Der neue Landdoktor Box 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980641
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kommst du jetzt darauf?«, fragte Sebastian.

      »Weil dort schon wieder jemand herumsitzt.«

      »Entschuldige mich.«

      »Wir frühstücken, Papa«, verkündete Emilia mit vorwurfsvollem Blick, als Sebastian aufstand.

      »Ich bin gleich zurück«, sagte er. Wer sich so früh auf den Weg zu ihm machte, den musste etwas Ernsthaftes quälen.

      Er ging um das Haus herum und lief den weißen Kiesweg entlang, der zu dem hellen Backsteinbau im Hof führte, in dem die Praxis untergebracht war. Ein gepflasterter Weg, breit genug, damit auch ein Krankenwagen ihn passieren konnte, verband den Hof mit der Straße.

      Vor dem Eingang der Praxis standen zwei weiße Holzbänke, die von den Patienten im Sommer als Wartezimmer genutzt wurden. Er hatte keine Ahnung, was Emilia gesehen hatte, aber an diesem Morgen waren die Bänke noch leer. Er wollte schon wieder gehen, als er die Frau wahrnahm, die im Schatten der alten Ulme stand, die einen Teil des Hofes mit ihrer Krone überdachte. Er hatte den Eindruck, als wollte sie sich vor ihm verbergen.

      »Guten Morgen, Frau Mechler«, sagte er, als er sie erkannte.

      »Guten Morgen, Doktor Seefeld«, entgegnete sie leise und machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich weiß, es ist noch recht früh, gehen Sie nur zu Ihrer Familie, ich wollte gar keine Aufmerksamkeit erregen.«

      »Das ist in Ordnung, Frau Mechler, ich nehme mir ein paar Minuten Zeit, setzen Sie sich.« Sebastian war nicht entgangen, dass sie mit den Tränen kämpfte, so konnte er sie unmöglich allein lassen. »Was haben Sie, Frau Mechler?«, erkundigte er sich, nachdem sie auf der Bank Platz genommen hatte.

      »Mit dem Schlafen klappt es nicht mehr, Herr Doktor, jede Nacht liege ich wach und denke an meinen Josef. Er ist doch vor einem halben Jahr von uns gegangen, wissen Sie. Kinder haben wir ja keine und sonst ist da auch niemand, der mir wirklich nahe steht. Manchmal weiß ich gar nicht mehr, was ich noch auf dieser Welt soll.«

      »Weinen Sie nur, lassen Sie Ihren Kummer erst einmal heraus, wir werden schon etwas finden, was ihre Traurigkeit vertreibt.« Sebastian setzte sich neben Frau Mechler und hielt ihre Hand, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. Er wusste, wie weh es tat, den Menschen an seiner Seite zu verlieren. Er konnte sich genau daran erinnern, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegzog, als die Polizei ihn damals aus dem Bett klingelte und er von dem Unfall erfuhr, der Helene das Leben gekostet hatte. »Wissen Sie, Frau Mechler, Sie haben noch so viel Liebe zu verschenken, und es gibt bestimmt Menschen, die diese Liebe gern annehmen würden. Das ist doch ein Grund, um noch ein wenig Zeit auf dieser Erde zu verbringen«, sagte er und drückte sanft ihre Hände. »Sie dürfen nicht mehr so viel allein sein, das ist das Wichtigste.«

      »Weil die Gedanken dann immer kreisen, ich weiß.«

      »Was meinen Sie, wollen wir beide darüber nachdenken, wie wir Ihre Lage verbessern können?«

      »Sie meinen, es wartet noch ein wenig Freude auf mein altes Herz?«, fragte Frau Mechler, und als sie Sebastian anschaute, zeigte sich ein schüchternes Lächeln auf ihrem Gesicht.

      »Wir finden etwas, ganz sicher.«

      »Danke, Herr Doktor Seefeld, ich fühle mich schon ein bisschen leichter. Was doch so ein paar Worte ausmachen können.«

      »Das ist der Sinn der Sprechstunde, in vielen Fällen ist ein Gespräch immer noch die beste Therapie.«

      »Das hat Ihr Vater auch immer gesagt. Wissen Sie, gerade die älteren von uns hatten ihre Bedenken, ob ein junger Arzt sich überhaupt noch die Zeit für Gespräche nehmen wird. Heutzutage muss doch alles schnell gehen, und dann diese vielen Geräte, an die sie uns anschließen und die uns durchleuchten.«

      »Manchmal lässt sich das nicht vermeiden.«

      »Ich weiß, aber zuerst kommt das Gespräch.«

      »So werden wir es auch weiterhin halten«, versicherte Sebastian seiner Patientin.

      »Grüßen Sie Ihren Herrn Vater von mir.«

      »Das mache ich gern, und wir sehen uns in den nächsten Tagen wieder, um über unser gemeinsames Vorhaben zu sprechen.«

      »Sie meinen, dass ich etwas finde, was mir Freude macht?«

      »Das meine ich, Frau Mechler, also dann, auf bald.«

      »Auf bald, Herr Doktor.«

      »Du machst das gut, mein Junge.« Benedikt Seefeld ging aus alter Gewohnheit noch immer jeden Morgen vor dem Frühstück erst einmal in den Hof, um ein paar Worte mit den Leuten zu reden, die dort auf den Beginn der Sprechstunde warteten.

      »Beobachtest du mich etwa, Vater?«, fragte Sebastian.

      »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.«

      »Du kannst es nicht lassen, nicht wahr?«

      »Nicht so ganz«, gab Benedikt schuldbewusst zu.

      »Deine Patienten vermissen dich auch, besonders die älteren Damen. Frau Mechler hätte sich sicher auch gern mit dir unterhalten, sie lässt dich übrigens grüßen.« Sebastian konnte verstehen, dass die Damen seinen Vater vermissten. Er war eine beindruckende Erscheinung, groß und sportlich, mit silbergrauem Haar, dunklen Augen und einem Lächeln, dem so manche nur schwer widerstehen konnte.

      »Einige brauchen eben noch eine Weile, bis sie sich an dich gewöhnt haben, aber ich denke, die meisten sind bereits recht zufrieden mit dir.«

      »Wenn das nicht so wäre, dann wäre dein Plan gescheitert.« Sebastian wusste sehr gut, dass sein Vater sich nicht allein aus Altersgründen aus der Praxis zurückgezogen hatte. Er hatte gehofft, ihn und Emilia auf diese Weise dazu zu bringen, dass sie nach Bergmoosbach zurückkehrten, und damit hatte er letztendlich auch Erfolg gehabt. »Sie vermisst dich auch«, sagte er und winkte Gerti Fechner, die von der Straße heraufkam.

      Gerti war die Sprechstundenhilfe der ersten Stunde in der Praxis Seefeld. Dreißig Jahre lang hatte sie Benedikt tatkräftig unterstützt, und nun ließ sie Sebastian, den sie hatte aufwachsen sehen, an ihrer Erfahrung teilhaben und umsorgte ihn mit der gleichen mütterlichen Zuneigung wie Traudel.

      Gerti liebte deftiges Essen und hausgemachte Kuchen, und im Laufe der Jahre war sie dabei recht rundlich geworden. Aber das bremste sie nicht aus. Mit flottem Schritt marschierte sie den Weg von der Straße herauf. Alles an Gerti strahlte Ordnung aus. Das kurze dunkle Haar war akkurat gekämmt, der graue Faltenrock, die weiße Bluse gestärkt und gebügelt, die schwarzen Halbschuhe poliert und sogar die betagte braune Umhängetasche schien gründlich gewienert.

      »Guten Morgen«, sagte sie mit einem fröhlichen Lächeln, und in ihren hellblauen Augen zeigte sich ein Strahlen, als sie ihre beiden ›Doktoren‹, wie sie Vater und Sohn nannte, voller Zuneigung ansah.

      »Guten Morgen, Gerti«, antworteten Sebastian und Benedikt und erwiderten ihr Lächeln.

      »Ich habe gerade die Mechler Pia getroffen. Sie war geradezu euphorisch, dass du die Open-Air-Sprechstunde vom Herrn Doktor fortsetzt«, wandte sie sich direkt an Sebastian, den sie außerhalb der Praxis duzte, weil sie ihn schon als Kind gekannt hatte.

      »Ich habe auch nicht vor, sie abzuschaffen. Ich halte sie für eine gute Einrichtung.«

      »Mei, Herr Doktor, das hätten Sie ihm schon ausreden sollen. Oder wird die Zeit jetzt aufgeschrieben, damit ich was zum Abrechnen habe?«, fragte Gerti und schaute Benedikt abwartend an.

      »Wir plaudern doch nur ein wenig mit den Nachbarn, Gerti«, verteidigte Benedikt Sebastian und sich. »Sobald jemand die Praxis betritt, kann er ohnehin nicht mehr an dir vorbei.«

      »Zum Glück, sonst könnten wir bald Konkurs anmelden.«

      »Solange wir dich haben, passiert das sicher nicht«, sagte Sebastian, legte den Arm um Gertis Schultern und drückte sie liebevoll an sich.

      »Du machst mich ganz verlegen«, murmelte sie.

      »Und solange ich hier im Haus bin, werden