Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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Und Karl konnte ihnen doch nicht vorhalten, daß sie an dem Verkauf seiner Kleider etwas verdient hätten, das wäre doch Beleidigung und Abschied für immer gewesen. Das Erstaunliche aber war, daß weder Delamarche noch Robinson irgendwelche Sorgen wegen der Bezahlung hatten, vielmehr hatten sie gute Laune genug, möglichst oft Anknüpfungen mit der Kellnerin zu versuchen, die stolz und mit schwerem Gang zwischen den Tischen hin- und hergieng. Ihr Haar gieng ihr von den Seiten ein wenig lose in Stirn und Wangen und sie strich es immer wieder zurück, indem sie mit den Händen darunter hinfuhr. Schließlich als man vielleicht das erste freundliche Wort von ihr erwartete, trat sie zum Tisch, legte beide Hände auf ihn und fragte: „Wer zahlt?“ Nie waren Hände rascher aufgeflogen, als jetzt jene von Delamarche und Robinson, die auf Karl zeigten. Karl erschrak darüber nicht, denn er hatte es ja vorausgesehn und sah nichts Schlimmes darin, daß die Kameraden, von denen er ja auch Vorteile erwartete, einige Kleinigkeiten von ihm bezahlen ließen, wenn es auch anständiger gewesen wäre, diese Sache vor dem entscheidenden Augenblick ausdrücklich zu besprechen. Peinlich war bloß, daß er das Geld erst aus der Geheimtasche heraufbefördern mußte. Seine ursprüngliche Absicht war es gewesen, das Geld für die letzte Not aufzuheben und sich also vorläufig mit seinen Kameraden gewissermaßen in eine Reihe zu stellen. Der Vorteil, den er durch dieses Geld und vor allem durch das Verschweigen des Besitzes gegenüber den Kameraden erlangte, wurde für diese mehr als reichlich dadurch aufgewogen, daß sie schon seit ihrer Kindheit in Amerika waren, daß sie genügende Kenntnisse und Erfahrungen für Gelderwerb hatten und daß sie schließlich an bessere Lebensverhältnisse, als ihre gegenwärtigen nicht gewöhnt waren. Diese bisherigen Absichten die Karl rücksichtlich seines Geldes hatte, mußten an und für sich durch diese Bezahlung nicht gestört werden, denn ein Viertelpfund konnte er schließlich entbehren und deshalb also ein Viertelpfundstück auf den Tisch legen und erklären, dies sei sein einziges Eigentum und er sei bereit, es für die gemeinsame Reise nach Butterford zu opfern. Für die Fußreise genügte auch ein solcher Betrag vollkommen. Nun aber wußte er nicht, ob er genügendes Kleingeld hatte und überdies lag dieses Geld sowie die zusammengelegten Banknoten irgendwo in der Tiefe der Geheimtasche, in der man eben am besten etwas fand, wenn man den ganzen Inhalt auf den Tisch schüttete. Außerdem war es höchst unnötig, daß die Kameraden von dieser Geheimtasche überhaupt etwas erfuhren. Nun schien es zum Glück, daß die Kameraden sich noch immer mehr für die Kellnerin interessierten, als dafür wie Karl das Geld für die Bezahlung zusammenbrächte. Delamarche lockte die Kellnerin durch die Aufforderung, die Rechnung aufzustellen zwischen sich und Robinson und sie konnte die Zudringlichkeiten der beiden nur dadurch abwehren, daß sie einem oder dem andern die ganze Hand auf das Gesicht legte und ihn wegschob. Inzwischen sammelte Karl heiß vor Anstrengung unter der Tischplatte in der einen Hand das Geld, das er mit der andern Stück für Stück in der Geheimtasche herumjagte und herausholte. Endlich glaubte er, trotzdem er das amerikanische Geld noch nicht genau kannte, er hätte wenigstens der Menge der Stücke nach eine genügende Summe und legte sie auf den Tisch. Der Klang des Geldes unterbrach sofort die Scherze. Zu Karls Ärger und zu allgemeinem Erstaunen zeigte sich, daß da fast ein ganzes Pfund dalag. Keiner fragte zwar, warum Karl von dem Gelde, das für eine bequeme Eisenbahnfahrt nach Butterford gereicht hätte, früher nichts gesagt hatte, aber Karl war doch in großer Verlegenheit. Langsam strich er, nachdem das Essen bezahlt worden war, das Geld wieder ein, noch aus seiner Hand nahm Delamarche ein Geldstück, das er für die Kellnerin als Trinkgeld brauchte, die er umarmte und an sich drückte, um ihr dann von der andern Seite her das Geld zu überreichen.

      Karl war ihnen auch dankbar, daß sie auf dem Weitermarsch über das Geld keine Bemerkungen machten und er dachte sogar eine Zeitlang daran ihnen sein ganzes Vermögen einzugestehn, unterließ das aber doch, da sich keine rechte Gelegenheit fand. Gegen Abend kamen sie in eine mehr ländliche fruchtbare Gegend. Ringsherum sah man ungeteilte Felder die sich in ihrem ersten Grün über sanfte Hügel legten, reiche Landsitze umgrenzten die Straße und stundenlang gieng man zwischen den vergoldeten Gittern der Gärten, mehrmals kreuzten sie den gleichen langsam fließenden Strom und viele mal hörten sie über sich die Eisenbahnzüge auf den hoch sich schwingenden Viadukten donnern.

      Eben gieng die Sonne an dem geraden Rande ferner Wälder nieder, als sie sich auf einer Anhöhe in mitten einer kleinen Baumgruppe ins Gras hinwarfen, um sich von den Strapazen auszuruhn. Delamarche und Robinson lagen da und streckten sich nach Kräften, Karl saß aufrecht und sah auf die paar Meter tiefer führende Straße auf der immer wieder Automobile, wie schon während des ganzen Tags, leicht an einander vorübereilten, als würden sie in genauer Anzahl immer wieder von der Ferne abgeschickt und in der gleichen Anzahl in der andern Ferne erwartet. Während des ganzen Tages seit dem frühesten Morgen hatte Karl kein Automobil halten, keinen Passagier aussteigen gesehn.

      Robinson machte den Vorschlag die Nacht hier zu verbringen, da sie alle genug müde wären, da sie dann desto früher ausmarschieren könnten und da sie schließlich kaum ein billigeres und besser gelegenes Nachtlager vor Einbruch völliger Dunkelheit finden könnten. Delamarche war einverstanden und nur Karl glaubte zu der Bemerkung verpflichtet zu sein, daß er genug Geld habe um das Nachtlager für alle auch in einem Hotel zu bezahlen. Delamarche sagte, sie würden das Geld noch brauchen, er solle es nur gut aufheben. Delamarche verbarg nicht im geringsten, daß man mit Karls Gelde schon rechnete. Da sein erster Vorschlag angenommen war erklärte nun Robinson weiter, nun müßten sie aber vor dem Schlafen, um sich für morgen zu kräftigen, etwas Tüchtiges essen und einer solle das Essen für alle aus dem Hotel holen, das in nächster Nähe an der Landstraße mit der Aufschrift „Hotel occidental“ leuchtete. Als der Jüngste und da sich auch sonst niemand meldete, zögerte Karl nicht sich für diese Besorgung anzubieten und gieng, nachdem er eine Bestellung auf Speck, Brot und Bier erhalten hatte, ins Hotel hinüber.

      Es mußte eine große Stadt in der Nähe sein, denn gleich der erste Saal des Hotels, den Karl betrat, war von einer lauten Menge erfüllt und an dem Buffet das sich an einer Längswand und an den zwei Seitenwänden hinzog, liefen unaufhörlich viele Kellner mit weißen Schürzen vor der Brust und konnten doch die ungeduldigen Gäste nicht zufriedenstellen, denn immer wieder hörte man an den verschiedensten Stellen Flüche und Fäuste die auf den Tisch schlugen. Karl wurde von niemandem beachtet; es gab auch im Saale selbst keine Bedienung, die Gäste, die an winzigen, bereits zwischen drei Tischnachbarn verschwindenden Tischen saßen, holten alles, was sie wünschten beim Buffet. Auf allen Tischchen stand eine große Flasche mit Öl, Essig oder dergleichen und alle Speisen, die vom Buffet geholt wurden, wurden vor dem Essen aus dieser Flasche übergossen. Wollte Karl überhaupt erst zum Buffet kommen, wo ja dann wahrscheinlich, besonders bei seiner großen Bestellung, die Schwierigkeiten erst beginnen würden, mußte er sich zwischen vielen Tischen durchdrängen, was natürlich bei aller Vorsicht nicht ohne grobe Belästigung der Gäste durchzuführen war, die jedoch alles wie gefühllos hinnahmen, selbst als Karl einmal allerdings gleichfalls von einem Gast gegen ein Tischchen gestoßen worden war, das er fast umgeworfen hätte. Er entschuldigte sich zwar, wurde aber offenbar nicht verstanden, verstand übrigens auch nicht das geringste von dem was man ihm zurief.

      Beim Buffet fand er mit Mühe ein kleines freies Plätzchen, auf dem ihm eine lange Weile die Aussicht durch die aufgestützten Elbogen seiner Nachbarn genommen war. Es schien hier überhaupt eine Sitte, die Elbogen aufzustützen und die Faust an die Schläfe zu drücken; Karl mußte daran denken, wie der Lateinprofessor Dr. Krumpal gerade diese Haltung gehaßt hatte und wie er immer heimlich und unversehens herangekommen war und mittels eines plötzlich erscheinenden Lineals mit schmerzhaftem Ruck die Elbogen von den Tischen gestreift hatte.

      Karl stand eng ans Büffet gedrängt, denn kaum hatte er sich angestellt, war hinter ihm ein Tisch aufgestellt worden und der eine der dort sich niederlassenden Gäste streifte schon, wenn er sich nur ein wenig beim Reden zurückbog, mit seinem großen Hut Karls Rücken. Und dabei war so wenig Hoffnung vom Kellner etwas zu bekommen, selbst als die beiden plumpen Nachbarn befriedigt weggegangen waren. Einigemal hatte Karl einen Kellner über den Tisch hin bei der Schürze gefaßt, aber immer hatte sich der mit verzerrtem Gesicht losgerissen. Keiner war zu halten, sie liefen nur und liefen nur. Wenn wenigstens in der Nähe Karls etwas Passendes zum Essen und Trinken gewesen wäre, er hätte es genommen, sich nach dem Preis erkundigt, das Geld hingelegt und wäre mit Freude weggegangen. Aber gerade vor ihm lagen nur Schüsseln mit häringsartigen Fischen, deren schwarze Schuppen