Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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Automobile, auf denen einzelne Männer die Hände in den Hosentaschen herumspazierten. Auf einem dieser Automobile die verschiedene Aufschriften trugen, las Karl unter einem kleinen Aufschrei „Hafenarbeiter für die Spedition Jakob aufgenommen“. Der Wagen fuhr gerade ganz langsam und ein auf der Wagentreppe stehender kleiner gebückter lebhafter Mann lud die drei Wanderer zum Einsteigen ein. Karl flüchtete sich hinter die Schlosser, als könne sich auf dem Wagen der Onkel befinden und ihn sehn. Er war froh, daß auch die zwei die Einladung ablehnten, wenn ihn auch der hochmütige Gesichtsausdruck gewissermaßen kränkte, mit dem sie das taten. Sie mußten durchaus nicht glauben, daß sie zu gut waren, um in die Dienste des Onkels zu treten. Er gab es ihnen, wenn auch natürlich nicht ausdrücklich, sofort zu verstehn. Darauf bat ihn Delamarche sich gefälligst nicht in Sachen einzumischen, die er nicht verstehe, diese Art Leute aufzunehmen sei ein schändlicher Betrug und die Firma Jakob sei berüchtigt in den ganzen Vereinigten Staaten. Karl antwortete nicht, hielt sich aber von nun an mehr an den Irländer, er bat ihn auch ihm jetzt ein wenig den Koffer zu tragen, was dieser nachdem Karl seine Bitte mehrmals wiederholt hatte, auch tat. Nur klagte er ununterbrochen über die Schwere des Koffers, bis es sich zeigte, daß er nur die Absicht hatte, den Koffer um die Veroneser Salami zu erleichtern, die ihm wohl schon im Hotel angenehm aufgefallen war. Karl mußte sie auspacken, der Franzose nahm sie zu sich, um sie mit seinem dolchartigen Messer zu behandeln und fast ganz allein aufzuessen. Robinson bekam nur hie und da eine Schnitte, Karl dagegen, der wieder den Koffer tragen mußte, wenn er ihn nicht auf der Landstraße stehen lassen wollte, bekam nichts, als hätte er seinen Anteil schon im Voraus sich genommen. Es schien ihm zu kleinlich, um ein Stückchen zu betteln, aber die Galle regte sich ihm.

      Aller Nebel war schon verschwunden, in der Ferne erglänzte ein hohes Gebirge, das mit welligem Kamm in noch ferneren Sonnendunst führte. An der Seite der Straße lagen schlecht bebaute Felder, die sich um große Fabriken hinzogen, die dunkel angeraucht im freien Lande standen. In den wahllos hingestellten einzelnen Mietskasernen zitterten die vielen Fenster in der mannigfaltigsten Bewegung und Beleuchtung und auf allen den kleinen schwachen Balkonen hatten Frauen und Kinder vielerlei zu tun, während um sie herum, sie verdeckend und enthüllend, aufgehängte und hingelegte Tücher und Wäschestücke im Morgenwind flatterten und mächtig sich bauschten. Glitten die Blicke von den Häusern ab, dann sah man Lerchen hoch am Himmel fliegen und unten wieder die Schwalben nicht allzuweit über den Köpfen der Fahrenden.

      Vieles erinnerte Karl an seine Heimat und er wußte nicht, ob er gut daran tue, New-York zu verlassen und in das Innere des Landes zu gehn. In New-York war das Meer und zu jeder Zeit die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat. Und so blieb er stehn und sagte zu seinen beiden Begleitern, er habe doch wieder Lust in New York zu bleiben. Und als Delamarche ihn einfach weitertreiben wollte, ließ er sich nicht treiben und sagte, daß er doch wohl noch das Recht habe über sich zu entscheiden. Der Irländer mußte erst vermitteln und erklären, daß Butterford viel schöner als Newyork sei und beide mußten ihn noch sehr bitten, ehe er wieder weiter gieng. Und selbst dann wäre er noch nicht gegangen, wenn er sich nicht gesagt hätte, daß es für ihn vielleicht besser sei, an einen Ort zu kommen, wo die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat keine so leichte sei. Gewiß werde er dort besser arbeiten und vorwärtskommen, da ihn keine unnützen Gedanken hindern werden.

      Und nun war er es, der die beiden andern zog und sie freuten sich so sehr über seinen Eifer, daß sie ohne sich erst bitten zu lassen, den Koffer abwechselnd trugen und Karl gar nicht recht verstand, womit er ihnen eigentlich diese große Freude verursache. Sie kamen in eine ansteigende Gegend und wenn sie hie und da stehen blieben, konnten sie beim Rückblick das Panorama New Yorks und seines Hafens immer ausgedehnter sich entwickeln sehn. Die Brücke, die New York mit Boston verbindet hieng zart über den Hudson und sie erzitterte, wenn man die Augen klein machte. Sie schien ganz ohne Verkehr zu sein und unter ihr spannte sich das unbelebte glatte Wasserband. Alles in beiden Riesenstädten schien leer und nutzlos aufgestellt. Unter den Häusern gab es kaum einen Unterschied zwischen den großen und den kleinen. In der unsichtbaren Tiefe der Straßen gieng wahrscheinlich das Leben fort nach seiner Art, aber über ihnen war nichts zu sehen, als leichter Dunst, der sich zwar nicht bewegte, aber ohne Mühe zu verjagen schien. Selbst in dem Hafen, dem größten der Welt, war Ruhe eingekehrt und nur hie und da glaubte man, wohl beeinflußt von der Erinnerung an einen früheren Anblick aus der Nähe, ein Schiff zu sehn, das eine kurze Strecke sich fortschob. Aber man konnte ihm auch nicht lange folgen, es entgieng den Augen und war nicht mehr zu finden.

      Aber Delamarche und Robinson sahen offenbar viel mehr, sie zeigten rechts und links und überwölbten mit den ausgestreckten Händen Plätze und Gärten die sie mit Namen benannten. Sie konnten es nicht begreifen, daß Karl über zwei Monate in New York gewesen war und kaum etwas anderes von der Stadt gesehen hatte, als eine Straße. Und sie versprachen ihm, wenn sie in Butterford genug verdient hätten, mit ihm nach New York zu gehn und ihm alles Sehenswerte zu zeigen und ganz besonders natürlich jene Örtlichkeiten, wo man sich bis zum Seligwerden unterhielt. Und Robinson begann im Anschluß daran mit vollem Mund ein Lied zu singen, das Delamarche mit Händeklatschen begleitete, das Karl als eine Operettenmelodie aus seiner Heimat erkannte die ihm hier mit dem englischen Text viel besser gefiel, als sie ihm je zuhause gefallen hatte. So gab es eine kleine Vorstellung im Freien, an der alle Anteil nahmen, nur die Stadt unten, die sich angeblich bei dieser Melodie unterhielt, schien gar nichts davon zu wissen.

      Einmal fragte Karl, wo denn die Spedition Jakob liege, und sofort sah er Delamarches und Robinsons ausgestreckte Zeigefinger, vielleicht auf den gleichen, vielleicht auf meilenweit entfernte Punkte gerichtet. Als sie dann weitergiengen, fragte Karl, wann sie frühestens mit genügendem Verdienst nach New York zurückkehren könnten. Delamarche sagte, das könne schon ganz gut in einem Monat sein, denn in Butterford sei Arbeitermangel und die Löhne seien hoch. Natürlich würden sie ihr Geld in eine gemeinsame Kassa legen, damit zufällige Unterschiede im Verdienst unter ihnen als Kameraden ausgeglichen würden. Die gemeinsame Kassa gefiel Karl nicht, trotzdem er als Lehrling natürlich weniger verdienen würde, als ausgelernte Arbeiter. Überdies erwähnte Robinson, daß sie natürlich wenn in Butterford keine Arbeit wäre, weiter wandern müßten, entweder um als Landarbeiter irgendwo unterzukommen oder vielleicht nach Kalifornien in die Goldwäschereien zu gehn, was nach Robinsons ausführlichen Erzählungen zu schließen, sein liebster Plan war. „Warum sind Sie denn Schlosser geworden, wenn Sie jetzt in die Goldwäschereien wollen?“ fragte Karl, der ungern von der Notwendigkeit solcher weiter unsicherer Reisen hörte. „Warum ich Schlosser geworden bin?“ sagte Robinson, „doch gewiß nicht deshalb, damit meiner Mutter Sohn dabei verhungert. In den Goldwäschereien ist ein feiner Verdienst.“ „War einmal“, sagte Delamarche. „Ist noch immer“, sagte Robinson und erzählte von vielen dabei reich gewordenen Bekannten, die noch immer dort waren, natürlich keinen Finger mehr rührten, ihm aber aus alter Freundschaft und selbstverständlich auch seinen Kameraden zu Reichtum verhelfen würden. „Wir werden schon in Butterford Stellen erzwingen“, sagte Delamarche und sprach damit Karl aus der Seele, aber eine zuversichtliche Ausdrucksweise war es nicht.

      Während des Tages machten sie nur einmal in einem Wirtshaus Halt und aßen davor im Freien an einem, wie es Karl schien, eisernen Tisch fast rohes Fleisch, das man mit Messer und Gabel nicht zerschneiden, sondern nur zerreißen konnte. Das Brot hatte eine walzenartige Form und in jedem Brotlaib steckte ein langes Messer. Zu diesem Essen wurde eine schwarze Flüssigkeit gereicht, die im Halse brannte. Delamarche und Robinson schmeckte sie aber, sie erhoben oft auf die Erfüllung verschiedener Wünsche ihre Gläser und stießen mit einander an, wobei sie ein Weilchen lang in der Höhe Glas an Glas hielten. An Nebentischen saßen Arbeiter in kalkbespritzten Blusen und alle tranken die gleiche Flüssigkeit. Automobile, die in Mengen vorüberfuhren, warfen Schwaden von Staub über die Tische hin. Große Zeitungsblätter wurden herumgereicht, man sprach erregt vom Streik der Bauarbeiter, der Name Mack wurde öfters genannt, Karl erkundigte sich über ihn und erfuhr, daß dies der Vater des ihm bekannten Mack und der größte Bauunternehmer von New-York war. Der Streik kostete ihn Millionen und bedrohte vielleicht seine geschäftliche Stellung. Karl glaubte kein Wort von diesem Gerede schlecht unterrichteter übelwollender Leute.

      Verbittert wurde das Essen für Karl außerdem dadurch, daß es sehr fraglich war, wie das Essen gezahlt werden sollte. Das Natürliche wäre gewesen, daß jeder seinen Teil gezahlt