Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980672
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sich ziemlich hässlich an. So als ob wir getrennte Leben geführt haben, obwohl wir unter einem Dach wohnten. Du bist eine wundervolle Frau, Elli, aber manchmal nimmst du die Dinge des Lebens einfach zu schwer.«

      »Offenbar! Sonst hättest du dich wohl kaum für Maja umentschieden.« Ellis Stimme klang ruhig, trotz der bitteren Erinnerung. »Ist es nicht merkwürdig, wie sie sich immer wieder in unsere Gespräche einschleicht?«

      Henning griff nach ihrer Hand und hielt sie behutsam in seiner. »Das ist nicht merkwürdig, sondern ganz verständlich. Meine leichtfertige Beziehung zu Maja war der Schnitt, der unsere Ehe getrennt hat. Und wenn wir immer wieder darauf zu sprechen kommen, dann heißt das doch, dass wir damit noch nicht abgeschlossen haben.«

      »Ja, vielleicht.« Elli wandte den Kopf ab, um Hennings intensiven Blick zu entgehen.

      Er legte seine Hand unter ihr Kinn und hob sanft ihr Gesicht an, sodass sie einander wieder in die Augen schauten. »Wir zwei sind uns immer noch sehr nahe, nicht wahr?«

      »Es scheint so«, murmelte Elli. Dann entzog sie ihm ihre Hand und rutschte ein Stückchen von ihm fort. »Hier am Bootssteg sind so viele Menschen. Lass uns ein Stückchen am See entlang gehen.«

      Henning erhob sich, und das Paar schlenderte den erleuchteten Weg am See entlang. Es war eine ansteckende, freundliche Atmosphäre inmitten der Lichter, deren warmer Schein jetzt nach und nach in der Dämmerung aufflammte. »Das ist eine hübsche Tradition«, sagte Henning. »Worin liegt eigentlich ihr Ursprung? Ich habe gehört, dass bereits Mitte des achtzehnten Jahrhunderts das erste Lichterfest gefeiert wurde.«

      »Es hat seinen Ursprung in der Liebe«, erzählte Elli. »Ein Mädchen und ein Junge verliebten sich und wollten heiraten, aber die Väter der beiden trauten einander nicht über den Weg. Er war Hoferbe in einem alteingesessenen Bauerngeschlecht, sie das einzige Kind eines angesehenen Tuchhändlers. Obwohl beide aus wohlhabenden Familien stammten, hieß es nur ›der Bauernlümmel‹ oder ›das Krämermadl‹. Eine Hochzeit schien unmöglich; die Kinder hatten keine andere Wahl, als sich den strengen Vätern zu fügen.

      Aber Andres, so hieß der Junge, wollte seiner Leonore zeigen, dass er sie trotz aller Verbote liebte und ewig an sie denken würde. Er entzündete jeden Abend ein Licht und stellte es ans Seeufer. Auf der gegenüber liegenden Seite sah Leonore den hellen Schimmer und entzündete als Antwort ebenfalls jeden Abend eine Laterne, die sie ans Seeufer stellte.

      So sehr die Väter auch zankten und drohten – die Kinder ließen sich nicht beirren und sagten sich jeden Abend mit ihren Lichtern, dass sie sich liebten.

      Und plötzlich leuchtete ein drittes Licht durch die Dunkelheit, dann ein viertes und fünftes. Mit jedem Abend wurden es mehr. Es waren die Mütter, die ihre Kinder unterstützten, es waren andere Liebende, es waren Alte, die für eine verlorene Liebe ein Licht entzündeten. Irgendwann waren es Dutzende, die Abend für Abend von Ufer zu Ufer von der Liebe erzählten.

      Das erweichte schließlich auch die verhärteten Gemüter der beiden Väter, und im nächsten Sommer konnten Andres und Leonore endlich Hochzeit feiern. Seitdem gibt es jedes Jahr das Lichterfest am Sternwolkensee.«

      »Das ist ein wunderschönes Märchen«, antwortete Henning weich.

      »He, das ist kein Märchen!« Elli stupste ihn spielerisch gegen den Arm. »Andres und Leonore haben wirklich hier gelebt, du kannst es in den Kirchenbüchern nachlesen.«

      »Das habe ich nicht gemeint«, antwortete Henning bedächtig. »Ich meinte, dass die Liebe über alle Widerstände hinweg gesiegt hat.« Er blieb stehen, und sanft berührten seine Fingerspitzen Ellis Gesicht, zeichneten ihre Kinnlinie nach, strichen ihre Wangen entlang und verloren sich zwischen den seidigen Locken, die sich aus der geflochtenen Haarkrone gelöst hatten. »Was steht zwischen uns, Elli?«, murmelte er an ihren Lippen. »Welche Hindernisse müssen wir überwinden, damit wir wieder eins werden, so wie früher?«

      Elli seufzte und sank in seinen Kuss.

      *

      Der nächste Morgen brachte Sommerregen und Abkühlung. Elisabeth atmete in tiefen Zügen die Frische, die durch ihre geöffneten Fenster in die Wohnung zog. Sie war mit Anna zum Frühstück verabredet und freute sich sehr darauf, mit ihrer Freundin über die gestrige Nacht zu sprechen. Da gab es einiges, was die junge Frau beschäftigte.

      »Duschen und richtig anziehen kann ich mich später«, nuschelte sie um ihre Zahnbürste herum. »Für einen Kaffee unter Freundinnen tun es auch nur Wasser und Seife und Räuberzivil. Los, Dante!« Sie schlüpfte in eine weiche, hellgraue Gymnastikhose und ein weißes Shirt, wurstelte irgendwie ihre Haare auf dem Hinterkopf zusammen und lief mit Dante auf den Fersen nach draußen. Vor ihrem Schaufenster traf sie auf Til Tilsner, der interessiert das Stillleben musterte, in dem die Buchhändlerin seinen neuen Krimi präsentierte.

      »Guten Morgen!«, grüßte er.

      »Oh, guten Morgen!« Elli dachte daran, mit welchen Worten sie sich gestern getrennt hatten. »Und? Fühlten Sie sich vom provinziellen Treiben unter ihren Fenstern sehr gestört?«, fragte sie herausfordernd.

      »Im Gegenteil!« Wieder war dieses jungenhafte Grinsen zu sehen, das ihn so sympathisch und anziehend machte. »Ich wollte sogar ein wenig am See spazieren gehen, aber ich bin nicht über den Steg hinausgekommen. Nachdem mich auf der Hotelterrasse die Damen des Landfrauenvereins begrüßt hatten, habe ich die Bekanntschaft mit einer zielstrebigen jungen Frau gemacht, deren Familie hier – das sind ihre eigenen Worte – tonangebend ist.«

      »Lassen Sie mich raten: das war Miriam Holzer, deren Familie Holzhandel und Sägewerk gehören?«

      »Genau! Sie hat bereits die Sitzordnung bei der Lesung im Gemeindesaal geklärt«, schmunzelte der Autor.

      »Lassen Sie mich noch einmal raten: Miriam Holzer mittig in der ersten Reihe, direkt neben Doktor Sebastian Seefeld?«

      »Ja, so stellt die junge Dame es sich vor.«

      Elli dachte an Freundin Anna und antwortete diplomatisch: »Hm, man wird sehen …«

      »Frau Faber, ich möchte Ihnen etwas sagen.« Til Tilsner wurde wieder ernst. »Ich habe über Ihre Worte von gestern nachgedacht. Es tut mir leid, dass ich mich so spöttisch über das Lichterfest geäußert habe.«

      »Es ist nett von Ihnen, das zu sagen.«

      »Mir ist es wichtig, dass Sie es wissen! Irgendwie scheine ich eine Ader dafür zu haben, in Ihrer Gegenwart besonders unfreundliche Dinge zu sagen.«

      »Oh, schon gut! Machen Sie sich keine Gedanken darüber. Im Zusammenhang mit der Lesung haben Sie jede Menge Gelegenheiten, Freundliches zu sagen. Überraschen Sie mich!«, neckte Elli ihn.

      »Das wollte ich eigentlich heute Morgen schon, aber sogar das ging schief«, antwortete er. »Sie waren so stolz auf Ihr neues Dirndl und ich wollte mich mit etwas, das aus Ihrer Heimat stammt, für meine abfälligen Worte entschuldigen. Also bin ich in ein Blumengeschäft gegangen und wollte einen großen Strauß Alpenrosen binden lassen … Können Sie sich das Gesicht der Floristin vorstellen?«

      Elli lachte. »Nur zu gut! Und soll ich Ihnen auch sagen, warum? Bis vor Kurzem habe ich nicht gewusst, dass die Alpenrose ein Rhododendronstrauch ist! Ich wollte mir auch einen Strauß Alpenrosen für die Vase kaufen und habe erst dann gelernt, was für ein Gewächs es ist. Ich habe einen Strauch in meinen Hinterhof gepflanzt.« Sie zögerte kurz und fuhr dann fort: »Wenn Sie mögen, besuchen Sie mich doch mal nach Feierabend. Dann setzen wir uns in meinen Topfgarten, Sie lernen Alpenrosen kennen, und wir unterhalten uns über Bücher.«

      »Klingt gut, darauf freue ich mich!«

      »Ich muss weiter, meine Freundin wartet mit Kaffee und frischen Semmeln auf mich.« Elli winkte zum Abschied und lief weiter durch den Nieselregen, der ein hauchfeines Netz funkelnder Kristalle über ihre roten Haare legte. Ihr Duft nach englischer Seife und Minze wehte an dem Mann vorüber und zauberte ein Lächeln auf seine hageren Züge.

      *

      Elli und die junge Hebamme saßen gemütlich