TEXT+KRITIK.
Zeitschrift für Literatur
Begründet von Heinz Ludwig Arnold
Redaktion:
Meike Feßmann, Axel Ruckaberle, Michael Scheffel und Peer Trilcke
Leitung der Redaktion: Claudia Stockinger und Steffen Martus
Tuckermannweg 10, 37085 Göttingen,
Telefon: (0551) 5 61 53, Telefax: (0551) 5 71 96
Print ISBN 978-3-96707-487-1
E-ISBN 978-3-96707-489-5
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Umschlagabbildung: Isolde Ohlbaum
E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara
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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2021
Levelingstraße 6a, 81673 München
Inhalt
Anna Bers / Claudia Hillebrandt
Sitzmöbel und Schieberhut. Richtungsweisendes
Christoph Classen
Lachen nach dem Luftschutzkeller. Loriot in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft
Tom Kindt Loriot und der deutsche Humor?
Eckhard Pabst »Das Bild hängt schief!« Loriots TV-Sketche als Modernisierungskritik
Gertrud Vowinckel-Textor Witz mit Über-Biss. Loriots künstlerisches Spiel mit Realität und Widerspruch im Kontext humoristischer Zeichnungen des 20. Jahrhunderts
Felix Christian Reuter Loriots Fernsehsketche – mehr als nur Klassiker. Ein Plädoyer für eine historisch-kritische Loriot-Ausgabe
Claudia Hillebrandt Von Schwänen und Fahrplänen. Loriots komische Oper
Ulla Fix Was ist das »Loriot’sche« an Loriot? Eine Betrachtung seiner »Ehe-Szenen« aus der Perspektive der kommunikativen Ethik
Anna Bers Von Räumen, Träumen und Türen. Aspekte räumlicher Semantik in Loriots Spielfilmen
Stefan Neumann »Menschen sind an der Leine zu führen!« Der Hund bei Loriot
Bibliografische Hinweise
Anna Bers / Claudia Hillebrandt
Sitzmöbel und Schieberhut Richtungsweisendes
Folgen Sie der Aufforderung des Titelporträts dieses Bandes: Loriot als Mann mit Landgut und Schieberhut lädt die Betrachtenden dazu ein, ihm und seinem Korbstuhl in die Tiefe der Landschaft zu folgen. Kostüm und Requisite sind bruchlos vertraut. Die offenherzige Geste und das für Loriot-Bildnisse eher seltene Halbprofil in Bewegung sind es weniger. Kanonische Bildnisse Vicco von Bülows zeigen seine Frontalansicht (fakultativ auch die seiner Möpse) und setzen auf Statik und auf in üblicher Verwendungsweise genutzte Sitzmöbel. Die Dynamik des Titelbildes kann dagegen vermuten lassen, dass es im Schatten noch mehr zu entdecken gibt als den Schmunzler auf dem Sofa. Dieser Band ist eine Einladung, den bürgerlichen Korbstuhlkomiker, aber auch die unbekannteren Seiten Loriots besser kennenzulernen.
Eine der schärfsten Abrechnungen mit Loriots Werk stammt aus der Feder von Wolfgang Hildesheimer. Am Ende seiner Rezension von »Loriots heile Welt. Neue gesammelte Texte und Zeichnungen« resümiert er 1973 im »Spiegel«: »Loriots Beliebtheit beruht auf einem programmatischen Sieg der Unschuld, der die Frage, wo denn das Positive bleibe, verstummen läßt. Er führt es vor mit seinen Figuren, und es ist ihm immerhin gelungen, mit seinem Standardmännchen einen Archetypen zu prägen, den kleinen Begleiter, den harmlosen Vergnügenspender für viele. Das macht ihn – ich hoffe, das Wort ist nicht zu hart – liebenswert.«1 Aus dem Textzusammenhang wird deutlich, wie hart, ja, vernichtend das Wort »liebenswert« in Wirklichkeit ist. Es ist geradezu der Inbegriff all dessen, was laut Hildesheimer eben nicht zum Kern der komischen Kunst gehört oder jedenfalls gehören sollte: »Loriots wachsende Popularität beruht zum großen Teil auf der dezidierten Entscheidung für den low brow-Stil, auf seiner (…) Parteinahme für ein Publikum, das mit ihm alles verdrängt, was sticht, verletzt und schmerzt.«2 Subtiler und böser kann man den satirischen Charakter von Loriots Schöpfungen kaum bestreiten.
Doch dieses Urteil mag aus heutiger Sicht vorschnell gefällt sein. Loriot selbst jedenfalls hat wiederholt den satirischen Anspruch seiner Zeichnungen, Sketche und Filme hervorgehoben. Vor diesem Hintergrund überrascht die Tatsache, wie wenig auch neun Jahre nach Loriots Tod bisher über Stoßrichtung, Verfahren und Hintergründe seines Humors geschrieben wurde.3 Als Vertreter des schwarzen Humors wird man ihn wohl schwerlich gelten lassen können, doch dass sein komischer Kosmos wirklich so harmlos ist, wie von Hildesheimer behauptet, wäre erst noch zu zeigen. Die Beobachtungen der in diesem Band versammelten Beiträge bestätigen Hildesheimers Vorwurf der reinen Liebenswürdigkeit nicht. Vielmehr zeichnen sie ein differenzierteres Bild des Humoristen Loriot und seiner Schöpfungen.
Die Beiträge bieten einen Überblick über die Zielrichtung von Loriots Satire, Medien seiner Kunst und einzelne prominente Themen seiner Komik.
BRD, Bildungsgut und Bildschirm – Gegenstände der Komik: Christoph Classen rekapituliert die mal skandal-, mal einträchtige Beziehung zwischen Loriots Kunstwerken und ihrer Gegenwart in der Nachkriegs-BRD. Tom Kindt geht auf die Suche nach spezifisch deutschen Traditionslinien des Loriot’schen Humors. Eckhard Pabst identifiziert eine Sehnsucht nach Werten und Ästhetiken einer unerreichbar vergangenen bürgerlichen Welt, deren Nachklang die Komik Loriots nährt.
Cartoon, Sketch, Operntexte – Medien der Komik: Gertrud Vowinckel-Textor betrachtet Loriots Ursprünge im Genre des Cartoons vor dem Hintergrund der Bildtraditionen, in denen sie stehen. Felix Reuter spürt der Verweisdichte in Loriots Sketchen nach und verknüpft diesen Nachweis mit der Forderung nach einer Gesamtausgabe, die diese formen- und facettenreichen Bezüge auch späteren Generationen verfügbar macht. Claudia Hillebrandt untersucht Loriots spezifisch affirmativ-komischen Zugang zur Welt der Oper, insbesondere zu Richard Wagner.
Paare, Dreidimensionales, Vierbeiner – Themen der Komik: Ulla Fix deckt mit den Mitteln der Gesprächsanalyse Loriots Rezept genüsslich inszenierten Kommunikationsversagens auf und differenziert dessen erlesene Zutaten: verschiedene Arten der Kooperationsverweigerung. Anna Bers nimmt die nur scheinbar immergleichen bürgerlichen Stadtvillen in Loriots Filmen in den Blick und erschließt deren Zeichencharakter als Summe des Sketch-Werkes. Stefan Neumann verfolgt schließlich die Spur eines heimlichen Hauptdarstellers in Loriots Werk: des Hundes, und zeigt auf, welche Funktion dieser für Loriots Entlarvung menschlicher Schwächen hat.
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