Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Roth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783944369341
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(Max Reinhardt, Oskar Werner, Otto Schenk und viele andere mehr)!

      Ich mag sicher bereits einige Male achtlos an dem vermeintlichen Gemischtwarenladen vorbeigegangen sein, ohne zu ahnen, was sich darin abspielt, was übrigens auch nachvollziehbar ist, denn sein Erscheinungsbild unterscheidet sich kaum von dem einschlägiger, im Außenbereich Obst und Gemüse feilbietender Einzelhändler an jedem anderen Orte auch. Dem sensiblen Betrachter fallen allerdings auf dem Gehweg postierte Bierkästen ins Auge. Und an diesem Tage war ich hochsensibel.

      Ich also rein, kurz noch die Auszeichnung als »Wiener Bierlokal des Jahres 2013« im Schaufenster zur Kenntnis nehmend, und staunte nicht ganz schlecht, als ich eine große Auswahl österreichischer, belgischer und anderer Biere in mehreren Kühlregalen vorfand. Ich wußte gar nicht, wohin zuerst schauen, und machte augenscheinlich einen hilflosen, überforderten Eindruck, so daß sich drei freundliche Salzburger Herren an einem der Eingangstür gegenüber befindlichen Stehtisch, auf welchem bereits einige geleerte Flaschen auf angenehme Zeitgenossen schließen ließen, gezwungen sahen, sich meiner anzunehmen.

      Nachdem die anfängliche Reizüberflutung abgeklungen war, nahm ich wahr, daß ich mich in einem Feinkost-/Biolädchen mit Bioimbiß und Bierausschank befand. Alle Biere – ob aus der Flasche oder vom Faß – kann man sich dort auch unmittelbar vorbildlich gekühlt genehmigen. Dafür stehen allerdings nur wenige Sitz- und Stehmöglichkeiten zwischen den diversen Lebensmittelregalen zur Verfügung, was das Vergnügen aber keinesfalls schmälert. Da mir die ganze Biosache ziemlich schnurz ist, geriet der Umstand, daß im wesentlichen konventionell gefertigte Biere im Angebot waren, nicht zum Nachteil.

      Die Salzburger Biertrinker waren übrigens Weinhändler. Darum verließen sie auch schon nach einer weiteren Runde die Räumlichkeiten, um einen Winzer aufzusuchen, der ihnen gewißlich keinen gespritzten Apfelsaft gereicht haben wird.

      Hochachtung also für die trinkfesten Salzburger und natürlich für das Verde 1080, das ich beim nächsten Mal nicht zufällig besuchen, sondern gezielt ansteuern werde. Darauf mein verläßliches Wort.

      Ein Überbleibsel

      In geringer Entfernung befindet sich die BierBar, die, weil wir uns im Dunstkreis der Münchener Straße bewegen, zudem Futterstadl heißen muß. Manches, vielleicht vieles muß so sein, wie es sein muß. Es könnte anders sein, muß aber nicht. Deshalb muß es sein, wie es ist. Futterstadl. Man könnte sich bereits jetzt auf offener Straße übergeben.

      Ich weiß nicht, ob die BierBar für das Moseleck eine Bedrohung ist, ob sie Gäste abzieht, ich kenne die mikroökonomischen Verhältnisse in dieser Ecke der Stadt aus eigener Anschauung zu schlecht. Ich kenne ein paar Geschichten und Gerüchte übers Moseleck, ich war, nachdem ich Ende der achtziger Jahre nach Frankfurt gezogen war, auch einige Male im Moseleck, an viel erinnern kann ich mich nicht, es werden schon nach Strich und Faden verquatschte und mit Sicherheit versoffene Abende gewesen sein, unter Kaputten und Nutten und so weiter und so fort, damals ging man ja öfter ins Bahnhofsviertel und in Peepshows und Lapdancebars, einmal sogar mit der bildschönen Cousine aus dem Fränkischen, die mit ihrer weichen Grazie und ihrer unaufdringlichen Souveränität und ihrem stets einnehmend hellen Lachen bei all den um uns herum hockenden Spießern und armen Ärschen einen bleibenden Eindruck hinterließ, diese Schönheit, die nichts anfocht, nehme ich an.

      Ich sitze am frühen Abend im Moseleck und denke, die Gefährlichkeit ist die erheblichste hier nicht. So steht es zumindest auf meinem Notizzettel. Der Zapfer, laut Website müßte es Conny sein, sofern mir mein Bildgedächtnis gehorcht, wirkt ein wenig gehetzt. Er raucht Kette, das Moseleck ist eine Wirtschaft, in der geraucht werden darf, das war früher nicht mal der Erwähnung wert, heutzutage schreibt man so was hin.

      Das Moseleck, heißt es auf der Website, sei ein Lokal, »welches nunmehr seit über hundert Jahren besteht. Im Schatten der Wolkenkratzer im Bankenviertel dürfen ich und meine Mitarbeiter nicht nur Banker zu unseren zufriedenen Kunden zählen, vielmehr sind Messebesucher aus aller Welt unsere Stammkunden. Ich lege Wert auf die Gastlichkeit, um dem entspannungssuchenden Gast mit gepflegten Getränken aller Art eine willkommene Abwechslung zu bieten.«

      Links neben der Eingangstür sind irgendwann unter dem Fenster Kinderstühle montiert worden. Das steht auf meinem Zettel. Warum? Warum nicht. Ich sitze gerne in Wirtshäusern wie dem Moseleck, alleine, meistens tue ich nichts anderes, als in den Raum zu stieren, Bier zu trinken und so weiter. Von Belang ist das selbstverständlich nicht. Doch. Sinnfreie, geschichtsfreie Zonen. Ohne die ist es nicht auszuhalten.

      Man könnte natürlich irgendwo ficken gehen, wäre einem danach. Macht man hier so. Wieso nicht. Groß von Belang ist es allerdings ebensowenig. Und das ist das Gute und, wenn es gut ist, Schöne daran.

      »So haben wir für den sportbegeisterten Besucher eine Videogroßbildwand, auf welcher alle Wettbewerbe und Meisterschaften live übertragen werden. Unser langjähriges Personal versucht sich diskret auf die Belange unserer Kunden einzustellen, wobei jeder Mitarbeiter ein Spezialist in seinem Fach ist. Unsere Maxime lautet: Ein zufriedener Kunde wird zum Freund des Hauses.«

      Aus dem rückwärtigen Bereich des sich um den Tresen windenden Gastraumes dringt eine Äußerung zu der ganzen Irakkriegsscheiße herüber, zu diesem bepißten, verschissenen, abgefuckten Schwachsinn. Oder zu Afghanistan? Links von mir die »Digital Jukebox«. Auf der anderen Seite, in Verlängerung meiner Blickachse, die Augen leicht nach oben gewandt, als mustere man die Weltlage und fürchte, einen Rest von sehr alter Mythologie in sich tragend, der Himmel, hier: die Dekke, die gelbliche, beginne sich zu bewegen, mache sich selbständig, entwickele ein Eigenleben, fange an zu zittern, zu grollen, um schließlich zu bersten und herunterzustürzen –: Holzfiguren unter dem Fernseher. Sie stellen die alten Wirtsleute dar. Sagt mein Notizzettel.

      »Der Harry ist okay gewesen«, sagt mein Kumpel J. am Tresen meiner Stammkneipe im Gallusviertel. Ich befrage ihn zum Moseleck. Der Wirt, der als Kürschner lange im Bahnhofsviertel gewohnt und das Moseleck regelmäßig frequentiert hat, will zum Moseleck nichts sagen. »Der Harry hatte«, sagt J., »das Kaiser 51 und den sagenhaften Dampfkessel. Im Dampfkessel hat er seine Kohle gemacht. Der war rund um die Uhr offen, und da hat er mit den Leuten die Kohle gemacht. Im Dampfkessel gab es eine deutsche Übermacht, die Jungs aus dem Milieu. Da verkehrten auch die Jungs von außerhalb. Dann ist der Dampfkessel zugemacht worden, und der Harry hat das Moseleck übernommen.«

      Das ist Harry.

      »Der Harry hat sein Motto. Der läßt jeden rein, der ’nen Euro hat. Das kann ein Penner oder ein Staatsanwalt sein.«

      Eine Frau in einer blauen Trainingsjacke, deren Alter, schriebe man einen literarischen Text, durch die Angabe bestimmter Merkmale recht präzise benannt würde, verläßt das Moseleck. Sie hat, das glaube ich sagen zu können, lange Jahre stark getrunken, was sie heute gemacht hat, weiß ich nicht, es geht mich nichts an, ich könnte es mir ausmalen, ich könnte herumspinnen, ich könnte eine Geschichte beginnen und wieder versickern lassen, sie trägt eine Milchtüte bei sich. Über der Tür klebt ein »Germany«-Banner. Hinter meinem Rücken hängt ein gerahmtes Poster an der Wand: »Andrea Berg: ›Splitternackt‹«. Hat was, hat was, hat was.

      »Über das Moseleck kannste nur so viel sagen, wie du erkennst, wenn du jetzt reingehst«, sagt J.

      Harry soll Angestellte des Dampfkessels übernommen haben, zum Beispiel Mike, der sich später umgebracht hat.

      »Alle Getränke, gleich, ob es sich um Bier oder ausgefallene Spirituosen handelt, sind gepflegt und darüber hinaus, was heute nicht selbstverständlich ist, äußerst preiswert.«

      Rechts von mir sitzt am Tresen ein Mann mit einer Baseballkappe. »Kennste noch die Sonne von Mexiko?« fragt er einen Mann, an dessen Aussehen ich mich nicht erinnere. Es geht um einen legendären Puff, so legendär, wie das Moseleck ist oder sein soll.

      »Ich würde mich freuen, wenn auch Sie einmal uns besuchen. Nicht weit vom Hauptbahnhof gelegen, finden Sie bestimmt den Ruhepol für einige erholsame Stunden.«

      Es ist nichts