Aber zugleich war seine Kritik an den Distinktionen des Politikbetriebs eben kompatibel zu einem in der Bundesrepublik verbreiteten Politikideal, das den Streit, die Interessenkollision und den Kompromiss als notwendige Elemente demokratischer Aushandlung von Politik nicht erkannte und schätzte. Loriots lager- und altersübergreifende Beliebtheit seit den 1980er Jahren dürfte nicht zuletzt hier eine ihrer Wurzeln haben. Gelegentlich hatte dies politische Konsequenzen, die ihm wie ein schlechter Witz vorgekommen sein müssen. Dazu gehört der offenbar ernstgemeinte Vorschlag, ihn zu einer Kandidatur als Nachfolger von Richard von Weizsäcker im Amt des Bundespräsidenten zu bewegen,29 oder die Einschätzung der Stasi nach der Eröffnung einer Ausstellung seiner Werke im Brandenburger Dom, er habe »eine loyale politische Einstellung zur DDR«.30
Loriot selbst hat seine fehlende Bereitschaft, sich auf nur eine Profession festlegen zu lassen, einmal als »Preußische Hemmungslosigkeit« bezeichnet.31 Man darf davon ausgehen, dass er an Oxymora per se Spaß hatte, aber dieses enthält auch jenseits dessen einen wahren Kern: Die Janusköpfigkeit der bundesdeutschen Nachkriegszeit zwischen konservativer Beharrung und dynamischer Öffnung spiegelt sich auch in seinem Werk. Insofern ist es nicht nur der zunehmenden Akzeptanz von westlicher Populärkultur (und Loriots sukzessiver Hinwendung zur klassischen Hochkultur wie Oper und Theater) zu verdanken, dass er am Ende vielen als Verkörperung des bundesdeutschen Humors, der »Hochkomik« (Bernd Eilert)32 schlechthin galt und mit Ehrungen überhäuft wurde. Der Weg auf den Olymp des deutschen Humors erwies sich allerdings als lang und bisweilen steinig. Ohne ausgeprägte preußische Tugenden wie Disziplin und Härte gegen sich selbst wäre er vermutlich kaum zu meistern gewesen.
1 »Humor und Wirtschaftskrise. Ein Kommentar von Professor Klaus-Günther Weber«, in: »Cartoon«, Süddeutscher Rundfunk, 5.2.1967, zitiert nach: Loriot: »Gesammelte Prosa«, Zürich 2006, S. 272 f. — 2 Joachim Meyerhoff: »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war. Alle Toten fliegen hoch, Teil 2«, Köln 2013, S. 52 f. — 3 Erika Runge: »Ich heiße Erwin und bin 17 Jahre«, WDR 1970. — 4 Christoph Stölzl: »Wir sind Loriot oder Ein Preuße lockert die Deutschen«, in: Loriot: »Gesammelte Prosa«, a. a. O., S. 709–715, hier: S. 713 (Hervorh. im Original). — 5 Ebd., S. 712. — 6 Jürgen Serke: »Mein Sozi für die Zukunft«, in: »Stern«, 15.7.1982, S. 55 f. — 7 Monty Python: »The Funniest Joke in the World«, BBC, 5.10.1969. — 8 Axel Hacke: »Mein Loriot«, in: »Der Tagesspiegel«, 6.11.2003. — 9 Axel Schildt: »Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen«, in: »Blätter für deutsche und internationale Politik« 44 (1999), S. 1234–1244. — 10 Vgl. Hans Braun: »Helmut Schelskys Konzept der ›nivellierten Mittelstandsgesellschaft‹ und die Bundesrepublik der 50er Jahre«, in: »Archiv für Sozialgeschichte« 29 (1989), S. 199–223. — 11 Wolfgang Hildesheimer: »›Loriots heile Welt‹. Nackte Frau auf Bratenplatte«, in: »Der Spiegel«, 10.5.1973, S. 169. — 12 Christoph Kleßmann: »Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker«, in: »Geschichte und Gesellschaft« 11 (1985), S. 476–494, hier S. 485. — 13 Loriot: »Möpse & Menschen. Eine Art Biographie«, Zürich 1983, S. 48. — 14 Peter Geyer: »Vorwort«, in: Susanne von Bülow / Peter Geyer / OA Krimmel (Hg.): »Loriot. Der ganz offene Brief. 115 ungewöhnliche Mitteilungen«, Hamburg 2014, S. 6–9. — 15 Loriot: »Möpse & Menschen«, a. a. O., S. 63, 89 und 96. — 16 »Der Mensch, der geht jetzt unter. André Müller spricht mit Loriot«, in: »Die Zeit«, 7.2.1992; Loriot: »Satire im Fernsehen«, in: Ders.: »Gesammelte Prosa«, a. a. O., S. 401–408, hier S. 408. — 17 von Bülow u. a.: »Loriot. Der ganz offene Brief«, a. a. O., S. 270 f. — 18 »Wortwechsel. Interview mit Gero von Boehm«, Südwestfunk Baden-Baden, 17.1.1986. — 19 Auf einer Skala von + 10 bis -10 lag die Bewertung bei -7; vgl. »›Man musste den Monty Python überzeugen, mitzumachen‹. Alfred Biolek über 40 Jahre Anarchohumor und die Herkunft des Wortes Spammail«, in: Deutschlandfunk, 5.10.2009 (Interview mit Gerwald Herter), https://www.deutschlandfunk.de/man-musste-den-monty-python-ueberzeugen-mitzumachen.694.de.html?dram:article_id=67657 (15.1.2021). — 20 Wolfgang Hildesheimer: »Loriots heile Welt«, a. a. O., S. 169. — 21 Hans-Dieter Gelfert: »Mit einem Lachen nach Westen«, in: »Die Welt«, 27.8.2011. — 22 Henner Löffler: »Loriot-Sketch hatte Vorbild. Der Astronaut lernte vom Tiefseetaucher«, in: FAZ-Net, 6.1.2015, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/sketch-von-loriot-hat-quelle-bei-john-cleese-13354667.html (15.1.2021). — 23 Vgl. die autobiografische Darstellung des damaligen dffb-Studenten Stefan Lukschy: »Der Glückliche schlägt keine Hunde. Ein Loriot-Porträt«, Berlin 2015, S. 6 f. — 24 Neben Gelfert: »Mit einem Lachen nach Westen«, a. a. O., vgl. in diesem Sinne auch Claudia Neumann: »Nonsense versus Tiefsinn? Ein interkultureller Vergleich der Fernsehsketche von Loriot und Monty Python: Über den deutschen und englischen Humor«, Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 2001. — 25 So die programmatische Formulierung von Eckart Conze; vgl. Ders.: »Sicherheit als Kultur. Überlegungen zu einer ›modernen Politikgeschichte‹ der Bundesrepublik Deutschland«, in: »Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte« 53 (2005), H. 3, S. 357–380. — 26