Aber war die Polarisierung, die Loriots Werk auslöste und seinen Erfolg zunächst erschwerte, auch ein direktes Ergebnis liberaler, westlicher Einflüsse? Loriot selbst hat bezüglich seines Zeichenstils westliche Vorbilder benannt, Einflüsse des britischen Humors jedoch zurückgewiesen. Ihm zufolge zeichne sich dieser durch eine Direktheit und Derbheit aus, die seinen Arbeiten fremd sei, auch interessiere ihn das Absurde nicht, sondern eine Komik, die aus Realitätsnähe entstehe.18 Dafür scheint zu sprechen, dass Monty Pythons »Flying Circus« bei den Deutschen zunächst gar nicht gut ankam: Als Alfred Biolek die britischen Komiker überredete, zwei Folgen auf Deutsch zu produzieren, die der WDR Anfang 1972 ausstrahlte, erhielten sie in der Zuschauerbewertung die schlechteste Note, die jemals in Deutschland für eine Sendung vergeben worden ist.19 Auch Wolfgang Hildesheimer hat Loriots Position indirekt bestätigt, indem er ihm in einer Rezension einen Mangel an »britischen« Ingredienzen wie Bosheit und Skurrilität vorgeworfen hat.20
Dagegen insistierte ein Nachruf auf Loriot darauf, dass »der einzige originär deutsche Beitrag zur Verwestlichung des deutschen Humors« von ihm stamme: Er habe den »Sonderweg« des deutschen Humors mit seinen betulichen und moralisierenden Traditionen gebrochen, ohne allerdings die britische Tendenz zur kalkulierten Geschmacklosigkeit und Elitenkritik zu übernehmen.21 In der Tat zeigt schon das Beispiel des (von Hildesheimer geschätzten) Adventsgedichtes, dass es in Loriots Werk durchaus eine ›britische‹ Facette gab – die in Deutschland allerdings auch sehr wohl als geschmacklos empfunden wurde. Besonders bei den frühen TV-Arbeiten sind Bezüge zu britischen Vorbildern kaum zu leugnen: seien es während der Moderationen unmotiviert durchs Studio marschierende Dudelsack-Kapellen und Slapstick-Proben oder einzelne Sketche wie die Interview-Parodie »Der Astronaut«, die offensichtlich von John Cleese inspiriert war.22 Zumindest dürften es solche Elemente gewesen sein, die häufig für Ablehnung und Unverständnis sorgten, mit der auch die Reihe »Cartoon« des Süddeutschen Rundfunks (1967–1972) reichlich bedacht wurde – andererseits ließ gerade dies die Reihe in der Alterskohorte der rebellierenden Studierenden zu Kult werden.23 Loriot bot offenbar auch auf der Ebene der Westernisierung ein Amalgam aus (vermeintlich) harmlosem ›deutschen‹ Humor mit an westlichen Vorbildern orientierten skurrilen, anarchischen und sozialkritischen Elementen.24
Humor nach Hitler
Damit bleibt als dritte und letzte Frage, wie sich der Humor Loriots zur Bundesrepublik als postfaschistischer Gesellschaft verhielt. Auch bei diesem Thema, das sei vorweggenommen, scheint es offensichtliche und dabei zugleich widersprüchliche Bezüge zu geben. Denn der totale Zusammenbruch auf moralischer und materieller Ebene, den der Nationalsozialismus nach sich gezogen hatte, wurde durch die westdeutsche Gesellschaft auf zwei Arten kompensiert, die eine Entsprechung bei Loriot haben: einerseits durch ein geradezu obsessives Streben nach Sicherheit und Ordnung, zum anderen – damit eng verbunden – durch eine spezifische Form politischer Abstinenz und Konfliktvermeidung.
»Hier kriegen Sie mit Sicherheit Spaß« – mit diesem Slogan bewarb Volkswagen Ende der 1970er Jahre sein Erfolgsmodell Golf. Mindestens so gut passt diese Doppeldeutigkeit allerdings zur Kultur der frühen Bundesrepublik. Denn bei retrospektiver Betrachtung fällt auf, wie sehr die Nachkriegsgesellschaft die traumatischen Erfahrungen von Krieg und Zusammenbruch in einer »Suche nach Sicherheit« kanalisierte.25 Der angestrengte Versuch, sich der eigenen normativen und materiellen Grundlagen zu versichern, konnte viele Formen annehmen, neben dem bereits angesprochenen Beharren auf einer überkommenen Sexualmoral auch in fixierten Geschlechterrollen und traditionellen Konventionen und Benimmregeln. Das zwanghafte Streben nach Normalität schien stets durch Unordnung, Alterität und moralische Abweichung bedroht, und entsprechend humorlos wurden solche Entwicklungen betrachtet.
Es ist daher kaum ein Zufall, dass Ordnungsobsessionen und ihr Scheitern ein Grundmotiv in Loriots Werk darstellen. Sein »Großer Ratgeber« (1968) parodiert umfassend das Genre der Benimm- und Ratgeberliteratur und dessen formalisierte, dabei merkwürdig sinnentleerte Sprache. Im TV-Sketch »Zimmerverwüstung« (1976) mündet der zwanghafte Versuch, ein (modernes) Bild geradezurücken, im völligen Chaos. Alle bemühten Versuche des Protagonisten Lohse in Loriots zweitem Spielfilm »Pappa ante Portas« (1991), für die Zukunft vorzubauen, haben ähnlich katastrophale Konsequenzen. Auch wenn hier gewiss eine selbstironische Komponente des als Perfektionisten bekannten Autors und Regisseurs anklingt, fällt es schwer, darin keine gesellschaftliche Dimension zu sehen. Loriot, so scheint es, wusste um die Vergeblichkeit derartigen Strebens angesichts der Kontingenz von Geschichte. Dabei mögen seine Erfahrungen im Krieg an der Ostfront von Bedeutung gewesen sein sowie die Zäsur des Kriegsendes, mit der sich scheinbar unumstößliche jahrhundertealte Traditionen der preußischen Adelsfamilie von Bülow auflösten.
Der zweite Aspekt der politischen Abstinenz und Konfliktvermeidung betrifft Loriots Strategie, sich konsequent von jeglicher Tages- und Parteipolitik zu distanzieren. Zwar finden sich vor allem in seinen frühen Werken durchaus politische Positionierungen: Wiederkehrende Themen sind unter anderem Kritik an Militarismus und atomarer Hochrüstung, am deutschen Autowahn und der Verharmlosung der Atomenergie. Aber die Kritik blieb stets auf einer recht allgemeinen Ebene, eine offene politische Parteinahme, wie sie etwa die Satirikerkollegen von der sogenannten »Neuen Frankfurter Schule« vollzogen, hat er peinlich vermieden. Auffällig ist auch, dass die wenig ruhmreiche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bei ihm nie explizit zum Thema wurde. Sein Titelbild für die erste Ausgabe der linken Satirezeitschrift »Pardon« (1962) – ein typisches Loriotmännchen, das ein Blumenbukett samt Bombe mit brennender Zündschnur überreicht – verdankte sich vermutlich in erster Linie seiner Beziehung zu deren Chefredakteur beziehungsweise Verleger Hans A. Nikel und ist nicht primär als politisches Statement zu verstehen.26 In den späteren Arbeiten traten politische Themen noch weiter in den Hintergrund. Mehr und mehr schienen sie nur als weiteres Feld von gescheiterter Kommunikation, einem Motiv vor allem des späteren Loriot, das freilich meist im Privaten angesiedelt war. In diesem Sinne, nämlich als auch auf der politischen Ebene grassierende Kommunikationsunfähigkeit, hat er sein Werk allerdings stets auch als politisch verstanden.27
Diese Zurückhaltung passte gut in die frühe Bundesrepublik, deren Bevölkerung sich nach der Überpolitisierung des Nationalsozialismus durch weit verbreitete Politikverdrossenheit