Taozen ist zentriert, voll da und wie ein Fels mit dem Boden verbunden. Leila ringt nach Luft, was ihn nicht sonderlich beeindruckt. Dann zieht er amüsiert die Augenbrauen hoch, hebt eine Hand, Leila fällt in einen kurzen Moment der Erholung, keucht. Taozen führt Zeige- und Mittelfinger zusammen, hebt sie wie ein Schwert an und lächelt: »Now, watch this.«
Er bewegt seine beiden Finger auf ihren Oberkörper zu und berührt ihren Solarplexus, ein paar Zentimeter unterhalb des Brustbeins. Im selben Moment jagt ein Stromstoß durch Leilas Leib. Sie reißt ihre Hüfte hoch und die Arme über den Kopf.
»OOOOHHHH.«
Ein Urschrei verlässt ihren Körper. Sie windet sich in kochendem Vergnügen, spannt Arme und Beine an, wölbt die Brust. Ein epileptischer Anfall ist nix dagegen.
»MOVE!«
»Aaaaaahhhhh.« Sie entspannt. Erleichterung ergießt sich über ihr Gesicht, meine Schultern sinken herab. Dann wird sie von der nächsten Welle erfasst. Sie fährt sich durch die Haare, zieht die Beine an, stöhnt versaut, reckt sich in ein Hohlkreuz, steht völlig unter Strom. Taozen betrachtet sie interessiert, aber nicht sonderlich überrascht, während wir auf das achte Weltwunder starren. Er schaut durch unsere Runde. Seine Finger drücken auf diesen unschuldigen, nichtssagenden Punkt. Vor ihm, wie auf Autopilot, windet und zuckt Leila, als wenn sie von einer magischen Geilheit elektrisiert wird, nein, der Schöpfer, die Existenz selbst sie mit reiner Energie penetriert.
Der Yogi wartet ein paar Augenblicke in Seelenruhe ab. Dann blickt er auf.
»There are more pressure points.«
Er hebt die Hand an und greift mit Daumen und Zeigefinger an ihren Hals, nahe der Halsschlagader. Im Moment der Berührung zuckt Leila zusammen und beginnt lauter und heftiger zu stöhnen. Und schneller. Etwas bäumt sich in ihr auf, plötzlich schreit sie, als würde sie von einem unsichtbaren göttlichen Schwanz durchdrungen. Die Frau ist in Ekstase. Der ganze Raum gehört ihr, sie ist absolut nicht mehr in dieser Welt.
Taozen derweil locker und entspannt. Herzlich willkommen in der Matrix.
Der nächste Punkt liegt an den Rippenbögen. Leilas Brust bäumt sich auf; sie kämpft, windet sich von rechts nach links, reißt die Unterarme an den Kopf. Ich habe keine Ahnung, ob ich mich für sie freuen soll oder einen Krankenwagen rufen.
»A! Aah!! Aah, AAAOOHH, AAAAAAAHHH!!!« Sie ringt nach Luft, schreit, stöhnt, wirft sich von links nach rechts und weiß schon lange nicht mehr, wohin.
Das unfassbare Schauspiel dauert an, geht weiter und weiter und weiter, wird noch krasser, Minute um Minute, die die schönsten und heftigsten Augenblicke in Leilas Leben zu sein scheinen. Die Intensität ist nicht zu fassen. Plötzlich reißt Leila den Kiefer auf und Taozen steckt ihr, weil ein weiterer Energiepunkt am Gaumen liegt, mit einer überraschenden Bewegung seinen Daumen in den Mund. Meiner steht sperrangelweit offen. Leila packt mit beiden Händen seinen Unterarm, krallt sich in seine Haut, wuchtet ihre Hüfte hoch, dann den Brustkorb, zuckt, reißt sich ins Hohlkreuz und wird von einer letzten Orgasmus-Explosion heimgesucht.
Stille.
Leila liegt schlaff auf dem Boden, atmet, zittert, keucht. Letzte Zuckungen streifen durch ihren Körper.
Taozen zieht seinen Finger aus ihr heraus, also aus dem Mund, und streichelt ihr sanft über den Kopf.
Langsam kehrt sie zurück, ihr Atem wird ruhiger. Taozen blickt sie an, gibt ihr Zeit. Sie versucht, sich zu bewegen, aufzurichten. Zart berührt er ihre Schultern, damit sie liegen bleibt. Sie entspannt. Er lächelt sie an.
»How are you?«
»I love you!«
Taozen blickt in die Runde, zieht die Augenbrauen hoch. Er ist der King.
Wir sinken zurück, sind sprach-, nein, fassungslos. Dann erklärt er, dass dies eine energetische Katharsis war. Eine Reinigung. Fragen können gestellt werden. Niemand weiß irgendwas.
»And you?«, er schaut Leila an.
»This was the greatest orgasm I ever had!«
»WITHOUT SEX!«, ruft Taozen begeistert in die Runde.
Leila versucht zu erklären. Sie kann es nicht. Es war wie Sex, aber auch wieder nicht. Die Energie war überall, in allen Ecken, in den Lenden, gewaltig, beängstigend, unbeschreiblich. Hell wie Feuer, mächtig wie ein Vulkan. Und alles voller Liebe.
Taozen blickt in die Augen der anwesenden Damenwelt:
»Who wants next?«
Tausend Arme fliegen in die Luft.
Im Anschluss spricht Taozen über Yoga und Tantra und 3.000 Jahre alte neueste Erkenntnisse im System Mensch.
Einer der Männer fragt: »So, was this a positve result?«
Taozen runzelt die Stirn.
»You mean, if I go home now and say to myself, ›well done‹?« Er schmunzelt. »Well, yes!«
Alle lachen.
Beim Mittagessen kommen alle zusammen, reden durcheinander. Es wird gescherzt, geflirtet, sich ausgetauscht. Kennenlernen, alle im Flow und auf der Suche nach Chakren, Energie und Pipapo. Erfahrungsberichte, Socializing, und natürlich muss immer hervorgehoben werden, wie viele und welche Seminare man erlebt, welche großen Meister man getroffen hat. Ich mag dieses Aufplustern nicht und mache einen Strandspaziergang. Allein.
Am Nachmittag suche ich mir Tantra-Connection aus. Als ich mit der Gruppe zur Halle wandere, fühle ich mich wie ein blinder Passagier, wie ein Fremdkörper, und das liegt sicher auch daran, dass ich in der Mittagspause keine Kontakte geknüpft habe. Leider ist niemand von meiner family dabei. Niemand, den ich kenne. Es ist unklar, was in den kommenden zwei Stunden passieren wird. Die Luft ist heiß, ich schwitze. Nicht nur wegen dieser Mittagshitze. Ich setze mich in die letzte Reihe. Ein Mädchen mit roten Haaren nickt mir zu, und ein unsicherer Typ hockt sich neben mich. Dann geht’s los.
Eine Frau mittleren Alters in dunkelgrünen Hosen und schwarzem Top schnappt sich das Mikrofon. Sie erzählt mit ruhiger Stimme. Diese zweite Session ist mehr eine Vorlesung als ein Erlebnis. Sie ist interessant, aber beinhaltet auch nichts Neues. Es geht um Bewusstsein. Das Loslassen von Vergangenheit und Zukunft, um die Befreiung im Moment zu finden. Im Hier und Jetzt gibt es keine Sorgen, keine Ängste und keine Erwartungen. Was bleibt, ist nichts. Pures Sein.
In der zweiten Stunde folgen die Übungen. Wir starten mit fünfzig zusammenhängenden Atemzügen. Das bedeutet, dass keine Pause zwischen Ein- und Ausatmung entsteht. Danach Stille. Fünf Minuten, in denen wir fühlen, was sich in unserem Körper abspielt. Dank der Vorübung und der unbemerkten Überdosis Sauerstoff, ist da jede Menge. Ein Kribbeln, ein Glucksen, als ob sich kleine Bläschen lösen. Alle verharren in Aufmerksamkeit und Konzentration, eine entspannte Stille ergreift Besitz von mir.
Dann sucht sich jeder einen Partner. Beim Eye Gazing schaut man einer fremden Person zehn Minuten in die Augen, umarmt sie abschließend und findet eine neue Person. Insgesamt viermal. Der Klang der Zimbel läutet den Partnerwechsel ein.
Eye Gazing kenne ich. Jede Begegnung ist anders. Begegnungen mit Männern sind anders als mit Frauen. Jeder Mensch hat eine Eigenart. Mal schießt ein Schwall Trauer durch meine Seele, weil ich den Schmerz meines Gegenübers sehen kann, mal keimt verspielte Erotik auf und manchmal Geschwisterliebe. Manchmal wird es unheimlich, weil Gesichter auftauchen und das Gegenüber plötzlich wie eine alte Frau oder ein Indianer aussieht. Ich habe keine Ahnung, was diese Optik zu bedeuten hat, was im Unterbewusstsein diese Bilder fabriziert, aber es fasziniert mich.
Manchmal fühle