Erleichtert verließ Wendelin die Tierarztpraxis, überquerte den Marktplatz und machte sich auf den Weg zur Praxis des Landdoktors. Dort erwartete man ihn, und seine Wunde am Arm konnte sofort versorgt werden.
»Wie gut, dass der Fuchs Sie nicht gebissen hat, das wäre trotz der Tetanusimpfung eine ernste Sache«, sagte Sebastian erleichtert.
Die Fleischwunde wurde sehr sorgfältig gesäubert und verbunden, der Impfschutz kontrolliert, und Sebastian lieh Wendelin ein sauberes weißes T-Shirt, damit er nicht auch noch nach Hause zum Umziehen musste.
»Ich bin sehr froh, dass Sie die Falle entdeckt haben«, sagte der Landdoktor ernst. »Diese Art des Jagens ist besonders abscheulich und obendrein gefährlich. Man stelle sich vor, ein ahnungsloser Wanderer oder ein spielendes Kind tappt in so eine Falle! Wir müssen unbedingt etwas unternehmen.«
»Das werden wir«, antwortete Wendelin grimmig. »Unser Förster weiß schon Bescheid. ich treffe mich gleich mit Lorenz und der Polizei, und dann besprechen wir, was als nächstes zu tun ist. Wahrscheinlich ist das hier nicht die einzige ausgelegte Falle gewesen.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden. Wenn wir helfen können, sind wir mit dabei.« Sebastian entließ seinen Patienten mit einem kräftigen Händedruck.
»Danke, Doktor. Servus, bis übermorgen zum Verbandswechsel.« Wendelin verließ das Sprechzimmer und trat an die Anmeldung, um seine Versicherungskarte vorzulegen. Er musste einmal tief durchatmen, als er sah, dass Kathi dort stand und sich mit den beiden Sprechstundenhilfen unterhielt.
Sie trug einen kurzen hellblauen Jeansrock, ein weißes Trägershirt mit blauen Punkten und hatte ihre dunklen Locken im Nacken mit einem grünen Tuch zusammengebunden. An ihrem schmalen Handgelenk leuchtete ein Armband aus grünen Glassteinen, und ihre kurzen Fingernägel waren brombeerfarben lackiert. Wie so oft verschlug ihr Anblick Wendelin die Sprache.
Sie begrüßte ihn unbefangen und freundlich, und als sie seinen Verband sah, erkundigte sie sich mitfühlend nach seiner Verletzung. Wendelin erzählte kurz von der Falle, und Kathi schnappte vor Empörung nach Luft.
»Was für eine bodenlose Gemeinheit!«, grollte sie. »Der darf nicht ungestraft davonkommen, den müsst ihr erwischen, der Lorenz, du oder die Polizei.«
»Wir treffen uns gleich und schauen, was wir tun können«, gelang es Wendelin zu antworten.
Kathis Gesichtszüge wurden weich. »Ich drücke die Daumen, dass dein kleiner Fuchs es schafft. Du sagst mir Bescheid, gell? Und komm doch heut Abend zu uns auf den Hof, deine Brotzeit geht aufs Haus.« Ihr Lächeln war aufrichtig und warm. Ganz kurz legte sie ihre Hand auf seinen gesunden Arm und drückte ihn freundschaftlich. »Gute Besserung, Wendelin. Ich muss jetzt schnell weiter und meine Einkäufe erledigen, das Rezept für den Papa ist fertig.« Sie nahm das Papier, das Helferin Caro über den Tresen reichte, verabschiedete sich mit einem freundlichen Servus und lief leichtfüßig hinaus.
Wendelin erledigte seinen Papierkram und konnte noch immer nicht ganz glauben, dass Kathi ihn gebeten hatte, heute Abend in den Ausschank zu kommen. Er lächelte so versunken, dass er nicht bemerkte, wie sich eine andere Frau an den Tresen schlängelte und neben ihm aufbaute.
»So, da haben wir also einen Wilderer im Dorf«, bemerkte Burgl mit säuerlicher Genugtuung. »Eine Schande ist das!«
»Nein, ein Verbrechen«, entgegnete Wendelin ernst. »Und wir werden alles tun, um dem Kerl das Handwerk zu legen.«
»Du auch?«, fragte Burgl und musterte ihn aus schmalen Augen. »Dann mal viel Glück. Das werden die anderen brauchen.«
Wendelin tat so, als habe er ihre gehässigen Worte nicht gehört und verabschiedete sich aus der Praxis. Burgl schaute ihm missmutig hinterher, dann wandte sie sich an die beiden Frauen hinter dem Tresen. »Habt ihr auch gehört, dass Kathi Wendelin für heute Abend in den ›Gamsbart‹ eingeladen hat? Na, da wird sich der Papa aber freuen, ausgerechnet der Tagedieb Wendelin! Und verletzt will er sich haben, weil er einen Fuchs aus dem Fangeisen geholt hat? Schmarrn! Ich sag euch was«, Burgl sprach jetzt so laut, dass alle anderen im Wartezimmer sie hören konnten, »könnte doch sein, dass der Wendelin selbst der Fallensteller ist. Wenn er das Wildbret verkauft, hat er ein paar Euro mehr in der Tasche, und bei ihm sitzt das Geld doch immer locker. Das muss es auch, wenn er sich jetzt an die Kathi heranmacht. Sie kann ihn ja nicht immerzu einladen.«
Gerti Fechner, die wie eine Generalin über den Anmeldebereich wachte, räusperte sich drohend. »In dieser Praxis wird nicht getratscht, und erst recht werden keine falschen Behauptungen aufgestellt!«, sagte sie sehr energisch.
So schnell ließ sich Burgl nicht den Wind aus den Segeln nehmen. »Anstatt dem Wendelin seine rührende Geschichte zu glauben, sollten wir uns alle daran erinnern, wie er früher gewesen ist«, entgegnete sie herausfordernd.
Gerti schnappte sich eine der Lesemappen, die im Wartebereich auslagen, und drückte sie Burgl in die Hand. »Du magst doch sicher viel lieber draußen auf der Bank unter unserer Ulme warten als hier im warmen Zimmer«, sagte sie mit blitzenden Augen und schob die Frau Richtung Tür. »Wir sagen dir gern Bescheid, wenn du an der Reihe bist.«
Burgl war so überrascht, dass sie ausnahmsweise keine Worte fand und sich schweigend unter das grüne Blätterdach setzte und ihren Gedanken nachhing. Für sie war und blieb Wendelin ein Taugenichts und sie würde schon dafür sorgen, dass seine unrühmliche Vergangenheit nicht zu schnell in Vergessenheit geriet.
*
Den ganzen Tag über hatte Wendelin bei der Waldarbeit ein mulmiges Gefühl. Es war nicht auszuschließen, dass der Wilderer weitere Fallen ausgelegt hatte. Niemand konnte wissen, wo vielleicht schon das nächste Tier in Not geraten war. Außerdem hatte der Mann große Angst um seinen Hund. Er konnte nur inständig hoffen, dass Streuner instinktiv einen Bogen um eine Falle machte.
Ein wenig beruhigte ihn das Wissen, dass der Förster bereits eine Gemeindeversammlung einberufen hatte. Sie hofften auf freiwillige Helfer, die mit auf die Suche nach den heimtückischen Fangeisen gingen.
Und dann war da natürlich noch der Abend. Zum ersten Mal hatte Kathi ihn ausdrücklich gebeten, zum ›Gamsbart‹ zu kommen. Konnte man das eine richtige Verabredung nennen? Wohl kaum, aber es war besser als nichts.
Als Wendelin abends zum Hof kam, sah er, dass etliche Plätze belegt waren. Kathi, heute in einem hellblauen Dirndl mit dunkelblauer Schürze, lief eilig zwischen der Küche und dem gemütlichen Hofplatz hin und her. Als Kathi ihn sah, ging sie mit einem freundlichen Lächeln auf ihn zu.
»Wendelin, schön, dass du da bist. Heute haben wir gut zu tun, aber nachher setze ich mich noch zu dir. Magst du dich drüben unter die Linde zum alten Landdoktor und Traudel setzen? Der Lorenz kommt nachher auch noch auf einen Sprung vorbei«, sagte sie und wies auf einen Tisch, an dem ein älteres Paar saß.
Wendelin setzte sich mit dazu und wurde freundlich begrüßt. Benedikt Seefeld war der pensionierte Landdoktor und der Vater Sebastians, vor seinem Sohn hatte er in Bergmoosbach praktiziert. Die hübsche, ein wenig rundliche ältere Frau mit den warmherzigen dunklen Augen war Traudel Bruckner, seit Jahrzehnten die gute Seele im Doktorhaus.
Traudel schaute Wendelin mitfühlend an und sagte: »Die Nachricht ist wie ein Lauffeuer durchs Dorf gegangen, dass wir es mit einem Fallensteller zu tun haben. Wie geht es deinem Arm, Wendelin, und was macht der gerettete Fuchs?«
»Mein Arm ist gut versorgt und das Füchslein auch«, antwortete der Mann sichtlich erleichtert. »Die Tierärztin hat mich vorhin angerufen. Er ist jetzt auf der Wildtierstation im Forsthaus, und es geht ihm überraschend gut. Rieke meinte, er ist ein kleiner Kämpfer und wird es schaffen.«
Der ehemalige Landdoktor schaute ihn freundlich an. »Es scheint, als ob Sie sich mehr um den Fuchs sorgen als um Ihre eigene Verletzung. Sie sollten den Biss eines Wildtieres nicht unterschätzen,