»Nein, Mama, das kannst du doch nicht machen!«
Sofort hatte Nele Tränen in den Augen. Julia kämpfte mit sich. Sie durfte auf keinen Fall nachgeben. Hinterher wäre es noch schlimmer für Nele, wenn sie sähe, daß sich ihre Träume nicht erfüllten.
»Doch, Schatz. Papa und ich werden nicht mehr zusammenleben, weißt du? Wir sind geschieden, und das wird auch so bleiben. Als euer Vater kann er euch jederzeit besuchen oder abholen, und auch mit euch verreisen. Aber ich glaube, du denkst, daß wir wieder eine richtige Familie sind. Das wird nicht gehen, es tut mir leid.«
»Du bist gemein, Mama! Papa will alles wiedergutmachen, hat er gesagt! Und du willst das nicht!«
»Liebes, du wirst später verstehen, warum das nicht geht. Eines Tages, wenn du die Liebe kennenlernst, glaub mir. Ich bin nicht böse, daß du jetzt mit mir schimpfst, aber ich muß über mein Leben allein bestimmen.«
»Du willst ja nur diesen… Freund nicht aufgeben«, schleuderte Nele ihr entgegen.
Das habe ich schon, lag Julia auf der Zunge, aber merkwürdigerweise konnte sie es nicht aussprechen. Sie schaute Nele an, auf deren Gesicht sich alle inneren Kämpfe spiegelten. Es war schwer zu ertragen.
»Das hat damit nichts zu tun«, sagte sie statt dessen.
»Ich will den nie, nie sehen, das sage ich dir!«
»Nele, hör auf. Du sollst dich nicht so aufregen.«
»Dann komm mit!«
»Das ist nicht nett von dir. Du weißt, daß ich dich sehr liebhabe, aber über mein Leben lasse ich ich dich nicht bestimmen.«
Nele mußte wohl etwas von ihrer Entschlossenheit gespürt haben. Sie sah ein wenig erstaunt aus, als sie Julia jetzt anschaute. Dann rutschte sie im Bett herunter und zog die Decke bis ans Kinn.
Sie wollte nicht mehr mit Julia sprechen. Julia akzeptierte das schweren Herzens.
Als Thomas kam, überfiel sie ihn gleich mit ihren Anklagen.
»Papa, Mama will nicht mitkommen! Sag du ihr, daß sie das muß.«
»Schatz, du weißt doch, daß wir geschieden sind. Ich habe ihr nichts zu sagen. Wenn sie nicht mitkommt, ist das zwar schade, aber nicht zu ändern. Wir werden uns ganz bestimmt trotzdem amüsieren.«
Seine Stimme klang ruhig und gelassen. Julia war ihm dankbar und noch viel froher darüber, daß sie bereits mit ihm gesprochen hatte.
So war ihm Zeit geblieben, sich an den Gedanken zu gewöhnen und sich seine Antwort für Nele zu überlegen. Daß sie davon anfangen würde, war ja klar gewesen.
Sie versuchte auf kindliche Art, ihren Willen durchzusetzen.
»Mama hat einen Freund!«
Thomas schaute Julia nicht an.
»Das darf sie doch auch, nicht wahr? Sie hat bestimmt trotzdem immer Zeit für euch.«
»Aber du bist allein…«
»Ich war auch nicht immer allein. Nur im Moment habe ich keine Freundin. Das kann sich auch wieder ändern.«
Nele sah fassungslos aus. Julia tat ihre Tochter leid. Sie wurde ganz schön gefordert, jetzt, wo sie eigentlich Schonung brauchte. Aber vielleicht war die Wahrheit doch wichtiger…
»Aber ich will nicht, daß jemand mitkommt außer Patrick und mir.«
»Nein, das mußt du nicht befürchten, Schatz. Ich fliege mit euch beiden allein. Hier, die Prospekte.«
Thomas legte sie Nele auf das Bett.
Zuerst widerwillig, dann mit immer mehr Begeisterung, begann sie darin zu blättern. Für Julia war es der richtige Zeitpunkt, um sich zu verabschieden. Nele reichte ihr huldvoll die Wange, um den Abschiedskuß entgegenzunehmen.
Julia war ziemlich erschlagen, als sie bei ihrer Mutter ankam. Sie erzählte ihr, was vorgefallen war.
Angelika Bernsdorf lachte.
»Da hast du ja gerade noch die Kurve bekommen, mein Schatz. Ich verstehe Thomas, daß er sich Hoffnungen gemacht hat. Wenn er wirklich begonnen hat nachzudenken, wird ihm klar sein, was er verloren hat.«
»Jedenfalls ist das für mich kein Thema mehr.«
»Nein, das ist auch gut so. Und noch viel besser ist, daß du dich Nele gegenüber stark gemacht hast. Wärest du jetzt zu nachgiebig, würde sie immer weiter versuchen, dir ihren Willen aufzudrängen.«
»Ich glaube, sie ist sehr enttäuscht, aber sie wird mir schon verzeihen.«
»Und dein Freund? Was ist mit ihm?«
»Nichts.«
Endlich erzählte Julia, wie sie Torsten angerufen und eine Frauenstimme am Telefon gehört hatte.
»Und daraus schließt du, daß er eine andere hat? Julia, du spinnst.«
»Aber Mama!«
»Entschuldige, aber so einen albernen Grund, gleich aufzugeben, habe ich wirklich noch nie gehört. Es könnte eine Angestellte gewesen sein, die noch etwas abgegeben hat, eine Schwester, eine Bekannte, ja, sogar die Putzfrau!«
»Oder eine neue Freundin!« beharrte Julia.
»Natürlich, oder eine neue Freundin. Aber da fragt man doch wohl mal, oder? Ich habe jetzt Zweifel daran, ob es dir wirklich ernst war, oder ob du die erste Gelegenheit beim Schopf packst, um dir einreden zu können, daß er es nicht ernst gemeint hat.«
»Ich habe es ernst gemeint!«
»Dann können deine Gefühle aber trotzdem nicht sehr tief sein.«
»Das sind sie gewesen.«
Julia kam sich so trotzig wie ein Kind vor, wenn sie ihrer Mutter widersprochen hatte. Ihr fehlten die richtigen Argumente, denn natürlich hatte sie aus gekränkter Eitelkeit wirklich sehr schnell aufgegeben. Das wurde ihr jetzt klar.
Torsten. Hatte er nun eine Freundin oder nicht? Vielleicht sollte sie ihn doch noch einmal anrufen…
»Ich behalte Patrick heute hier.«
»Aber warum denn?«
»Weil ich es möchte. Wir wollen zusammen einen Videofilm sehen, über eine Maus, die schlauer ist als die Menschen. Patrick hat ihn entdeckt. Er freut sich schon darauf.«
»Aber…«
»Ich bringe ihn morgen in den Kindergarten. Mach dir keine Gedanken. Wenn Nele wieder zu Hause ist, habe ich ja auch wieder mehr Zeit für mich. Es ist schon in Ordnung so.«
»Mama, du bist…«
»Ich weiß. Ich bin unersetzlich.«
Sie lachte und ließ sich von Julia umarmen.
Julia war plötzlich sehr unruhig. Ein freier Abend, eine freie Nacht… So hatte es schon einmal angefangen…
Auf dem Nachhauseweg war sie noch fest entschlossen, auf keinen Fall bei Torsten anzurufen. Als sie zu Hause ankam, es waren ja nur ein paar Meter von Haus zu Haus, konnte sie es gar nicht abwarten, seine Nummer zu wählen. Sie mußte Gewißheit haben. Dann könnte sie ihn ein für allemal vergessen.
Diesmal war er selbst am Apparat. Julias Herz klopfte bis zum Hals. Sie mußte etwas sagen…
»Hallo? Julia…?«
Wieso glaubte er, daß sie es war? Warum klang seine Stimme so unsicher und gleichzeitig hoffnungsvoll? Und wer war die Frau gewesen?
»Ich… ja, ich bin es… Ich wollte dich fragen, ich meine… ich wollte…«
Sie brach ab. Es war schrecklich. Sie kam sich sehr dumm vor.
»Ich bin froh,