nur der angepaßte, opportunistische schleimer kann hier ein einigermaßen ungestörtes leben führen – für die andern ist es die abgestufte hölle: vom entzug der bonbons à la video über verlegung in einzelzellen (vor allem für die jugendlichen schlimm) bis hin zum bunker: das sind die stationen für die, die nicht mitmachen (und was für die läuft, die am meisten widerstand leisten und bei denen das programm nicht funktioniert, kommt dann noch an meinem beispiel …).
symptomatisch für die wirkung dieses programms auf die gefangenen – gerade im unterschied zu ändern knästen, die noch nicht so weit sind, ist, wie sie abends am fenster schreien- daß geschrien wird, ist normal, nur wo in anderen gefängnissen die gefangenen noch tierische urschreie von sich geben, wie verletzte stiere brüllen, röhrend strotzende kraft (soundsoviel psychiater verdienen sich dumm und dusslig daran, den leuten beizubringen, überhaupt wieder so brüllen zu können, wie es für die meisten gefangenen eine ganz natürliche form der erleichterung und kommunikation ist, die auch kraft gibt), da ist hier auch diese quelle eigener selbstbestätigung bereits angegriffen: die gefangenen machen eine rückentwicklung zum kleinkind durch, schreien nicht, sondern wimmern wie babys, jaulen wie hunde (überhaupt die tiergeräusche – bis jetzt habe ich erst einmal einen immer muhen hören, sonst nie tiergeräusche – diese identifikation mit hunden ist natürlich bezeichnender, als man es mit worten beschreiben könnte!) oder geben stammelndes anal- und fäkalgelalle von sich, und wo andre noch nach »fotzen« und »löchern« schrien, kann man hier nur noch ab und zu was von »arschficken« hören, was aber auch schon das höchste der gefühle ist: von »scheiße«, »nieder mit den schweinen«, »macht sie fertig« oder »bambule«, die sonst geläufig sind, hab ich hier noch nichts gehört.
2. die besondere station, auf der ich bin:
aber das ist – wie gesagt – alles noch erst der »normalzustand«. die station, auf der ich bin, ist davon nochmal eine steigerung, suizidstation, »beobachtungsstation« für neuzugänge – laut anstaltsleitung ist hier außer mir keiner länger als 3-7 tage, von jugendlichen und »besonderen fällen« abgesehen –, die gefangenen am fenster nennen diesen trakt »verrücktenstation«, womit offensichtlich sowohl die gefangenen als auch die wachmannschaft gemeint sind, bereits im stockwerk drüber sei wieder »alles normal«, aber wie auch der »offizielle« name schon sagt, zeichnet sich diese station zunächst mal durch eine im vergleich zu andern stationen potenzierte überwachung aus. mehrmals stündlich – wobei sie aber nicht mal jedesmal extra kommen müssen, sondern auf den gängen sind und sozusagen nur noch nebenher immer mal wieder reinschauen müssen –, vor allem aber auch nachts, z. b. in der ersten stunde nach dem licht aus zwischen 22 und 23 uhr alle 15 minuten ein kontrollgang mit ausgiebigem reinglotzen in alle zellen, was ich bis auf eine zeitweilige spezialmaßnahme gegen uns noch nie erlebt habe, als »normalzustand« und dann auch noch für alle; meist – und auch auf den anderen stationen hier – findet nämlich außer 1-2 stichproben nichts derartiges statt; das andere hauptmerkmal dieser station ist aber die besondere wachmannschaft, es gibt überall unter 10 bewachern einen neurotiker, der versucht zu schikanieren, sich autoritär aufführt, sich wichtig macht, razzien besonders scharf macht, um einem was anzuhängen usw. usw., eben seine zerstörte persönlichkeitsstrukur innerhalb seines machtbereichs austobt.
im allgemeinen sind solche typen noch zu verkraften, wenn die anderen einigermaßen umgänglich sind und sich zurückhalten, weil sie selbst ihre ruhe haben wollen; hier besteht die gesamte, schichtweise rotierende mannschaft nur aus lauter solchen »einen«, solche sind dann nicht nur in der lage, so eine dauerüberwachung durchzuziehen (das kotzt den normalen wächter nämlich auch an, das weiß ich authentisch), sondern sie machen es auch noch mit hingabe und vergnügen, woran man auch sehen kann, daß sie aus »dienstlichen notwendigkeiten« gezielt ausgewählt wurden.
solche »nachgemachten menschen«, wie knut mal sagte, werden ihrer besonders verantwortungsvollen aufgabe aber vor allem dadurch gerecht, daß sie die gefangenen nur noch in demütigendem und autoritärem ton anbrüllen, »zurechtweisen« oder belehren, im besten falle die jugendlichen in jugendheimleiterlicher, jovial-altväterlicher strenge ansprechen: »na, ihr buben«, leise stimmbrüchige proteste, die nicht genau zu verstehen sind, »was, männer wollt ihr schon sein, na da müsst ihr aber erst noch wachsen« – normal, soweit man davon überhaupt reden kann, können sie aufgrund ihrer mutation überhaupt nicht mehr, deswegen wird es so verquer, wenn sie trotzdem reden müssen: als ich mich mal über den ton beschwerte, wunderten sie sich ernsthaft, was ich meinte, und verstanden es überhaupt nicht, weil sie es normal finden; auf meinen hinweis, daß ich das mir gegenüber verbitte, reagierten sie dann zum teil in einer überzogenen, extra künstlich betont aufgesetzten freundlichkeit – ich kam mir vor wie in der volksschule.
damit man sich aber auch wirklich sozusagen »sinnlich« vorstellen kann, welche umgangsformen hier die ständige spannung auf einem nicht nachlassenden high-level ausdrücken (oder mitverursachen, das läßt sich kaum auseinanderhalten), muß ich noch ein paar wörtliche beispiele des alltagsbringen, selbstverständlichkeiten – für die wächter –, wie ich sie jeden tag zu hören gezwungen bin, weil ich gegenüber des »dienstzimmers« bin; sie sind zwar nicht charakteristisch für den ton mir gegenüber (manche ham’s am anfang auch bei mir so versucht, aber, bezeichnend für die ausgangslage mir gegenüber, sich diesen ton verkneifen müssen – ausgerechnet so einem terroristen gegenüber), aber allgemein wichtig, denn das ist nicht der normale ton (und die struktur), sondern ausdruck der methode, mit der gefangene, die nicht funktionieren, für den angepaßten »normalvollzug« weichgeklopft werden sollen:
– morgens wird hier zusätzlich noch jede tür aufgeschlossen und ein schneidiges »guten morgen« im barraston gewünscht (demonstration der verfügbarkeit, bei mir zum glück aus sicherheitgründen nicht, weil sie nicht genug leute haben), wer aber trotz schrillem dreiklang und grellem neonlicht noch nicht aus dem bett gesprungen ist, wird mit »los, los, dalli, dalli, aufstehn, aber ’n bißchen schnell jetzt« und ähnlichem hochgescheucht.
–leises gemurmel eines gefangenen (daran, daß ich noch nie einen gefangenen verstehen konnte, kann man ermessen, wie unnatürlich laut die wächter immer reden), antwort: »ich hab sie heut morgen schon belehrt, jetzt läuft nichts mehr, los, ab in die zelle, aber schnell, los.«
–»machen sie das hemd in die hose – so läuft man hier nicht rum.« (haben sie bei mir auch versucht, als ich auf dieser station ankam – bei der andern nicht –, »wie ein normaler mensch« solle ich rumlaufen; ich weigere mich, und nach 6 wochen haben sie es aufgegeben, mich für den weg zur besuchszelle dazu zwingen zu wollen …)
–»rechtsanwalt ist da, stehn’se vom stuhl uff, hopp, hopp.«
–»friß nicht so viel.«
–»sie sind ja zu blöd zum denken.«
–»hausarbeiter!«, pause: »hausarbeiter!!!«, ein entferntes »ja«, darauf ein charakteristischer hundepfiff (in gleichem ton einmal lang, mehrmals kurz) – und der hausarbeiter kommt: gerannt.
es gibt in anderen gefängnissen immer mal wieder dumme sprüche, aggressionen, konfrontationen – aber ich habe es bis jetzt noch nirgendwo erlebt, daß wie auf dieser station permanent höchststufe gefahren wird, das ist auch nur als sondermaßnahme gegen besondere gefangene möglich (und auch gegen die nur eine zeitlang, würden sie dauernd hierbleiben, würden sich weniger rabiate strukturen automatisch herausbilden, weil beide seiten sonst nicht überleben könnten – gegen immer neue ist das aber drin und wird von den wächtern offensichtlich als lust empfunden: »erstmal zeigen, wo der hammer hängt« etc., befriedigung von machtgelüsten), als rechtfertigung nannte ein wächter in einem der beiden gespräche, die ich bis jetzt je 5 minuten lang mal führen konnte und in denen ich einige informationen herauslocken konnte, es sei hier eine »besondere station« (welcher art genau, wollte er nicht sagen!), in der ein »besonderes kommando« seinen dienst tue, das erstens »besonders ausgebildet« sei, zweitens stärker besetzt als auf anderen stationen (drei bis vier anstatt zwei),