Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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      IV

       Der Marsch nach Ramses

      In dem kleinen Wirtshaus, in das Karl nach kurzem Marsche kam, und das eigentlich nur eine kleine letzte Station des Newyorker Fuhrwerkverkehrs bildete und deshalb kaum für Nachtlager benützt zu werden pflegte, verlangte Karl die billigste Bettstelle, die zu haben war, denn er glaubte mit dem Sparen sofort anfangen zu müssen. Er wurde seiner Forderung entsprechend vom Wirt mit einem Wink, als sei er ein Angestellter, die Treppe hinaufgewiesen, wo ihn ein zerrauftes altes Frauenzimmer, ärgerlich über den gestörten Schlaf, empfieng und fast ohne ihn anzuhören mit ununterbrochenen Ermahnungen leise aufzutreten, in ein Zimmer führte, dessen Tür sie, nicht ohne ihn vorher mit einem Pst! angehaucht zu haben, schloß.

      Karl wußte zuerst nicht recht, ob die Fenstervorhänge bloß herabgelassen waren oder ob vielleicht das Zimmer überhaupt keine Fenster habe, so finster war es; schließlich bemerkte er eine kleine verhängte Luke, deren Tuch er wegzog, wodurch einiges Licht hereinkam. Das Zimmer hatte zwei Betten, die aber beide schon besetzt waren. Karl sah dort zwei junge Leute, die in schwerem Schlafe dalagen und vor allem deshalb wenig vertrauenswürdig erschienen, weil sie ohne verständlichen Grund angezogen schliefen, der eine hatte sogar seine Stiefel an.

      In dem Augenblick, als Karl die Luke freigelegt hatte, hob einer der Schläfer die Arme und Beine ein wenig in die Höhe, was einen derartigen Anblick bot, daß Karl trotz seiner Sorgen in sich hineinlachte.

      Er sah bald ein, daß er, abgesehen davon, daß auch keine andere Schlafgelegenheit, weder Kanapee noch Sopha, vorhanden war, zu keinem Schlafe werde kommen können, denn er durfte seinen erst wiedergewonnenen Koffer und das Geld, das er bei sich trug, keiner Gefahr aussetzen. Weggehn aber wollte er auch nicht, denn er getraute sich nicht, an der Zimmerfrau und dem Wirt vorüber das Haus wieder gleich zu verlassen. Schließlich war es ja hier doch vielleicht nicht unsicherer als auf der Landstraße. Auffallend war freilich, daß im ganzen Zimmer, soweit sich das bei dem halben Licht feststellen ließ, kein einziges Gepäckstück zu entdecken war. Aber vielleicht und höchstwahrscheinlich waren die zwei jungen Leute die Hausdiener, die der Gäste wegen bald aufstehn mußten und deshalb angezogen schliefen. Dann war es allerdings nicht besonders ehrenvoll mit ihnen zu schlafen, aber desto ungefährlicher. Nur durfte er sich aber, solange das wenigstens nicht außer jedem Zweifel war, auf keinen Fall zum Schlafe niederlegen.

      Unten vor dem einen Bett stand eine Kerze mit Zündhölzchen, die sich Karl mit schleichenden Schritten holte. Er hatte keine Bedenken Licht zu machen, denn das Zimmer gehörte nach Auftrag des Wirtes ihm ebenso gut wie den zwei andern, die überdies den Schlaf der halben Nacht schon genossen hatten und durch den Besitz der Betten ihm gegenüber in unvergleichlichem Vorteil waren. Im übrigen gab er sich natürlich durch Vorsicht beim Herumgehn und Hantieren alle Mühe, sie nicht zu wecken.

      Zunächst wollte er seinen Koffer untersuchen um einmal einen Überblick über seine Sachen zu bekommen, an die er sich schon nur undeutlich erinnerte und von denen sicher das Wertvollste schon verlorengegangen sein dürfte. Denn wenn der Schubal seine Hand auf etwas legt, dann ist wenig Hoffnung, daß man es unbeschädigt zurückbekommt. Allerdings hatte er vom Onkel ein großes Trinkgeld erwarten können, während er aber anderseits wieder beim Fehlen einzelner Objekte sich auf den eigentlichen Kofferwächter, den Herrn Butterbaum hatte ausreden können.

      Über den ersten Anblick beim Öffnen des Koffers war Karl entsetzt. Wieviele Stunden hatte er während der Überfahrt darauf verwendet, den Koffer zu ordnen und wieder neu zu ordnen und jetzt war alles so wild durcheinander hineingestopft, daß der Deckel beim Öffnen des Schlosses von selbst in die Höhe sprang. Bald aber erkannte Karl zu seiner Freude, daß diese Unordnung nur darin ihren Grund hatte, daß man seinen Anzug den er während der Fahrt getragen hatte, und für den der Koffer natürlich nicht mehr berechnet gewesen war, nachträglich mit eingepackt hatte. Nicht das geringste fehlte. In der Geheimtasche des Rockes befand sich nicht nur der Paß sondern auch das von zuhause mitgenommene Geld, sodaß Karl, wenn er jenes, das er bei sich hatte, dazu legte, mit Geld für den Augenblick reichlich versehen war. Auch die Wäsche, die er bei seiner Ankunft auf dem Leib getragen hatte, fand sich vor, rein gewaschen und gebügelt. Er legte auch sofort Uhr und Geld in die bewährte Geheimtasche. Das einzig Bedauerliche war, daß die Veroneser Salami, die auch nicht fehlte, allen Sachen ihren Geruch mitgeteilt hatte. Wenn sich das nicht durch irgendein Mittel beseitigen ließ, hatte Karl die Aussicht monatelang in diesen Geruch eingehüllt herumzugehn.

      Beim Hervorsuchen einiger Gegenstände die zu unterst lagen, es waren dies eine Taschenbibel, Briefpapier und die Photographien der Eltern, fiel ihm die Mütze vom Kopf und in den Koffer. In ihrer alten Umgebung erkannte er sie sofort, es war seine Mütze, die Mütze, die ihm die Mutter als Reisemütze mitgegeben hatte. Er hatte jedoch aus Vorsicht diese Mütze auf dem Schiff nicht getragen, da er wußte, daß man in Amerika allgemein Mützen statt Hüte trägt, weshalb er die seine nicht schon vor der Ankunft hatte abnützen wollen. Nun hatte sie allerdings Herr Green dazu benützt um sich auf Karls Kosten zu belustigen. Ob ihm dazu vielleicht der Onkel auch den Auftrag gegeben hatte? Und in einer unabsichtlichen wütenden Bewegung faßte er den Kofferdeckel, der laut zuklappte.

      Nun war keine Hilfe mehr, die beiden Schläfer waren geweckt. Zuerst streckte sich und gähnte der eine, ihm folgte gleich der andere. Dabei war fast der ganze Kofferinhalt auf dem Tisch ausgeschüttet, wenn es Diebe waren, brauchten sie nur heranzutreten und auszuwählen. Nicht nur um dieser Möglichkeit zuvorzukommen sondern um auch sonst gleich Klarheit zu schaffen, gieng Karl mit der Kerze in der Hand zu den Betten und erklärte, mit welchem Rechte er hier sei. Sie schienen diese Erklärung gar nicht erwartet zu haben, denn noch viel zu verschlafen, um reden zu können, sahen sie ihn bloß ohne jedes Erstaunen an. Sie waren beide sehr junge Leute, aber schwere Arbeit oder Not hatten ihnen vorzeitig die Knochen aus den Gesichtern vorgetrieben, unordentliche Bärte hiengen ihnen ums Kinn, ihr schon lange nicht geschnittenes Haar lag ihnen zerfahren auf dem Kopf und ihre tiefliegenden Augen rieben und drückten sie nun noch vor Verschlafenheit mit den Fingerknöcheln.

      Karl wollte ihren augenblicklichen Schwächezustand ausnützen und sagte deshalb: „Ich heiße Karl Roßmann und bin ein Deutscher. Bitte sagen Sie mir, da wir doch ein gemeinsames Zimmer haben, auch Ihren Namen und Ihre Nationalität. Ich erkläre nur noch gleich, daß ich keinen Anspruch auf ein Bett erhebe, da ich so spät gekommen bin und überhaupt nicht die Absicht habe zu schlafen. Außerdem müssen Sie sich nicht an meinem schönen Kleid stoßen, ich bin vollständig arm und ohne Aussichten.“

      Der Kleinere von beiden – es war jener der die Stiefel anhatte – deutete mit Armen, Beinen und Mienen an, daß ihn das alles gar nicht interessiere und daß jetzt überhaupt keine Zeit für derartige Redensarten sei, legte sich nieder und schlief sofort; der andere, ein dunkelhäutiger Mann, legte sich auch wieder nieder, sagte aber noch vor dem Einschlafen mit lässig ausgestreckter Hand: „Der da heißt Robinson und ist Irländer, ich heiße Delamarche, bin Franzose und bitte jetzt um Ruhe.“ Kaum hatte er das gesagt, blies er mit großem Atemaufwand Karls Kerze aus und fiel auf das Kissen zurück.

      „Diese Gefahr ist also vorläufig abgewehrt“, sagte sich Karl und kehrte zum Tisch zurück. Wenn ihre Schläfrigkeit nicht Vorwand war, war ja alles gut. Unangenehm war bloß, daß der eine ein Irländer war. Karl wußte nicht mehr genau, in was für einem Buch er einmal zuhause gelesen hatte, daß man sich in Amerika vor den Irländern hüten solle. Während seines Aufenthaltes beim Onkel hätte er freilich die beste Gelegenheit gehabt, der Frage nach der Gefährlichkeit der Irländer auf den Grund zu gehn, hatte dies aber, weil er sich für immer gut aufgehoben geglaubt hatte, völlig versäumt. Nun wollte er wenigstens mit der Kerze, die er wieder angezündet hatte, diesen Irländer genauer ansehn, wobei er fand, daß gerade dieser erträglicher aussah, als der Franzose. Er hatte sogar noch eine Spur von runden Wangen und lächelte im Schlaf ganz freundlich, soweit das Karl aus einiger Entfernung, auf den Fußspitzen stehend feststellen konnte.

      Trotz allem fest entschlossen, nicht zu schlafen, setzte sich Karl auf den einzigen Sessel des Zimmers, verschob vorläufig das Packen des Koffers, da er ja dafür die ganze Nacht noch verwenden konnte und blätterte ein wenig in der Bibel, ohne etwas zu lesen. Dann nahm