Sie jagte die Treppe zur Wohnung hinauf, stolperte, fing sich wieder. Sie schlug die Tür zu. Joachim wäre ihr gerne nachgegangen, aber er sah dem Mann entgegen.
Und was Joachim sah, gefiel ihm sehr.
Das schwarze Haar war an den Schläfen mit feinen Silberfäden durchzogen, das markante, sympathische Gesicht wirkte wie das Gesicht eines jungen Mannes. Offene graue Augen sahen Herrn Poppel entgegen.
Stephanies Vater. Joachim bildete sich ein, daß Stephanie das gleiche Lächeln hatte wie dieser Mann.
Es würde ihm schwer fallen, ihn zu belügen. Poppel faßte nicht rasch Sympathien, aber in diesem Fall geschah es.
»Guten Tag. Darf ich mich ein wenig umsehen?«
»Aber selbstverständlich«, beeilte sich Joachim zu versichern. So war er also genauso zufällig hier wie Harro.
Julians Blick fiel auf den Davenport-Sekretär, begeistert betrachtete er die winzigen Laden, strich mit der Hand über den Lederbezug der Platte.
»Das ist ja eine Schönheit, diese Möbelstück. Wo haben Sie es nur aufgetrieben?«
»Nicht ich, sondern meine Teilhaberin. Sie war in England, als ein Herrensitz aufgelöst wurde. Sie hat noch mehr Kostbarkeiten mitgebracht. Sehen Sie sich nur in Ruhe um.«
»Ihre Teilhaberin heißt Laura Wagenfeld, nicht wahr?«
Poppel nickte. »Sie kennen sie?«
»Ja. Ich hätte sie gern gesprochen. Ist das möglich?«
Die grauen Augen waren so klar und ausdrucksvoll, als wollte Julian den Weg zu seinem Herzen freigeben. Poppel schluckte.
Bedauernd hob er die Hände. »Leider heute nicht. Sie ist nicht im Geschäft.« Damit log er nicht einmal. »Wenn ich vielleicht etwas ausrichten kann?«
»Schade. Ich bin einen langen Weg gekommen, nur um sie zu sehen. Wann kommt sie zurück?« und mit Angst in der Stimme fuhr er fort. »Sie wird doch nicht verreist sein?«
»Nein. Aber es kann heute abend spät werden. Fahren Sie heute abend noch zurück?«
»Nein. Ich habe im ›Drei Löwen Klub‹ ein Zimmer genommen.
Wenn Laura, ich meine Fräulein Wagenfeld, zurück ist, kann sie mich vielleicht anrufen. Ich gehe sehr spät schlafen.«
Er hatte die Hand auf dem Sekretär liegen, als gehörte er bereits ihm. »Sie heißt doch noch Fräulein Wagenfeld, oder ist sie inzwischen verheiratet?«
»Nein, verheiratet ist sie nicht.«
Warum konnte er diesen Mann nicht mit in die Wohnung nehmen? Warum konnte er Laura und ihn nicht zusammenbringen… und diesem Herrn seine Tochter zeigen?
»Ich will Ihnen sagen, woher ich Lauras Adresse habe. Ich habe bei einer Vernissage ein Kinderbild gesehen, das Laura gemalt hat. Die Ähnlichkeit mit Laura ist verblüffend. Ich wußte nicht, daß Laura so eine Künstlerin ist.«
»O ja«, beeilte Poppel sich, das zu bestätigen. Wenn er ihn nur nicht nach dem Kind fragte. »Wir haben hier einige Bilder von Laura hängen. Sie malt nicht sehr viel.«
»Sie wird wenig Zeit haben. Ein Kind, ein Beruf… da muß man schon organisieren können. Darf ich fragen, wie alt die Kleine ist?«
»Da müssen Sie Laura schon selbst fragen, so genau weiß ich es nicht.«
»Kann ich die Kleine sehen? Dann bin ich doch nicht ganz umsonst hierher gekommen.«
Poppel wurde es siedendheiß, der Schweiß lief ihm über den Rücken.
»Bedaure. Die Kleine schläft, vielleicht ist sie auch mit Laura fortgefahren.« Er wußte selbst, daß er schlecht log. Beinahe hilflos sahen die Augen, die so jung wirkten in dem Gesicht, in das das Alter seine Spuren gegraben hatte, den jungen Mann an.
»Schon gut«, beruhigte Julian ihn mitleidig. »Wenn Sie bitte Laura meine Visitenkarte geben wollen. Und sagen Sie ihr doch bitte, sie soll mich anrufen, gleich, wie spät es ist.«
»Ich werde es ausrichten. Sie können sich darauf verlassen.«
Julians Lächeln war warm, wie ein freundschaftlicher Händedruck. »Das weiß ich, daß ich mich auf Sie verlassen kann.«
»Bitte, verkaufen Sie den Sekretär nicht. Ich werde ihn kaufen.« Bei sich setzte er hinzu: ganz gleich, wie mein Gespräch mit Laura auslaufen wird.
*
Herr Poppel fand Laura in völlig aufgelöstem Zustand.
»Er ist meinetwegen gekommen, nicht wahr?« Lauras Augen waren viel zu groß in dem kalkweißen Gesicht.
»Ja, Laura. Aber du hast doch keinen Grund, dich so aufzuregen. Beruhige dich bitte.«
Er nahm ihre Hände, drückte sie zärtlich und lächelte sie an dabei.
»Laura, ich kann jetzt verstehen, daß du dich in den Mann verlieben mußtest. Er war mir vom ersten Augenblick an sympathisch.«
»Aber für mich ist die Sache zu Ende. Ich will nicht mehr. Ich habe es überwunden. Ich habe Angst, Joachim.« Im selben Moment brach sie in Tränen aus.
Stephanie war aufgewacht. Sie hörten Frau Bauers singende Stimme. Das singende Sprechen hatte sie sich angewöhnt, aber nur, wenn sie sich mit Stephanie beschäftigte. Für gewöhnlich ärgerte Herr Poppel sich darüber, jetzt achtete er nicht einmal darauf. Im Augenblick war nur Laura wichtig.
»Warum hast du Angst, Laura? Bitte, sag’ es mir.«
Sie umklammerte seine Finger und schluchzte noch einmal verzweifelt auf.
»Verstehe doch, Joachim. Es geht um Stephanie. Stephanie gehört mir, sie ist mein Kind.«
»Aber, Liebe. Was redest du dir denn ein? Der Mann sieht nicht aus, als könnte er einem Menschen weh tun. Er wird dir doch nie das Kind fortnehmen, dazu hat er ja gar kein Recht.«
Jetzt schlug auch Joachims Herz angstvoll. Natürlich glaubte er diesen Unsinn nicht eine Sekunde.
»Nicht wegnehmen.« Das Zittern ihrer Hände hörte auf. »Aber als Vater wird er Rechte geltend machen, nicht einmal das könnte ich ertragen. Wo ist er jetzt? Wird er wiederkommen?«
»Heute nicht. Heute wartet er nur auf deinen Anruf.« Er musterte sie ängstlich. Ihr Gesicht sah wie versteinert aus.
»Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, ich kann nicht mit ihm sprechen«, rief sie abgehackt. »Ich muß erst ruhiger werden. Ich muß ihm selbstbewußt begegnen.«
Im Kinderzimmer kreischte Stephanie vor Wut, Frau Bauer schalt die Kleine liebevoll.
»Sie wird mit Stephanie einfach nicht fertig«, stellte Herr Poppel zufrieden fest.
Laura antwortete nicht. Ihre Ohren waren taub für ihre Umgebung. Sie lief durch das geräumige Wohnzimmer, es war ihr gar nicht bewußt, daß sie Dinge in die Hand nahm und sie zurückstellte.
Ihre Angst hielt sie gefangen.
Daß diese Angst nicht nur Stephanies wegen war, kam Laura nicht in den Sinn. Sie redete sich ein, glaubte es sogar, daß sie mit Julian und ihrer Liebe zu ihm längst abgeschlossen hatte. Daß sie sich selbst nicht traute, war ihr nicht bewußt.
Abrupt blieb sie stehen. Er musterte sie ängstlich. Die Sonne spielte auf ihren Haaren. Das Braun verwandelte sich in Gold, ein Schimmer davon flog über ihr Gesicht und ihren Augen, die vor Angst noch immer weit geöffnet waren.
»Joachim. Ich habe die Lösung. Bitte, bitte, sag ja. Wir werden einfach fortfahren.«
»Fortfahren? Du und Stephanie?«
Die Angst, die beiden