem­ber 1957 erscheint und jahre­lang sein Kultbuch bleibt. Das Zentrum der Beatnik_3-Bewegung in North Beach, einem Stadt­viertel von San Francisco, liegt nur 45 Busminuten entfernt. Der Buchladen des Autors Lawrence Ferlinghetti mit der Auslage ›verbotener Bücher‹ wird zum Wallfahrtsort für Jim. Begierig verschlingt er sie alle - Kenneth Rexroth, Allen Ginsberg, Kenneth Patchen, Michael McClure, Gregory Corso - und hört dazu die Schallplatten von Oscar Brand und Tom Lehrer. Mit 15 malt der Frühreife Akte im Stil von Willem de Kooning und impressionistische Bilder. Bereits zu die­ser Zeit beginnt er, das erste seiner Notizbücher anzulegen, die