Der Kurs der Angreifer zielte unverändert auf Chemtenz. Nicht einmal mehr zwei terranische Standard-Minuten Distanz. Der Maahk gab sich keinen Illusionen hin, was geschehen würde.
Mit einer knappen Handbewegung desaktivierte er die Bildschirmwand. Es wurde Zeit für ihn, die Botschaft zu verlassen.
»Der Letzte macht das Licht aus«, sagten die Terraner dazu. Grek-665½ reagierte zufrieden; er hatte schon viel gelernt, aber er würde noch sehr viel mehr lernen müssen.
Falls es eine Zukunft für ihn gab. Das jedoch hing ausschließlich von den unbekannten Angreifern ab.
Eine unheimliche Stille lastete über dem Gelände der terranischen Botschaft. Es war die Stille des bevorstehenden Todes.
Die Konsequenz erschien Grek-665½ unausweichlich. Bislang hatten die fremden Kriegsschiffe jeden Kampf siegreich beendet, hatten ausgeglühte Wracks, verbranntes Land und Tausende von Toten hinterlassen, eine Spur aus Blut und Zerstörung. Nahezu jedes Volk verzeichnete Verluste. Weshalb sollten sie ausgerechnet Chemtenz verschonen, die einzige diplomatische Niederlassung der Terraner in Andromeda?
Die Menschen hatten ihre Botschaft verlassen, doch die nahe Hauptstadt allein zählte rund fünf Millionen Einwohner. Für eine Evakuierung hatte es weder die nötige Kapazität gegeben, noch eine ausreichend lange Vorwarnzeit. Die Bevölkerung floh hinaus aufs Land, auf See oder zog sich in die unterirdischen Anlagen zurück.
Diese Welt war seit dem Augenblick, in dem die Kastun-Kriegsschiffe im äußeren Sonnensystem aus dem Hyperraum gefallen waren, zum Sterben verurteilt.
Grek-665½ suchte den Himmel ab, ohne bereits eine Spur der Angreifer entdecken zu können. Lediglich ein leichtes, kaum wahrnehmbares Flirren spannte sich über das Firmament: die Kuppel des Paratron-Schutzschirms. Lange würde das Schirmfeld den Waffen der Invasoren jedoch nicht widerstehen.
Sie kamen. Vier Schiffe hingen plötzlich hoch im Zenit. Grek-665½ konnte sich ausrechnen, wo die anderen Einheiten verblieben waren. Chemtenz hatte drei Kontinente, nicht alle so dicht besiedelt wie der nördlichste, doch Tefroder, Terraner, Arkoniden und sogar Twonoser hatten sich in der Wildnis niedergelassen.
Die Kastuns kamen aus der Sonne. Mittlerweile betrug ihre Höhe nur noch 100 Kilometer. Angespannt wartete Grek-665½ auf den grellen Lichtblitz, der alles Leben auslöschen würde.
Er fragte sich, ob der Tod Schmerzen bereitete. Aber das waren nicht seine eigenen Gedanken, der LemurEmotio-Simulator gab sie ihm ein. Menschen fühlten so, sie stellten sich solche Fragen, die ihre Entschlusskraft lähmten und nicht zur Lösung von Problemen beitrugen.
Noch 90 Kilometer ...
Chemtenz hielt den Atem an. Kaum ein Gleiter war noch in der Luft.
Sie wissen, was auf sie zukommt, aber sie wollen es nicht wahrhaben, dachte der Maahk. Sie ziehen sich zurück wie verwundete Tiere, fliehen in den trügerischen Schutz ihrer unterirdischen Anlagen oder in die Berge.
Er näherte sich dem inneren Rand der Paratron-Kuppel. Das hochgespannte hyperenergetische Feld bot keinen wirklichen Schutz gegen die Intervallkanonen der Fremden. Deren Wirkung war ebenfalls fünfdimensionaler Natur und unterlief die Ableitungsfunktion des Schirmfeldes.
Ein Blitz zuckte auf. Nur Millisekunden hatte er Bestand, und sein Ausgangspunkt war ohne Hilfsmittel nicht zu lokalisieren. Doch die Folgen des Einschlags blieben unübersehbar. Jenseits der Metropole, in der weit geschwungenen Bucht, kochte die See. Ein turmdicker Impulsstrahl hatte Millionen Kubikmeter Wasser verdampft und wirbelte eine apokalyptische Rauchsäule in die Atmosphäre. Die in das Vakuum zurückflutenden Wassermassen schossen in einer gewaltigen Eruption Hunderte von Metern empor, ehe sie nach allen Seiten abregneten. Und über allem hing flackernder Feuerschein.
Der zweite Schuss aus mittlerweile nur noch 70 Kilometern Höhe zog eine glühende Spur der Vernichtung durch die Stadt und entfachte einen gewaltigen Feuersturm. Das war der Moment, in dem Grek-665½ den Paratronschirm durch eine Strukturlücke verließ. Sengende Hitze schlug ihm entgegen, aber er spürte sie nicht. Der Schutzanzug, den er gegen die giftige Sauerstoffatmosphäre trug, war weltraumtauglich. Auch der Sturm, der in Richtung Stadtzentrum fegte und Bäume wie dünne Hölzer knickte, konnte ihm nichts anhaben. Die Tornisteraggregate reagierten präzise auf alle äußeren Einflüsse.
Grek-665½ regelte sein Flugaggregat hoch. Mit wachsender Geschwindigkeit entfernte er sich vom Botschaftsareal und gewann zugleich an Höhe, während hinter ihm vollends die Hölle losbrach. Die Kastuns feuerten im Sekundentakt, ihre Thermostrahlen pflügten das Land um, die Desintegratoren ließen selbst von widerstandsfähigem Baumaterial kaum mehr zurück als verwehende Staubschleier.
Chemtenz starb. Zweifellos sah es in diesen Augenblicken auf den anderen Kontinenten ähnlich aus.
Fünf Kilometer hoch flog Grek-665½ bereits über dem Land.
Acht Kilometer ... New Dillingen verbarg sich unter einem Mantel aus Glut, Asche und Rauch, aber unter der brodelnden Schwärze tobten heftige Explosionen.
In der Höhe wütete ein verheerender Orkan. Wie ein welkes Blatt im Herbststurm wurde Grek-665½ herumgewirbelt. Er verlor die Orientierung und ließ sich treiben, während die Welt um ihn herum versank. Erst in den dünneren Luftschichten kam die wirbelnde Aufwärtsbewegung zum Stillstand.
Als er eine Höhe von über zwanzig Kilometer erreicht hatte, sah er die terranische Botschaft wie einen Fels in der Brandung stehen. Zuckende Aufrissfronten umflossen den Schutzschirm, als die Angreifer ihre überschweren Intervallkanonen einsetzten. Die gebündelten Hyperfelder erzeugten eine ungeheure mechanische Wirkung. Die ersten Treffer überzogen die Paratron-Kuppel mit einem Netz von schwarzen Schlünden, doch schon die zweite Salve durchschlug die Barriere und setzte ihre Energie frei.
Die terranische Botschaft, ebenso wie die angrenzenden Wohnbezirke, existierte nicht mehr. Ein Meer von Staub überflutete alles.
Zu lange hatte sich Grek ablenken lassen. Erst ein Warnsignal seines Anzugs erinnerte ihn daran, dass es mehr gab als den sterbenden Planeten. Er durfte die Mörder nicht vergessen.
Eines der Kriegsschiffe, zweifellos jenes, das die Botschaft ausgelöscht hatte, näherte sich mit hoher Geschwindigkeit. Mit einem knappen Befehl desaktivierte der Maahk alle Energieverbraucher. Das betraf sein Lebenserhaltungssystem ebenso wie den Antigrav und das kleine Triebwerk. Über einen Deflektor verfügte er nicht, der war unter Freunden überflüssig.
Viel zu hoch war Grek-665½ schon aufgestiegen. Das Gefühl des plötzlichen Fallens wurde ihm nicht richtig bewusst. Scheinbar schwerelos schwebte er über dem verglühenden Land.
Das Kriegsschiff drehte nicht ab.
Die Angreifer kamen geradewegs auf ihn zu, eine schlanke und ohne das sonnenhelle Feuer im Zentrum wenig imposante Silhouette. Der Querschnitt erinnerte an ein hochgestelltes Oval, strömungsgünstig geformt wie der Körper eines Wasserlebewesens, doch aus mattgrauem Stahl bestehend. Der Bug des Schiffes erschien als weit vorgestülptes, aufgerissenes Maul. In ihm loderte das verzehrende Feuer, die Projektormündung der Intervallkanone.
Jeden Augenblick rechnete Grek damit, von Traktorstrahlen erfasst und an Bord gezogen zu werden. Er trug keine Waffe bei sich. Trotzdem würde er sich lieber selbst töten, bevor er den Fremden in die Hände fiel. Nur ein toter Maahk konnte keine Geheimnisse verraten.
Entschlossen tastete er nach dem Verschlussmechanismus des Raumhelms. Bei den ersten Anzeichen eines Zugfeldes würde er nicht zögern, den Helm zu öffnen und tödlichen Sauerstoff einzuatmen.
Riesig wuchs der Kastun vor ihm auf. Das Schiff würde ihn möglicherweise rammen. Dennoch versuchte der Maahk, möglichst viele Einzelheiten aufzunehmen. Endlich drehte der Angreifer um wenige Grad und präsentierte ihm die Flanke. An der oberen Heckflosse waren beidseitig zylinderförmige Ausleger angeflanscht. Sie bargen die anderen Waffensysteme.
Sekundenlang