Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
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gehabt und sich am Mund verletzt. Die Narbe, die sie davongetragen hatte, verunstaltete sie nicht, sondern sie wirkte eher wie ein aparter, kleiner Schmuck.

      Wenn Wendelin in Kathis lebhaftes Gesicht schaute, hatte er oft das Gefühl, dass sein Herz ins Stolpern geriet. Das hatte nichts mit der kleinen Narbe zu tun, sondern damit, dass sein Herz grundsätzlich seltsame Sprünge vollführte, wenn er Kathi begegnete. Wendelin versuchte tapfer, das zu ignorieren.

      Er mochte ein wenig schlicht sein, aber er war keineswegs dumm und wusste, dass eine Frau wie Katharina Stübl für ihn unerreichbar war. Deshalb tat er so, als interessiere ihn die Speisekarte sehr viel mehr als ein Gespräch mit der hübschen Kellnerin, und er bestellte sein Essen und das Feierabendbier mit knappen Worten.

      Auch die anderen hatten inzwischen ihr Abendbrot bestellt, ließen sich Bier oder leckere Saftschorlen schmecken und unterhielten sich. Dabei kam die Rede auch auf das Jagdschlösschen, das außerhalb Bergmoosbachs tief in den Wäldern lag.

      Dieses sogenannte Jagdschlösschen war alles andere als ein kleines Schloss, sondern vielmehr eine solide, große Jagdhütte aus Holz, die auf einem Fundament aus Feldsteinen ruhte. Es gab einige kleinere Nebengebäude, einen steinernen Brunnen mit Pumpe und einen gemauerten Außenkamin. Das urige Anwesen war vor über hundert Jahren von einem Adligen erbaut worden, der es für sich und seine Gäste als Unterkunft für die Jagdzeit nutzte. Später ging es durch mehrere Hände und war schließlich an die Gemeinde verkauft worden. Man konnte das Haus zu besonderen Anlässen mieten, aber meistens stand es leer.

      »Tja, das Jagdschlösschen«, sagte der Förster mit einem kleinen Seufzer. »Bisher macht es mehr Ärger, als dass es der Gemeinde etwas einträgt.«

      »Hat es denn wieder neuen Ärger gegeben?«, erkundigte sich Anna besorgt. »Zum Glück sind die Einbrecher vom Frühling an den massiven Fensterläden gescheitert. Wollte wieder jemand hinein?«

      »Das nicht, es hat sich wohl herumgesprochen, dass das sehr schwierig ist. Aber im Außenbereich ist allerhand losgewesen. Dort campieren oder randalieren immer wieder irgendwelche meist betrunkenen Idioten und lassen ihren Müll zurück. Wenn wir nicht einen so aufmerksamen Mitarbeiter wie Wendelin hätten, wären die Schäden unabsehbar. Vor zwei Tagen hat er einen Waldbrand verhindert.«

      Alle Augen richteten sich auf den Mann, der leicht verlegen mit den Schultern zuckte. »Eigentlich war es ja der Streuner, der die betrunkenen Ruhestörer und ihr Feuer entdeckt hat«, sagte er.

      »Jetzt sei mal nicht so bescheiden, Wendelin«, antwortete die Tierärztin resolut. »Wer hat denn das Feuer ausgetreten, das diesen Idioten außer Kontrolle geraten war, und hat dafür gesorgt, dass Polizei und Feuerwehr kamen? Bei der unglaublichen Trockenheit, die wir in diesem Sommer haben, war eine Brandwache unbedingt nötig, und die Fahrlässigkeit der Gruppe wird hoffentlich hart bestraft.«

      Kathi war inzwischen wieder an den Tisch getreten, ohne dass Wendelin sie bemerkt hatte. Sie stellte die Bretter mit der Brotzeit ab und legte ihm unvermutet eine Hand auf die Schulter.

      »Danke dir, Wendelin. Ein Waldbrand bei dieser Dürre und Hitze wäre kaum zu kontrollieren gewesen.« Ihr Gesichtsausdruck war ernst und gleichzeitig freundlich, und Wendelins Herz machte mal wieder einen dieser seltsamen Sprünge. Er lächelte, sagte aber nichts.

      »Ich finde es gar nicht gut, dass das Haus immer wieder für lange Zeit leer steht. Die Zeiten haben sich geändert, viele Menschen scheinen dreister und verantwortungsloser geworden zu sein. Diese Probleme mit Vandalismus und Einbrüchen hatten wir doch früher nicht«, fuhr Kathi fort.

      »Das hat sich der Gemeinderat sicher anders vorgestellt, als damals das Jagdschlösschen gekauft wurde«, stimmte Sebastian zu.

      »Ist es denn jetzt wieder vermietet?«, fragte Anna. »Seit der Wandergruppe, die über Pfingsten dort gewesen ist, habe ich nichts über neue Besucher gehört.«

      »Doch, gerade jetzt ist es wieder vermietet worden und zwar an einen gewissen Gisbert von Acker. Er ist ein Münchner Industrieller, der mit seinen Freunden jagen gehen will«, antwortete Lorenz und verzog leicht das Gesicht.

      »Wahrscheinlich eine Gruppe reicher Hobbyjäger, die hier in der Gegend rumballern«, grollte seine Frau, die Tierärztin.

      »Wie gut, dass wir dich haben, Förster, und dich, Wendelin«, sagte Kathi energisch und gab beiden einen kleinen, freundschaftlichen Klaps gegen die Schulter. »Ihr werdet diese Jagdgesellschaft schon im Auge behalten, gell?«

      »Worauf du dich verlassen kannst!«, antwortete Wendelin nachdrücklich.

      Der Blick ihrer dunklen Augen lag wie eine warme Berührung auf seinem Gesicht.

      »Das tue ich«, erwiderte Kathi ernsthaft. Sie drehte sich schwungvoll um und ging mit raschen Schritten weiter zum nächsten Tisch.

      Die Freunde unterhielten sich noch weiter über die neue Gästegruppe, die Dürre dieses Sommers und dann über andere, erfreulichere Themen. Allmählich senkte sich die Dämmerung über die Wälder, und über dem majestätischen Alpenpanorama im Hintergrund erhob sich die Mondsichel. Der Nachtwind brachte eine angenehme Kühle mit sich.

      »Ich glaube, für uns wird es allmählich Zeit«, sagte Sebastian und legte seinen Arm um Anna. »Wir geben morgen ein Seminar an der Uniklinik über hausärztliche Versorgung im ländlichen Bereich und müssen früh los. Gute Nacht, alle miteinander.«

      Das Paar brach auf, und kurze Zeit später verabschiedeten sich auch Lorenz und seine Frau Rieke. Wendelin blieb allein unter dem Lindenbaum zurück und hing schweigend seinen Gedanken nach.

      Er neidete seinen verheirateten Freunden ihr Glück nicht, das sie als Paare gefunden hatten, und er war gern mit ihnen zusammen. Trotzdem fühlte er gerade nach einem schönen Treffen besonders stark, dass er allein war. Im Laufe der letzten Zeit war eine große Veränderung mit Wendelin Deggendorf geschehen, und er ging dem wirklichen Leben nicht mehr mit hohlen Sprüchen und blöder Angeberei aus dem Weg. So großkotzig er früher aufgetreten war, so ruhig und realistisch war er heute. Er wusste, dass sein Traum von Kathi nur ein Traum bleiben würde. Aber immerhin übersah sie ihn nicht und vorhin hatte sie sogar gesagt, dass sie sich auf ihn verlasse. Er nahm sich fest vor, sie nicht zu enttäuschen.

      Wendelin blickte auf und bemerkte, dass es über seinen Grübeleien ganz dunkel geworden war. Fast alle anderen Gäste hatten ihre Plätze verlassen, und die meisten Tische waren bereits abgeräumt. Auch für Kathi würde der nächste Tag sehr früh beginnen, und es war an der Zeit, dass die Arbeit im Ausschank für heute endete. Rücksichtsvoll trug Wendelin sein Geschirr zur Spülküche hinüber, durch deren geöffnete Tür und Fenster Licht auf den Hofplatz fiel. Er hörte das Klappern von Geschirr und Burgls nörgelnde Stimme, die auf Kathi einredete. Der Mann wollte nur seinen Teller auf den Tisch neben der Tür stellen und wieder gehen, als er seinen Namen hörte. Zögernd blieb er stehen und lauschte den beiden Stimmen in der Spülküche.

      »Und ich kann dich nur vor dem Wendelin warnen. Der ist und bleibt ein Aufschneider und Faulpelz mit dummen Ideen im Kopf«, sagte Burgl gerade.

      »Du brauchst mich nicht zu warnen, weder vor dem Wendelin noch vor irgendeinem anderen. Ich bin eine erwachsene Frau und kann auf mich selbst aufpassen«, entgegnete Kathi mit klarer, kühler Stimme.

      »Ha, das möchte ich sehen«, giftete Burgl. »Du hast nicht einmal gemerkt, wie oft sich der Wendelin in letzter Zeit hier herumtreibt. Wer weiß, was der im Kopf hat, dieser verhinderte Playboy und eingebildete Casanova.«

      Unwillkürlich musste Kathi lachen, sowohl über die altmodischen Worte, als auch über die seltsamen Gedanken der älteren Frau. »An Wendelin erinnert nun wirklich nichts an einen Playboy. Ich frage mich, wo du deine Augen hast, Burgl. Wendelin ist ein völlig durchschnittlicher Mann, an dem nichts besonders auffällt, und sein Benehmen ist doch eher zurückhaltend. Außerdem ist er keineswegs ein Faulpelz, sondern er macht die Ausbildung zum Forstwirt, und Lorenz Breitner verlässt sich blind auf ihn.«

      »Zum Waldarbeiter hat es der Wendelin Deggendorf also gebracht«, stellte Burgl gnadenlos fest. »Und weißt du noch, welche großen Töne er früher gespuckt