»Das hat uns Lauras Mutter schon gesagt. Haben Sie gut geschlafen?«
»Danke, sehr gut. Das liegt natürlich auch am Wein. Ich habe die ganze Flasche leer getrunken. Allein.« Er warf Laura einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Komm frühstücken, Harro. Mit nüchternem Magen kannst du dich nicht ans Lenkrad setzen. Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, dann muß ich auch los. Du mußt also entschuldigen, daß das ganze hier in der Küche über die Bühne geht. Wir haben natürlich auch ein Speisezimmer. Das müssen wir dir beim nächsten Mal präsentieren.«
Er wäre gern mit Laura allein gewesen. Wenigstens einige Minuten. Aber Laura hatte keine Zeit für ihn.
Sie hielt ihr Töchterchen auf dem Schoß. Herr Poppel betrachtete die beiden mit einem Blick, als hätte er noch nie Mutter und Tochter zusammen gesehen.
Herr Poppel goß ihm den Kaffee ein und reichte ihm die Brötchen. Für die gemütliche, ein wenig altmodisch eingerichtete Küche hatte Harro nicht einen Blick.
Auch darüber war Herr Poppel enttäuscht. Bisher hatte noch jeder Besucher diesen Raum bewundernswert gefunden. Laura und er hatten mit viel Mühe und viel Zeit Küchenmöbel aus der Gründerzeit zusammen getragen. Das Ergebnis war überwältigend.
Und dieser Mann hatte nicht einen Blick dafür.
Die Kleine strebte immer wieder dem Hund entgegen. Das Körperchen war in ständiger Bewegung.
»Gleich, Süße, erst ißt du das Ei und das Brötchen.«
Das Kind krähte empört und streckte hilfesuchend ihre Ärmchen Herrn Poppel entgegen.
»Sei doch nicht so streng zu ihr«, bat er. »Laura, du solltest deinem Gast noch das Bild von Stephanie zeigen, bevor er fahren muß. Mit dem Bild hat sie ein Meisterwerk geschaffen«, erklärte er Harro.
»Du willst uns nur fortlotsen, damit du Stephanie für dich hast. Vermutlich wird sie neben dem Hund frühstücken. Komm, Harro, gehen wir, wie ich sehe, hast du ja zu Ende gefrühstückt.«
Er gab der Kleinen nur einen Klaps auf die Wange, verabschiedete sich von dem Mann, bedankte sich und bat, häufig wiederkommen zu dürfen.
Er war froh, als er mit Laura die Treppe hinunter in das Geschäft gehen konnte.
»Laura«, murmelte er kummervoll. Für den sorgfältig eingerichteten Raum hatte er nicht einen Blick, er sah nur sie.
»Bezaubernd siehst du aus. Aber das blaue Kostüm – oder ist es grün? – macht dich auf seltsame Weise älter. Du solltest nicht so streng geschnittene Sachen tragen.«
Er wollte etwas ganz anderes sagen. Er versteckte seine Gefühle hinter Sachlichkeit.
»Aber das ist ja der Sinn der Sache«, lachte Laura. Sie lachte so unbeschwert, so fröhlich, als machte ihr der Abschied gar nichts aus. »Ich muß mich dort behaupten, mein Lieber. Da ist es leichter, wenn ich älter aussehe, als ich bin. Sie würden sonst versuchen, mich über den Tisch zu ziehen. Dort ist das Bild.«
Ein wenig befangen führte sie ihn in die Nische. Hinter einem alten Bücherschrank, der einmal in einem Kloster gestanden hatte, lehnte das Bild an der Wand.
Einen Moment verschlug es ihm wirklich den Atem.
»Das ist ja… ich habe gar nicht gewußt, Laura, daß du so eine Künstlerin bist. Das ist ja so lebendig, als wollte das Kind aus dem Rahmen spazieren. Laura, ich möchte es kaufen«, rief er impulsiv.
»Das geht nicht.«
Harros Kopf fuhr herum. Der Mann hatte ja eine gräßliche Angewohnheit, lautlos aufzutauchen.
»Morgen wird es für eine Ausstellung geholt. Ich habe es dir noch nicht gesagt, Laura. Gestern kam Herr Gutenberg, du kennst ihn. Er eröffnet Ende der Woche seine Galerie und suchte Bilder von jungen, unbekannten Künstlern. Er sah das Bild und war begeistert.«
»Aber ich möchte es kaufen«, beharrte Harro eigensinnig.
Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm, er spürte die Berührung kaum, es war, als hätte sie ein Schmetterling darauf gesetzt.
»Wohin willst du es denn hängen, Harro? Vielleicht in die Halle vom Lindenhof? Damit jeder sieht, daß Laura Wagenfeld eine Tochter hat?
Nein. Ich will dir gern ein Bild von mir schenken, ich habe einiges gemalt, ich weiß sogar, daß sie dir gefallen werden.«
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Ich muß sausen, sonst komme ich zu spät und bekomme keinen guten Platz. Wo hast du Stephanie gelassen?«
»Du kannst dir denken, wer bei ihr ist«, knurrte Joachim mürrisch. »Sie hat sie gleich mit ins Badezimmer genommen und mir angedroht, daß der Hund nicht eher in Stephanies Nähe kommen darf, bis ich ihm Flohpulver in sein Fell gestäubt habe. Als hätte der arme Kerl nicht schon genug mitgemacht.«
Laura brachte Harro zu seinem Auto. Es stand noch immer dort, wohin er es abgestellt hatte, bevor er wußte, wer ihm in dem Geschäft begegnete.
Irgendwie war es Harro, als wäre sein Leben plötzlich ein wenig aus den Fugen geraten.
»Fahre vorsichtig, Harro.«
»Du bist mit deinen Gedanken schon längst nicht mehr bei mir«, klagte er. »Dir ist die verdammte Versteigerung wichtiger als ich. Überhaupt habe ich nur die zweite Geige gespielt. Deine Tochter hat mich nicht einmal beachtet. Der Hund war eine starke Konkurrenz für mich.«
»Das bist du Armer natürlich nicht gewohnt«, verspottete sie ihn. »Wenn du wiederkommst, Harro, wird sie sich an den Hund gewöhnt haben.«
»Es sieht dir wirklich ähnlich, daß du mit dem Gedanken spielst, ihn als Familienmitglied aufzunehmen. Ein wenig verrückt warst du schon immer, Laura.«
»Darum vertrugen wir uns ja auch so gut. Meckere nicht, Harro, das paßt nicht zu dem wunderschönen Morgen. Fahr vorsichtig.«
Er umklammerte ihre Hand, als hätte er Angst, sie könnte davonlaufen, so wirkte sie nämlich.
»Wirst du dich freuen, wenn ich wiederkomme?«
»Natürlich, Harro, gute Freunde sind mir immer willkommen. Ich habe nur leider sehr wenige.«
»Ich will aber nicht einer unter vielen sein. Ich will wichtig, der Wichtigste für dich sein:«
»Ja, Harro, ich weiß, nie das Zweitbeste. Du mußt fahren, und ich auch. Es war schön, daß du gekommen bist.«
Energisch, sehr kraftvoll entzog sie ihm ihre Hand und küßte ihn auf die Wange.
Augenzwinkernd sagte sie: »Mehr darf ich in der Öffentlichkeit leider nicht riskieren. Hier haben die Fenster Augen, und ich bin als zurückhaltende Dame bekannt. Tschau, Harro. Mach’s gut.«
Und damit lief sie leichtfüßig davon, vor der Treppe drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm zu.
Und dann war sie hinter der hohen Glastür verschwunden.
*
»Mach bitte ein anderes Gesicht, Julian.« Helena Guddorf musterte ihn ärgerlich. Julians Gesicht wurde noch abweisender.
»Deine Vorliebe für Vernissagen geht mir langsam auf die Nerven.« Er schloß den Wagen ab. Helena hatte es geschickt verstanden, ihn dorthin zu dirigieren, wo der Bentley jedem ins Auge springen mußte.
»Sei doch nicht so.« Verliebt hängte sie sich an seinen Arm. Sie zeigte sich gern in Julians Gesellschaft. Nicht nur, weil er ein sehr gut aussehender Mann war, Julian Hartinger war in der kleinen Stadt eine bekannte Persönlichkeit. Um den Architekten Hartinger riß man sich. Leider nahm er nur wenige Einladungen an, zu Helenas