Warum war Leben so aggressiv und kannte nur das Recht des Stärkeren? Von wenigen Ausnahmen abgesehen ... Dahinter verbarg sich nicht nur der Kampf um Lebensraum, denn das Universum war groß und bot Platz für alle. Selbst Maahks und Menschen hätten sich nie bekriegen müssen, weil die Umwelt des einen für den anderen tödlich war. Dennoch war es geschehen. Niemand hatte die Toten und Verwundeten gezählt, das unsagbare Leid und die Qualen beider Völker. Heute respektierte man sich und hatte aus den Fehlern gelernt.
Die Arbeiten am Frachter wurden endlich abgeschlossen, die Männer und Frauen der JOURNEE kehrten an Bord zurück. Sie hatten neue Befestigungspunkte für die Hochenergie-Klammern markiert.
Mit seinen 600 Metern Durchmesser und dem mächtigen äquatorialen Ringwulst war der Raumfrachter ein Riese, verglichen mit der nur 100 Meter messenden JOURNEE. Traktorstrahlen manövrierten den Spürkreuzer in seine neue Position und verankerten ihn im oberen Rumpfsegment der ILKIN, die unverändert in jeder Sekunde 20.134 Kilometer zurücklegte, exakt der Wert, bei dem zuvor die Trennung erfolgt war.
Die neue Beschleunigungsphase begann.
Auf der ILKIN waren nahezu alle Energieverbraucher lahmgelegt worden, um Interferenzen vorzubeugen. Lediglich eine Interkomverbindung wurde aufrecht erhalten. Die Frachterkommandantin blickte nicht mehr aus einem lebensgroßen Hologramme in die Runde, sondern von einem kleinen Monitor.
»Ich hoffe, dass es diesmal klappt«, sagte Laretha Mongath schwer. »Raye Corona war eben bei mir; der Zustand einiger Patienten hat sich rapide verschlechtert. Wenn sie nicht in den nächsten Stunden in eine bestens ausgerüstete Klinik eingeliefert werden, kann Raye für ihr Überleben nicht garantieren.«
»Wir tun, was wir können«, antwortete Coa Sebastian gereizt. »Achte du lieber darauf, dass auf der ILKIN alles so bleibt, wie es ist.«
»Wir erreichen Ka-Tygo rechtzeitig«, versprach Perry Rhodan.
Die Tefroderin nickte zufrieden. »Danke«, sagte sie.
Mühelos beschleunigten die Triebwerke der JOURNEE die um ein Mehrfaches angewachsene Masse. In wenigen Minuten würden beide Schiffe gemeinsam in den Hyperraum gehen und kurze Zeit später nahe Ka-Tygo den Überlichtflug beenden. Die Welt war der nächste geeignete Stützpunkt der Tefroder, ohnehin das Ziel der Flüchtlinge von Cyrdan.
Die Funkortung meldete ein jähes Anschwellen des Hyperfunkverkehrs. Hunderte von Sendern waren gleichzeitig aktiv geworden, und was immer sie verbreiteten, es schwoll wie eine Lawine an. Hintergrundrauschen und die Störungen einer nahen Supernova, die erst vor wenigen Tagen in ihr kritisches Stadium eingetreten war, verstümmelten die meisten Sendungen. Was allerdings mit entsprechend hoher Sendeleistung empfangen wurde, berichtete von einem neuen Massaker der Invasoren. Ein Konvoi der Twonoser, unterwegs in Richtung der vorgelagerten Kleingalaxis Andro-Beta, war von Kastun-Kriegsschiffen aufgebracht und aufgerieben worden. Ein wenige Lichtjahre entfernt operierender Kampfverband der Maahks hatte nur noch expandierende Trümmerwolken vorgefunden.
»Haben wir eine Einpeilung?«, wollte Rhodan wissen.
»Grobschätzung fünfzehnhundert Lichtjahre.«
Das war kosmisch gesehen nur ein Katzensprung. Die Kastuns konnten jede Sekunde auf der Suche nach neuen Opfern aus dem Hyperraum fallen. Rhodans Blick fraß sich an der Hochrechnung fest. Noch drei Minuten und 20 Sekunden bis zum Überlichtflug. Eine tiefe Falte grub sich um seine Mundwinkel ein.
Die Kastuns hatten Cyrdan bereits verwüstet. Warum sollten sie noch einmal hierher zurückkehren? Und dennoch ...
»Beschleunigung erhöhen! Wir sind nicht mehr lange sicher.«
Alarmbereitschaft herrschte ohnehin. Masse- und Energieortung lauschten Lichtjahre weit in den Raum hinaus. Doch nie hatten sich die Angreifer vorher angekündigt.
Ka-Tygo war in diesen Tagen zum Sammelplatz von Flüchtlingen aus dem ganzen Spiralarm geworden. Rhodan kannte den Planeten nicht und verließ sich in der Hinsicht auf die Frachterkommandantin. Solange die Flüchtlinge Aufnahme und die Verletzten medizinische Betreuung fanden, erschien ein Ziel so gut wie das andere. Vielleicht hätte Rhodan sogar Tefrod selbst angeflogen, rund 75.000 Lichtjahre weit im galaktischen Zentrumsbereich, aber Ka-Tygo lag nicht allzu weit von der terranischen Botschaftswelt Chemtenz entfernt.
Mit brennendem Blick beobachtete der Terraner die Skalen der Triebwerksleistung. Die Beschleunigung erreichte 500 Kilometer im Sekundenquadrat und stieg weiter. Fest hing die ILKIN im Griff der Energieklammern und Traktorstrahlen.
Irgendetwas veränderte sich. Die Anspannung war deutlich zu spüren. Auch Perry Rhodan blieb nicht davon verschont. Es war, als sehnten alle das Unheil förmlich herbei, damit sich ihre Befürchtungen bewahrheiteten. Erst wenn der Gegner greifbar geworden war, konnten sie ihn bekämpfen.
Das war verrückt. Die Männer und Frauen, die es ausschließlich ihrer Umsicht und Erfahrung verdankten, an Bord der JOURNEE Dienst zu tun, starrten auf die Hologramme wie ein Kaninchen in die Augen der Schlange. Rhodan nahm sich davon nicht aus. Er ballte die Fäuste und öffnete sie wieder, unaufhörlich. Und er ertappte sich beim Gedanken an Kiriaade. Wer war die überirdisch schöne Frau, die ihn zu Hilfe gerufen hatte? Fast schon sehnte er sich danach, ihr endlich zu begegnen, sie zu berühren und an sich zu ziehen ... Angesichts des Leids in Andromeda waren solche Gedanken fehl am Platz. Wütend auf sich selbst, schüttelte der Terranische Resident den Kopf.
Noch eine Minute und 18 Sekunden bis zum Übertritt in den Hyperraum.
»Ortung!«, schrie in dem Moment Cita Aringa auf. »Drei, vier – nein, fünf Kastun-Kriegsschiffe sind materialisiert. Sie nähern sich schnell.«
»Distanz?«
»Dreiundzwanzigeinhalb Millionen Kilometer.«
»Kurs?«
»Kastuns gehen auf Kollisionskurs, schwenken um dreißig Grad nach Steuerbord.«
Vor Rhodan baute sich eine Grafik auf. Er sah die Hochrechnung des Hauptsyntrons mit allen potenziellen Ausweichmanövern. Die Darstellung veränderte sich unaufhörlich.
Die fünf gegnerischen Schiffe waren mit einer Geschwindigkeit von 60.000 Kilometern in der Sekunde vergleichsweise langsam aus dem Hyperraum gefallen. Sie beschleunigten mit Höchstwerten. Allerdings waren sie nicht schnell genug, um vor der JOURNEE in den Überlichtflug zu gehen und sie abzufangen. Der JOURNEE selbst fehlten exakt 78 Sekunden bis zum Überlichtmanöver; in dieser Zeit würde sie eine Distanz von neuneinhalb Millionen Kilometer zurücklegen.
Sofern der Spürkreuzer die Flugrichtung beibehielt, würde die Distanz zu den Angreifern bis auf rund acht Komma drei Millionen Kilometer schrumpfen. Die Reichweite der gegnerischen Intervallkanonen war mit 20 Millionen Kilometern sehr hoch, indes ließ die Treffergenauigkeit schon ab der halben Distanz überproportional nach. Doch knapp über acht Millionen Kilometer bedeuteten für die JOURNEE mit dem Raumfrachter im Schlepp eine ernsthafte Bedrohung.
Zim November hatte die Situation erkannt und den Kugelraumer in Sekundenbruchteilen auf neuen Kurs gebracht. Die Abweichung betrug inzwischen 60 Grad nach Steuerbord. Damit ergaben sich als Enddistanz zum erwarteten Zeitpunkt des Überlichtmanövers rund 17 Komma sieben Millionen Kilometer, eine Zahl, mit der sich leben ließ.
Erleichtert lehnte sich Rhodan zurück. Falls kein zweiter Pulk von Kastun-Kriegsschiffen materialisierte, blieb eine reale Chance, die ILKIN in Sicherheit zu bringen. Der Terraner hoffte, dass es den Kastuns nicht möglich war, die JOURNEE durch den Hyperraum zu verfolgen. Trotzdem zog er es vor, eine gehörige Portion Vorsicht an den Tag zu legen.
»Neuberechnung aller Überlicht-Parameter!«, bestimmte er. »Wir fliegen Ka-Tygo nicht direkt an, sondern mit Zwischenstopp.«
»Eine erneute Beschleunigungsphase hebt unser Sicherheitsgefühl bestimmt nicht«, wandte Coa Sebastian ein.
Rhodan fixierte die Kommandantin. Die halblangen, pechschwarzen Haare verliehen Coa im Zusammenspiel mit der scharfrückigen Nase, den schmalen, jetzt zusammengepressten Lippen und dem spitzen Kinn etwas Raubvogelartiges. In diesem Moment wirkte die