Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gundolf S. Freyermuth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783862871766
Скачать книгу
sich auch Veränderungen im kulturellen Verhalten gegenüber ästhetischen Artefakten einstellen. Das Spielerische, das vorindustriell viel galt, drängte der Industrialismus – angesichts der Gewalt und Gefahr, die von industriellen Maschinen und Prozessen ausgeht, auch mit einigem Grund – ins Private und dort auch an die Ränder des Hochkulturen. Harry Pross etwa schrieb, das Spiel gegen das Buch absetzend: »Im zweiten Sektor, dem der Freizeit und der Inkompetenz, ist das Spiel in seinen zahllosen Formen zu Hause.«45 Von dort allerdings kehrt es nun – im Zuge eines »movement from a culture of calculation to a culture of simulation«46 – ins Zentrum postindustrieller Zivilisation zurück. Der Widerspruch zwischen Arbeitsethik und Spielethik, den industrielle Rationalität behauptete und der in Fabriken wie Verwaltungen bestand, hebt sich sukzessive auf.

      Mit einiger Konsequenz findet sich daher der fantasmatische Profanraum, in dem digitale Wissensarbeiter ihre ästhetischen Erfahrungen sammeln, nicht länger in der materiellen Realität, sondern in der Virtualität. Dort vollendet sich der Prozess entmaterialisierender Entortung, der mit dem Film begann: Wo auf der Bühne noch Menschen aus Fleisch und Blut stehen, zeigt das Kino Lichtbilder. Online streifen nun nach den Darstellern auch die Zuschauer, indem sie zu virtuellen Mitspielern werden, ihre Körperlichkeit zugunsten mediatisierter Präsenz ab. Digitale Spiele profitieren so von der sich mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeit verändernden Haltung des Publikums. Die Bereitschaft, sich über län­gere Zeiträume hinweg ausschließlich passiv unterhalten zu lassen, nimmt ab und umgekehrt steigt die Bereitschaft zu interaktiver Partizipation. Die Notwendigkeit zur eigenen Entscheidung, wie sie die meisten analogen und digitalen Spiele erfordern, nehmen Spieler eben nicht als Last wahr, sondern erleben sie lustvoll.

      Zu differenzieren ist daher heute – im Doppelsinne: nach Harry Pross – zwischen Spielen primärer, sekundärer, tertiärer und quartärer Medialität. Basieren Spiele primärer Medialität auf realen Simulationen des Realen, Spiele sekundärer Medialität auf symbolischen Repräsentationen des Realen und Spiele tertiärer Medialität auf tele-auditiven oder tele-audiovisuellen Teilhaben an realen Simulationen des Realen wie symbolischen Repräsentationen des Realen, so ermöglichen digitale Spiele erstmals eine interaktive Teilhabe nicht nur an virtuell-echtzeitigen Simulationen symbolischer Repräsentationen des Realen, sondern vor allem auch an virtuell-echtzeitigen und hyperrealistischen Simulationen des Imaginären.

      Auf Grund dieser einzigartigen medialen Eigenschaften scheinen digitale Spiele besser als andere Darstellungs- und Erzählformen den Erfahrungen kultureller Digitalisierung zu entsprechen: den sich wandelnden Wahrnehmungsweisen von Zeit und Raum und neuen Auffassungen, wie unter den Bedingungen digitaler Produktion und Kommunikation Menschen zu sein und zu handeln haben.

      Wie das neue Medium zwischen der Mitte des 20. und dem Beginn des 21. Jahrhunderts sukzessive in drei Entwicklungsschüben, die Eigenschaften gewann, die es heute auszeichnen, schildern die nächsten Kapitel.