Rhodan trat in den Schacht, und der Admiral und die Ärztin folgten ihm. Der polarisierte Strahl trug sie, plötzlich schwerelos geworden, nach oben, vorbei an den einzelnen Decks.
Der Resident fragte sich, wieso Raye Corona sie hierher begleitet hatte, ließ den Gedanken dann fallen und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Zustand des Schiffes.
Deck 1 ... Kleinhangar für bodengebundene Fahrzeuge und Roboter. Etwa die Hälfte der Fahrzeuge schien zerstört oder so schwer beschädigt worden zu sein, dass man sie aus dem Schiff geschafft hatte.
Deck 2 ... Ausrüstung Bodenschleuse. Auch hier noch deutlich erkennbare Schäden, die jedoch größtenteils beseitigt worden waren.
Deck 3, 4 und 5 ... die NUG-Schwarzschild-Reaktoren und der Notauswurf für die NUGAS-Kugeln. Zumindest ein Reaktor schien gegen ein vergleichbares tefrodisches Aggregat ausgetauscht worden zu sein. Die Reparaturwerkstatt auf Deck 5 war völlig überlastet, das Energietransfersystem für das Modul auf Deck 6 nur noch Schlacke.
Deck 6 und 7 ... die NUG-Protonenstrahl-Triebwerke und der Gravitrafspeicher schienen unbeschädigt oder zumindest vollständig instand gesetzt zu sein.
Deck 8 und 9 ... das Lager im Zentralbereich wies noch schwere Beschädigungen auf, die Modul-Kopplungsvorrichtung auf Deck 8 war nicht mehr funktionsfähig, wurde aber auch nicht mehr benötigt. Sowohl die Haupt- und Neben-Metagrav-Triebwerke als auch die Grigoroff-Projektoren waren dank ihrer besonderen Abschirmung unbeschädigt, an den Gravotrak-Startschienen des Rollo-Hangars auf Deck 9 wurde noch gearbeitet.
Deck 10 ... der Rollohaupthangar war nur leicht beschädigt, einer der beiden Rotationshangars wurde gerade einem Testlauf unterzogen.
Deck 11 und 12 ... in den beiden Schwalbennest-Haupthangar-Leitständen beseitigten Techniker die letzten Spuren des Angriffs, während die Notfall-Leitstände auf Deck 12 unbeschädigt zu sein schienen.
Deck 13 ... Rhodan verließ den Antigravschacht und schritt mit merklicher Beklemmung durch den inneren Ringgang zum nächstgelegenen Zentraleschott. Als es sich automatisch vor ihm öffnete, hätte er am liebsten die Augen geschlossen.
Aber er tat es natürlich doch nicht.
Und wurde angenehm überrascht.
Die Zentrale wies kaum noch Spuren des Angriffs auf. Die sieben hufeisenförmigen Missionsstationen waren ausgetauscht oder vollständig repariert worden, Techniker nahmen gerade einen Probelauf des Hologlobus vor. Lediglich geöffnete Wandverkleidungen wiesen darauf hin, dass auch hier noch hektisch gearbeitet wurde. Energieleitungen mussten ersetzt oder ausgebessert, Dämpfer und Kupplungen ausgetauscht werden.
Erleichtert stellte Rhodan fest, dass die gesamte erste Schicht der Zentralebesatzung anwesend war. Benjameen da Jacinta unterstützte, einen Arm in einer Schlinge aus Formenergie, Tess Qumisha und den Bordhyperphysiker Bi Natham Sariocc, bei Justierungen ihrer Konsole. Cita Aringa arbeitete an der Verbindung ihrer Konsole mit den Hyperfunkgeräten, Vorua Zaruk simulierte in Probedurchläufen das Hochfahren des Paratronschirms und der Bordwaffen, Bruno Thomkin arbeitete mit einigen Tefrodern am Hologlobus, der sich gerade stabilisierte, dann aber wieder zusammenbrach, und über dem Pilotensitz senkte sich gerade die SERT-Haube über Zim Novembers Kopf.
Und Kommandantin Coa Sebastian stand hinter ihrer Konsole und organisierte das Durcheinander mit kurzen Anweisungen und knappen Gesten.
Einen Moment lang schien jegliche Aktivität in der Zentrale zu erstarren, und Rhodan hatte den Eindruck, dass sich sämtliche Köpfe in seine Richtung drehten. »Ich freue mich, euch alle wohlauf zu sehen«, sagte er, bevor die Stille peinlich werden konnte. Dann ging er zu seiner Station.
Sie war voll instandgesetzt. »Und ich danke euch für die gute Arbeit, die ihr geleistet habt.«
»Der Hyperfunksender ist wieder funktionsfähig«, meldete Cita Aringa in diesem Augenblick.
Rhodan winkte Admiral Kethmero und Raye Corona zu seiner Konsole, die zögernd am Zentraleschott gewartet hatten. »Coa, liegt ein aktueller Lagebericht vor?«
»Ja, von mir persönlich verfasst.«
»Dir ist natürlich bekannt, dass es Relaisstrecken gibt«, wandte Rhodan sich an den Admiral, »die selbst über die riesige Entfernung zwischen Andromeda und der Milchstraße den Austausch von Nachrichten ermöglichen?«
»Ja, wenn auch nicht in Echtzeit, sondern nur in Nachrichtenblöcken.«
»Trotzdem, wir werden es versuchen. Cita, sende den Lagebericht nach Terra.«
»Wird gemacht, Resident.« Ihre Stimme klang viel munterer und enthusiastischer, als Rhodan es vermutet hätte.
Er ließ den Blick durch die Zentrale gleiten. Überhaupt schienen seine Leute guter Dinge zu sein. Sie arbeiteten konzentriert, aber nicht verbissen, lachten und scherzten dann und wann auch. Die Trauer um die fünf Gefallenen hielt an, aber im Allgemeinen schien eher eine Aufbruch- denn eine Weltuntergangsstimmung vorzuherrschen.
»Perry?«, riss Cita ihn aus seinen Gedanken.
Der Terraner blickte auf.
»Die Verbindung ist bereits nach kurzer Zeit unterbrochen worden. Die Nachricht ist nur bis zum Rand von Andromeda gekommen.«
Er nickte. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. Dennoch hatte er es versuchen müssen. »Versuche, Verbindung mit der terranischen Botschaft auf Chemtenz aufzunehmen.«
Chemtenz war der dritte von zehn Planeten der gelben Normalsonne Kraltmock am äußersten, der Milchstraße zugewandten Rand des Andromedanebels, eine erdähnliche, von subtropischer Vegetation geprägte Welt. Sie beherbergte in ihrer Hauptstadt New Dillingen die außenpolitische und militärische Vertretung vormals des Solaren Imperiums und nun der Liga Freier Terraner in der Andromeda-Galaxis.
Rhodan wandte sich wieder an den Admiral und die Medikerin. »Meine Befürchtung hat sich bestätigt. Eine der ersten Maßnahmen der Invasionsarmee dürfte darin bestanden haben, jeglichen Funkverkehr mit der Nachbargalaxis zu unterbinden. Das verringert die Gefahr einer Nachbarschaftshilfe.«
»Wobei man insgesamt jedoch zweifeln darf, ob eine über zwei Millionen Lichtjahre entfernte Galaxis noch Nachbarschaft darstellt«, wandte Kethmero trocken ein.
»Was können wir also tun?«, sagte der Resident. »Andromeda und die Milchstraße sind Nachbarn, jedenfalls in dem kosmischen Maßstab, den ich in den letzten Jahrtausenden wohl oder übel als gegeben akzeptieren musste.«
»Die Machtmittel, die die Invasoren an den Tag legen, lassen darauf schließen, dass sie die Strecke zwischen unseren Sterneninseln problemlos überwinden können«, bestätigte der Admiral. »So gesehen befindet sich die Milchstraße also durchaus vor der Haustür Hathorjans.«
»Also sitzen trotz aller Isolation im täglichen Leben Andromeda und die Milchstraße in ein und demselben Boot ... sofern eine gegnerische Macht von hinreichender Potenz auf den Plan tritt, was hier zweifellos der Fall ist. Die Gefahr, die euch bedroht, wird sich wahrscheinlich uns zuwenden, sobald sie euch unterworfen hat. Das allein wäre schon Grund genug zur Zusammenarbeit ...« Obwohl da natürlich noch viel mehr ist, fügte er in Gedanken hinzu.
»Was hast du also vor, Resident?«
»Ich werde mit der wiederhergestellten JOURNEE starten und die Nachricht von der Invasion Andromedas persönlich mit dem Spürkreuzer in die Milchstraße bringen.«
»Auch mit Chemtenz ist keine Verbindung zu bekommen!«, meldete die Orterin.
»Danke«, sagte Rhodan. Seine Miene verdunkelte sich. Damit hatte er nicht unbedingt gerechnet. Was war auf Chemtenz geschehen? War auch diese Welt schon Opfer der Kastun-Schlachtschiffe geworden?
»Aber die Milchstraße hat doch genug eigene Probleme«, sagte Admiral Kethmero.