Der neue Landdoktor Box 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980641
Скачать книгу
die Frau im roten Dirndl, und die anderen stimmten ihr sofort zu.

      *

      Anna hatte nicht gut geschlafen. Sie hatte von Sebastian geträumt, obwohl sie das gar nicht wollte. Irgendwie musste sie lernen, mit ihren Gefühlen für ihn umzugehen, ohne dass sie darunter litt.

      Wirklich zu lieben bedeutet, bedingungslos zu lieben, sonst ist es keine Liebe, hatte ihre Mutter ihr erklärt, als sie dreizehn war und zum ersten Mal Liebeskummer hatte. Es hatte ihr geholfen, diese Liebe, die nur eine Schwärmerei war, schnell zu überwinden. Vielleicht war das, was sie für Sebastian empfand, ja auch nur eine Schwärmerei, die bald vorüberging. Ja, vermutlich ist es so, redete sie sich ein, schob die Gedanken an ihn zur Seite und bereitete sich auf ihren Besuch auf dem Mittnerhof vor, den sie an diesem Vormittag geplant hatte.

      Es war ihr eine große Freude, als sie dort feststellte, dass Pia Mechler alles im Griff hatte. So zufrieden hatte sie Pia schon lange nicht mehr gesehen, und auch Sabine, Anton und die Kinder waren mit ihrer Oma ganz offensichtlich glücklich. Pia hatte Anton sogar dazu überreden können, in seinen Hof investieren zu dürfen, weil sie der Meinung war, dass ihr Erspartes dort besser angelegt sei als auf der Bank.

      Nach ihrem Besuch bei den Mittners stellte sich Anna unter die Dusche, zog das hübsche Sommerkleid mit den gelben und weißen Punkten an und verließ mit ihrem Einkaufskorb das Haus, um einige Besorgungen zu machen. Aber wo sie auch hinging, überall hatte sie das Gefühl, dass die Leute hinter ihrem Rücken über sie sprachen. Zuerst fiel es ihr in der Bäckerei auf.

      Therese, die Vorsitzende des Landfrauenvereins, und einige Kundinnen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, als sie hereinkam, hielten dann inne und setzten ihre Unterhaltung, nachdem sie ihre Einkäufe erledigt hatten, vor dem Bäckerladen fort. Auch in der Drogerie und im Lebensmittelladen am Marktplatz hatte Anna den Eindruck, dass irgendetwas im Gange war, worüber man mit ihr aber nicht sprechen wollte.

      Kaum war sie wieder zu Hause, läutete das Telefon. Es folgte Anruf auf Anruf, bis alle Frauen, die an ihren Kursen teilnahmen, mit fadenscheinigen Ausreden die nächste Stunde abgesagt hatten.

      »Was ist hier los?«, sagte sie laut, um sich Luft zu machen.

      Sie zuckte zusammen, als es wenig später an der Haustür klingelte. Zu ihrer Verblüffung war es Emilia, die sie besuchen wollte.

      »Du siehst wundervoll aus«, stellte sie mit ehrlicher Bewunderung fest, als das Mädchen gleich darauf die Treppe heraufkam.

      Emilia trug ein knielanges Sommerkleid in den Farben des Regenbogens, dazu rote Ballerinas, und ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. »Opa ist schon in Panik, dass ich mich plötzlich als modebewusstes Mädchen zu erkennen gebe. Er befürchtet, dass ich demnächst wilde Partys in unserem Haus veranstalte, um ein bisschen anzugeben«, erklärte sie lachend.

      »Was führt dich zu mir, Emilia?«, fragte Anna, während sie ihr die Tür aufhielt.

      »Ich war gerade in der Drogerie und habe mir eine Sonnencreme gekauft.«

      »Und?«, hakte Anna nach, als Emilia sich in der Küche auf einen Stuhl fallen ließ und nachdenklich mit dem Zeigefinger über die Tischplatte fuhr.

      »Die strenge Therese, die vom Landfrauenverein, war dort. Sie hat an der Kasse gestanden und behauptet, dass du Sabine und ihr Kind in Lebensgefahr gebracht hast. Und alle, die dort waren, haben ihr andächtig zugehört. Dann hat sie mich gefragt, ob ich mehr darüber weiß.«

      »Du hast doch nichts dazu gesagt?«

      »Doch, habe ich.«

      »Und was?«

      »Dass es besser ist, sich über einen Sachverhalt erst einmal schlau zu machen, bevor man Gerüchte in die Welt setzt. Das hat sie aber nicht interessiert. Sie hat immer weiter gegen dich gehetzt und von Querlage und Notfallkaiserschnitt geplappert. Und unten vor der Apotheke steht diese biestige Elvira und redet denselben Unsinn.«

      »Jetzt weiß ich wenigstens, was los ist. Danke, Emilia«, sagte Anna und erzählte dem Mädchen von den Tuscheleien, die ihr nicht entgangen waren.

      »Woher wissen die, was auf dem Mittnerhof los war?«

      »Ich denke, von Miriam. Wir haben sie doch gestern auf dem Hof getroffen. Sie muss zugehört haben, als Sebastian und ich darüber sprachen, dass solch ein Notfall in Zukunft verhindert werden muss.«

      »Offensichtlich hat sie ein Gespür dafür, in dem für sie richtigen Moment aufzutauchen. Aber wie auch immer, du musst die Sache aufklären, Anna.«

      »Wie? Ich kann die Mittners doch nicht bloßstellen.«

      »Diese dumme Schweigepflicht, ich weiß.«

      »Sie hat schon ihre Berechtigung, Emilia.«

      »Aber nicht in diesem Fall.«

      »Doch, auch in diesem Fall. Es ist die Entscheidung der Mittners, was sie von sich preisgeben.«

      »Was wäre die Konsequenz?«

      »Eine Freundin von mir hat vor kurzem eine Hebammenpraxis in München eröffnet, vielleicht kann sie mich dort gebrauchen.«

      »Du denkst ans Fortgehen?«

      »Wenn mir hier niemand mehr vertraut, habe ich keine Wahl.«

      »Du vielleicht nicht, aber andere schon.«

      »Wo willst du hin?!«, rief Anna dem Mädchen nach, das aufsprang und aus der Wohnung stürmte.

      *

      Sabine war auf dem Rasen hinter dem Haus und hängte Wäsche auf, als Emilia den Mittnerhof erreichte.

      »Hey, Emilia, waren wir verabredet?«, fragte Markus, der in Jeans und weiß-blau kariertem Hemd auf dem Scheunendach stand und mit dem Holz, das sie noch besaßen, das Dach ausbesserte.

      »Ich muss etwas klären«, antwortete Emilia und strich ihren verschwitzten Pony aus der Stirn, während sie von ihrem Rad stieg.

      »Was musst du klären?«, wollte Markus wissen, der die Leiter herunterstieg.

      »Es geht deine Eltern an«, sagte Emilia und ging auf Sabine zu, die hinter den im Wind flatternden Bettlaken hervorschaute und ihr freundlich zunickte.

      »Was ist los?«, fragte Sabine.

      »Sie wollen, dass Anna das Dorf verlässt«, sagte Emilia und erzählte ihr und Markus, was passiert war.

      »Die arme Anna«, seufzte Sabine.

      »Wir sollten sofort ins Dorf fahren, um die Sache richtig zu stellen«, schlug Markus vor.

      »Nein, Junge, wir müssen eine andere Lösung finden«, widersprach Anton, der in diesem Moment mit der Tasse Kaffee am Küchenfenster stand, die er sich wie immer am Nachmittag zu Hause gönnte.

      »Welche Lösung soll das sein, Pa­pa?«

      »Das weiß ich noch nicht.«

      »Wie wäre es einfach mit der Wahrheit?«

      »Nein«, sagte Anton und schüttelte den Kopf. »Wir werden uns eine andere Geschichte ausdenken, irgendetwas wird uns schon einfallen. Ich werde uns aber auf keinen Fall dem Gespött der Leute aussetzen.«

      »Das heißt, du willst Anna opfern, damit du den Schein bewahrst? Gute Idee, Papa.«

      »Ich will Anna helfen, das ist doch nicht die Frage.«

      »Dann warte nicht, tu etwas.« Markus‘ sonst so fröhliche Miene verfinsterte sich, und seine hellen Augen erschienen auf einmal ganz dunkel.

      »Er schämt sich, lass ihn«, versuchte Emilia, den Jungen zu beruhigen. »Vielleicht hat ja mein Vater eine Idee, was wir tun könnten.«

      »Gut, fahren wir zu ihm«, antwortete er und wandte sich von Anton ab.

      »Wo wollen die beiden denn hin?«, fragte Pia, die mit Bastian im Kinderwagen und den Zwillingen von einem Spaziergang zurückkam, als Emilia und Markus