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Michelle kam zu sich. Sie schlug die Augen auf und sah Jenna verwirrt an.
»Was ist passiert?« fragte sie heiser.
»Wir mußten dich ins Hospital bringen. Du wurdest ohnmächtig.« Jenna wollte die Stimme auch nicht gehorchen. Sie mußte sich zweimal räuspern.
»Mir ist immer noch komisch«, sagte Michelle. »Ich hätte doch noch mal zu Dr. Norden gehen sollen.«
ihr Verstand war hellwach, das spürte Jenna gleich. »Du hattest eine Fehlgeburt, Michelle. Ich sage es dir lieber gleich.«
Michelle atmete tief durch. »Das macht alles leichter. Es sollte so sein.«
Dr. Duforet trat ein. Er hatte inzwischen die Laborbefunde gefaxt bekommen und konnte sich nun ein Bild machen. Er war jedoch überrascht, Michelle wach vorzufinden und er wurde leicht verlegen unter dem Blick ihrer großen fragenden Augen. Er stellte sich vor.
»Tut mir leid, daß ich Sie zu nächtlicher Stunde in Atem gehalten habe«, sagte Michelle.
»Es ist mein Beruf, und Sie sind kein Einzelfall«, erwiderte er stockend. Er war irritiert und zugleich auch fasziniert, denn noch nie hatte er eine Patientin kennengelernt, die trotz ihrer schweren Krankheit eine solche Ausstrahlung hatte. Es mußte ihn auch erstaunen, daß sie schon so gegenwärtig war.
Jenna hatte sich vom Bett zurückgezogen. »Sie sollten jetzt auch ruhen«, sagte Dr. Duforet zu ihr.
»Warst du etwa die ganze Zeit hier?« fragte Michelle.
»Es macht mir nichts aus.
Ich bin nicht müde«, erklärte Jenna.
»Du gehst jetzt in meine Wohnung und schläfst dich aus«, befahl Michelle. »Ich will nicht, daß du auch noch krank wirst. Du kannst wiederkommen, wenn du deine Angelegenheiten geklärt hast.«
»Ich bleibe noch. Wir haben noch einiges zu besprechen«, sagte Jenna nun auch energisch.
»Dann werde ich später mit Madame Dorant sprechen«, erklärte der Arzt nachsichtig.
»Du bist genauso bockig wie ich, Jenna«, fing Michelle gleich an, als er das Zimmer verlassen hatte.
»Ich bin nicht bockig. Ich möchte dich nur fragen, woran du dich erinnern kannst?«
Michelle lachte leise. »Mein Verstand hat nicht gelitten. Wir haben gewonnen. Du hast den Jackpot geknackt und kannst dem Verwalter die Stirn bieten. Da du aber nun eine ganze Menge Geld hast, wird dir vielleicht nicht mehr der Sinn danach stehen, mich zu begleiten, wie ich es mir wünschte.«
»Ich will das Geld nicht. Ich möchte, daß du gesund wirst, Michelle, und ich werde bei dir bleiben, solange du mich brauchst.«
»Reden wir also nicht von dem Geld, das dir gehört. Du kannst damit machen, was du willst. Ich habe selbst genug, Jenna, und leider habe ich einen Mann, der nichts mehr liebt als Geld. Aber ich will mich von diesem Mann trennen und brauche einen Menschen, der mir die Kraft gibt, alles durchzustehen, was auf mich zukommt, denn leicht wird es nicht werden.«
»Und Mick, ist er nicht ein guter Freund?«
»O doch, das ist er, wenn wir uns ab und zu mal sehen. Aber er ist ja ständig unterwegs. Er ist nicht mehr, als ein guter Freund, wenn du das hören willst.«
»Eigentlich wollte ich etwas anderes hören, denn ich glaube, daß du ihm sehr viel bedeutest.«
»Weißt du, er braucht eine Frau, die alles mitmacht, der es gefällt, mal hier, mal dort zu sein. Ich sehne mich nach Ruhe, nach meinem Zuhause. Und ich bin jetzt weit entfernt davon, mein Leben mit einem Mann teilen zu wollen. Ich will gar nicht an die Zukunft denken. Das wollte ich eigentlich noch nie. Mein Wahlspruch ist: Lebe immer, wie du wünschst, wenn du stirbst, gelebt zu haben.«
»Aber ans Sterben sollst du nicht denken, Michelle«, sagte Jenna bebend.
»Vielleicht bin ich dem Himmel viel näher als der Erde«, sagte Michelle leise. »Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich weggetragen.«
Jenna wurde die Kehle eng. »Sag das nicht«, flüsterte sie, »es macht mich traurig. Und jetzt fließt mein Blut in deinen Adern, und ich gebe dir noch mehr, wenn du selbst daran glaubst, daß alles gut wird.«
»Dein Blut fließt in meinen Adern, und ich habe davon nichts gemerkt?« staunte Michelle nun. »Dann muß ich wohl alle Kräfte mobilisieren.«
Es sollte mutig klingen, aber Tränen standen in ihren Augen. »Du bist eine wahre Freundin, Jenna, aber jetzt gehst du und schläfst dich aus. Ich will dich ausgeruht und mit wachen Augen sehen.«
»Mick wird dich auch besuchen. Ich denke, es ist Schicksal, daß du ihn hier getroffen hast.«
*
Dr. Duforet nickte Jenna zu, als sie ging. Er betrat wieder Michelles Zimmer.
»Jenna hat mir schon gesagt, daß ich eine Fehlgeburt hatte, Sie brauchen es mir nicht mehr zu erklären«, sagte Michelle hastig. »Das Kind wollte sicher gar nicht leben.«
»Aber Sie wollen doch leben«, sagte er betont.
»Habe ich denn eine Chance? Ich mache mir nichts mehr vor. Da ist etwas, womit mein Körper nicht fertig wird. Meinen Geist schränkt es noch nicht ein. Sie können offen mit mir reden, Herr Doktor.«
»Ich habe bereits mit Dr. Norden telefoniert, und er hat mir die Laborbefunde durchgegeben, so brauchen wir uns damit nicht mehr aufzuhalten.«
»Und wie lautet die Diagnose?«
»Sie gibt Rätsel auf. Ihr Blutbefund zeigt eine Sepsis. Können Sie mir sagen, ob Sie kürzlich eine Verletzung hatten?«
Ihr Blick irrte ab und kehrte wieder zu ihm zurück. »Wieso sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch?« fragte sie zusammenhanglos.
»Ich habe in Heidelberg studiert und habe eine deutsche Großmutter. Was ist also mit einer Verletzung?«
»Eine Verletzung?« wiederholte sie. »Nadines Siamkater hat mich gebissen und gekratzt. Er muß wohl gemerkt haben, daß ich Katzen nicht mag. Ich reagiere allergisch auf die Haare, aber anzuschauen sind sie schön.«
»Wer ist Nadine?« fragte Dr. Duforet.
»Die Lieblingspartnerin von Carlos Dorant«, erwiderte sie mit einem spöttischen Unterton. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich mit Laurentis anreden würden.«
»Wo hat Sie der Kater gebissen und gekratzt?«
»An der Schulter und gekratzt hat er mich an dem Arm. Ich hatte ein schulterfreies Kleid an. Er sprang mich an mit dem gleichen tückischen Blick wie Nadine. Pardon, das klingt gehässig.«
»Sie haben es so empfunden. Sie mögen einander nicht?«
»Nadine mag keine andere Frau, sie steht auf Männer, wie man sagt. Aber sie konnte nichts dafür, daß mich Moritz verletzt hat.«
»Haben Sie eine Tetanusspritze bekommen?«
»So schlimm war es doch nicht. Außerdem bekomme ich die regelmäßig bei Fälligkeit.«
»Einen Anhaltspunkt hätten wir jetzt. Ich darf Sie doch untersuchen?«
Feine Röte überflutete Michelles Gesicht. »Eigentlich erlaube ich das nur Dr. Norden«, sagte sie stockend.
»Er ist aber nicht hier, doch ich stehe in Verbindung mit ihm. Können Sie zu mir kein Vertrauen haben?«
Seine Stimme schmeichelte sich in Michelles Ohren. Sie war so beruhigend, warm und herzgewinnend. Und seine Augen, Michelle meinte, noch nie so schöne Augen gesehen zu haben.
»Doch, ich habe Vertrauen«, erwiderte sie.
»Ich möchte Ihnen