»Wenn ich dich nicht hätte«, murmelte er, mehr nicht. Aber sie wußte, was er damit sagen wollte und es machte sie in all ihrem Kummer glücklich.
*
Michelle lag in ihrem Bett und starrte zur Decke, an die das sanfte Licht der Stehlampe bizarre Schatten warf.
Sie mußte unwillkürlich denken, wie Carlos wohl aussah, wenn er am Roulettetisch saß und verlor. Sie war nie mit ihm zusammen in einem Casino gewesen. Er hatte es wohl vor ihr verheimlichen wollen, wenn er verlor.
Und wie würde ihr zumute sein, wenn sie verlieren würde? Geld hatte für sie keine entscheidende Bedeutung. Es war gut, es zu haben, aber sie neigte nicht dazu, immer mehr haben zu wollen. Dann wanderten ihre Gedanken zu Jenna. Wie hatte sie sich über das Kleid gefreut! Das machte Michelle froh.
Jenna hatte wohl auch mehr vom Leben erwartet, als hier das Mädchen für alles für betuchte Leute zu sein, die selten freundlich mit ihr sprachen. Michelle wußte aus Erfahrung, wie dumm Jenna manchmal angeredet wurde, wenn etwas zu beanstanden war, für das sie wirklich nicht zuständig war. Plötzlich überkam Michelle bei allen Gedanken der Schlaf, und sie schlief bis in den nächsten Vormittag hinein.
Die Sonnenstrahlen tanzten über ihre Bettdecke, was bedeutete, daß es schon auf Mittag zuging, denn ihre Wohnung lag zur Südseite.
Sie erinnerte sich sofort an ihre Verabredung mit Jenna, aber bis zum Abend hatte sie ja noch viel Zeit. Sie genoß ein Bad in duftendem Wasser, hüllte sich dann in einen weichen Frotteemantel und legte sich auf die sonnenüberflutete Terrasse. Aber bald verspürte sie ein Hungergefühl, wie sie es schon lange nicht mehr kannte.
Sie rief Jenna an und bat sie, ihr einen kleinen Brunch aus dem Restaurant heraufzuschicken.
»Sie können mit den Leuten besser reden, Jenna. Ich mag nur ein paar Kleinigkeiten, nicht gleich ein Büfett, leichte Sachen, Kaffee und Wasser. Und nicht vergessen, daß wir für den Abend verabredet sind.«
»Ich freue mich schon darauf«, sagte Jenna.
Michelle betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht hatte schon ein bißchen Farbe. Sie mußte sehr aufpassen, das wußte sie. Dunkle Bräune liebte sie nicht, und ihre Haut war so zart, daß sie leicht einen Sonnenbrand bekam.
Sie war bester Stimmung, keine Beschwerden, sie fühlte sich einfach wohl.
*
Carlos Dorant hatte Beschwerden, wie er sie vorher noch nie gekannt hatte. Und er hatte auch Ärger. Nichts wollte klappen, und seine Stimmung hatte den Nullpunkt erreicht.
Seine Favoritin Nadine hatte sich einem feurigen und zudem auch noch sehr reichen Spanier zugewandt, und das erzürnte ihn erst recht.
Also wanderten seine Gedanken mal wieder zu Michelle, wie immer, wenn er sich vom Schicksal ungerecht behandelt fühlte. Er rief an, und sein Zorn verstärkte sich, als er hörte, daß Michelle verreist sei. Marie sagte dazu sehr barsch, daß Sie nicht wisse, wo sich Michelle jetzt aufhielt.
Philipp anzurufen wagte Carlos nicht. Er hatte jetzt tatsächlich Angst, daß er hören würde, Michelle wolle sich von ihm trennen. Gab es da doch einen anderen Mann? Gar zu gern wollte er jetzt etwas herbeizaubern, was seine eigenen Verfehlungen rechtfertigen könnte. Er hatte nichts gegen eine Scheidung, wenn für ihn dabei nur recht viel herausspringen würde. Eigentlich war er für eine Ehe gar nicht geschaffen. Er wollte seine Freiheiten und vor allem keine Frau, die ihre eigenen Ansichten über Liebe und Moral hatte. Er hatte gedacht, daß Michelle leichtlebiger wäre. Und nun war sie auch noch schwanger, das war ein geradezu entsetzlicher Gedanke für ihn. Er haßte Kindergeschrei, er mochte Kinder überhaupt nicht, und gerade dieser Film, den er jetzt drehte, drohte zu scheitern, weil er keine Einstellung zu den mitspielenden Kindern finden konnte.
Es mußte ihm mulmig werden, denn für ihn stand auch eine ganze Menge Geld auf dem Spiel.
Er trank hastig drei Whisky, aber das besserte seine Stimmung auch nicht. Das Gegenteil war der Fall, ihm wurde es übel, was er sonst auch nicht so schnell kannte. Er legte sich auf die Terrasse, wie es Michelle zur gleichen Zeit auch tat, aber ihre Gedanken trafen sich nicht, sie waren sogar weit voneinander entfernt. Carlos schwanden die Sinne. Ihm war es noch, als falle er in ein tiefes schwarzes Loch, dann wußte er nichts mehr.
Michelle hatte indessen beschlossen, einen Einkaufsbummel zu machen, denn mittlerweile hatte der Uhrzeiger die Drei schon verlassen und in den Straßen ging es wieder lebhaft zu.
Sie schaute erst noch bei Jenna hinein, die gerade telefonierte, aber gleich die Hand auf die Muschel hielt.
»Ich gehe jetzt bummeln, kann ich etwas für Sie mitbringen, Jenna?« fragte Michelle gutgelaunt.
Jenna wurde wieder sehr verlegen. »Nein, danke, ich brauche nichts. Hier gibt es mal wieder Ärger.« Sie deutete auf das Telefon.
»Wir reden heute abend darüber«, sagte Michelle und verschwand. Ich werde mir schon etwas für Jenna einfallen lassen, dachte sie.
Sie kaufte aber nur wenig ein. Nichts wollte ihr so recht gefallen, und sie wurde schnell des Schauens müde. Sie setzte sich in ein Café, weil sie plötzlich Appetit auf Eis bekam. Schräg von ihr saß ein gutaussehender Mann allein an einem Tisch, der sie fasziniert anblickte, dann aufstand und an ihren Tisch kam. Sie hatte ihn nicht bemerkt und erschrak, als er ihren Namen nannte.
»Ich kann es nicht glauben, Michelle, dich hier zu treffen«, sagte er.
Michelle sah ihn irritiert an. »Mick, bist du das wirklich?« staunte sie. »Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«
»Sechs Jahre mag das schon her sein. Jedenfalls warst du noch ein Teenager.«
»Und du schon ein gestandener Mann«, lächelte sie.
»In deinen Augen ein alter Herr«, meinte er neckend.
Sie errötete, denn sie hatte das tatsächlich mal gesagt. Und Jetzt war sie mit einem Mann verheiratet, der noch ein paar Jahre älter war als Michael Valerian. Und der wirkte jetzt bedeutend jünger. Er war ein interessanter Mann.
»Was machst du hier allein?« fragte er. »Ich habe kürzlich gelesen, daß du geheiratet hast.« Aus seinem Mund klang es wie ein Vorwurf.
»Carlos filmt in Spanien, ich mache hier ein paar Tage Urlaub. Und du?«
»Ich bin halb geschäftlich hier. Ich habe nach dem Tod meines Vaters das Geschäft übernommen.«
»Immobilien und Kapitalanlagen, wenn ich mich recht erinnere. Da bist du hier ja richtig«, lächelte Michelle. »Ich nehme an, daß die Geschäfte gut gehen.«
»Eure wohl auch. Philipp hat sich bereits einen Namen gemacht…«
»Lebst du in München?«
»Zeitweise. Ich pendele zwischen London, New York und hier hin und her.«
»Und nicht verheiratet?« fragte sie.
»Keine Zeit, und welche Frau möchte solch unruhiges Leben schon teilen.«
»Du magst recht haben. Es ist nicht gut, wenn ein Partner immer unterwegs ist.«
»Bist du glücklich, Michelle?« fragte er.
Sie blickte in seine klugen grauen Augen, und sein Blick traf sie bis ins Innerste. »Nein, das kann ich nicht sagen«, erwiderte sie. »Diese Heirat war ein großer Fehler, aber solche Erkenntnisse kommen meist zu spät.«
»Es tut mir leid, wenn du enttäuscht bist.«
»Es war ein Fehler, aber da muß ich durch.«
Er blickte auf seine Armbanduhr. »Ich habe jetzt leider einen Termin, Michelle. Können wir uns abends sehen?«
»Ich gehe mit einer Bekannten ins Casino, das steht schon fest.«
»Dann sehen wir uns vielleicht dort. Wo bist du sonst zu erreichen? Ich würde dich